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Schwedischer Soldat gibt aus Protest seine Afghanistan-Orden zurück

Offener Brief des schwedischen Afghanistan-Veteranen Tommy Wahlman. (Quelle: Tommy Wahlman/Twitter)
Offener Brief des schwedischen Afghanistan-Veteranen Tommy Wahlman. (Quelle: Tommy Wahlman/Twitter)

Angesichts des Abzugs der internationalen Truppen sind die Orden, die er für seinen Einsatz in Afghanistan verliehen bekommen hat, „nichts wert“.

Der Schwede Tommy Wahlman war mehrmals für die internationalen Schutztruppen in Afghanistan im Einsatz. Jetzt schickte er einen offenen Brief an den schwedischen Premierminister, in dem er erklärt, warum er die Orden zurückgibt, die er für diese Einsätze bekommen hat:

„In den Jahren 2002-2021 nahm Schweden mit Soldaten an der ISAF, der Friedensoperation in Afghanistan, teil. Zu diesem Zeitpunkt stellten die Streitkräfte mindestens 50 lokale Dolmetscher ein.

Aufgrund der Arbeit der Dolmetscher für die schwedischen Streitkräfte werden sie von den Taliban als Verräter angesehen und leben unter Todesdrohungen. Schweden entschied sich daher, einigen von ihnen zu helfen. Aber nur wenigen, keineswegs allen. Nur die Dolmetscher, nur diejenigen, die von 2013 bis Mitte 2014 im Dienst waren.

Alle anderen Dolmetscher, die für Schweden gearbeitet haben, sind ohne Hilfe geblieben. Heute gibt es in Afghanistan noch Dolmetscher, denen Schweden nicht helfen will, Dolmetscher, die mir in meinem Auftrag und Schweden gegenüber loyal waren. Unsere Kampfpartner in Afghanistan waren da, wenn wir sie brauchten.

Im Moment sind meine schwedischen Orden nach meinem Dienst in Afghanistan nichts wert, also schicke ich sie an die Regierungsbüros & den Ministerpräsident Stefan Löfven. Schämt Euch!“

Wahlman ist kein Einzelfall, überall in Europa und den USA hört man von empörten Soldaten, die fassungslos nicht nur dem Abzug aus Afghanistan zuschauen, sondern ihrer Empörung Ausdruck verleihen, wie mit den ehemaligen afghanischen Mitarbeitern und Hilfskräften der ISAF verfahren wird. Bislang evakuierte auch Deutschland nur einen Bruchteil. Nun ist Kunduz an die Taliban gefallen; wer dort ausgeharrt hat und für die Bundeswehr tätig war muss, wie so viele andere auch, um sein Leben fürchten.

Von nichts gewusst?

Jeden Tag entwickelt sich der Abzug aus Afghanistan zu einem größeren Desaster. Fassungslos schaut man zu, und in den Augenblicken, in denen man nicht einfach nur zornig und entsetzt ist, stellt man sich Fragen. Wie die, ob denn sämtliche westlichen Geheimdienste nicht wussten, was die Taliban planten?

Die Offensive, mit er sie gerade viele Landesteile erobern, ist bestens geplant und durchgeführt und bedurfte ganz sicher längerer Planung. Und das alles soll geschehen sein, ohne dass westliche Geheimdienste davon Wind bekommen haben? Wohl kaum.

Es bedarf auch keines umfassenden militärischen Fachwissens, um zu ahnen, dass einmal mehr der berüchtigte pakistanische Geheimdienst ISI und das dortige Militär ihre Finger im Spiel haben. Sie hatten die Taliban schon in den 90ern stark gemacht und deren Unterstützung auch danach nie eingestellt.

Seit Jahrzehnten spielt Pakistan ein doppeltes Spiel: Einerseits tut man so, als sei man engster Verbündeter der USA und bekommt dafür jährlich entsprechende Gelder überwiesen, andererseits unterstützt Islamabad seit gefühlten Ewigkeiten fast jede dschihadistische Organisation, die in der Region ihr Unwesen treibt. So galt es nur abzuwarten und Tee zu trinken: Kaum war klar, dass die USA und NATO-Truppen abziehen würden, bereitete man die Übernahme Afghanistans durch die guten Verbündeten vor, die Taliban. Und auch China steht bereit und empfing erst jüngst eine Delegation der Gotteskrieger, die gleich auch versicherten, das Schicksal der in Lagern zu hunderttausenden in China inhaftierten Uiguren ginge sie nichts an.

Kann es wirklich sein, dass all diese Vorbereitungen auf eine Offensive ganz unbemerkt und klammheimlich vonstattengingen? Sollte das der Fall gewesen sein, wäre es die größte westliche Geheimdienstpanne seit 9/11. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in Washington und europäischen Hauptstädten bekannt gewesen sein durfte, was die Taliban vorhatten und in welchem Ausmaß sie Hilfe aus Pakistan erhielten. Und trotzdem ist man abgezogen, nur um jetzt genau diese Taliban „tief besorgt“ aufzufordern, „ihre Angriffe einzustellen“, wie jüngst ein Sprecher der NATO.

Oder man hofft, wie unlängst ein Sprecher des US-Außenministeriums, auf eine Beschleunigung von (in Wahrheit nicht existierenden) „Friedensgesprächen“, an deren Ende eine „politische Lösung“ stehen solle, in der „die Rechte aller Afghanen – einschließlich der Frauen und Minderheiten – respektiert“ würden.

Die Taliban denken natürlich gar nicht daran. Unter ihnen würde, wäre ihnen Lachen nicht verboten, höchstens schallendes Gelächter über die Einfältigkeit und Hilflosigkeit der Ungläubigen ausbrechen. Derweilen tun sie weiter das, was sie schon immer getan haben: Sie exekutieren und terrorisieren, wo immer sie die Gelegenheit dazu haben. Was bis jetzt über ihre Gräueltaten zu hören ist, dürfte erst der Anfang der langen, dunklen Nacht sein, die sich gerade wieder über Afghanistan senkt.

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