Immer mehr Palästinenser sind sich bewusst, dass die Hamas sich nicht um ihre Sicherheit kümmert, sondern bereit ist, so viele Menschen wie nötig zu opfern, um ihre Ziele zu erreichen.
Khaled Abu Toameh
Am Vorabend des islamischen Opferfestes Eid al-Adha hielt der Hamas-Führer Khalil al-Hayya, der für die Waffenstillstandsverhandlungen mit Israel zuständig ist, eine Rede, in der er meinte, »Gaza hat sich als Opfer für die muslimische Umma [Nation] angeboten und verdient dafür ihre volle Unterstützung«.
Al-Hayyas Erklärung löste eine Welle wütender Reaktionen und Verurteilungen seitens vieler Palästinenser aus, insbesondere aus dem Gazastreifen, die seit dem 7. Oktober 2023 mit Tod und Zerstörung konfrontiert sind.
In der islamischen Tradition ehrt Eid al-Adha die Bereitschaft des Patriarchen Abraham, seinen Sohn Ismael in einem Akt des Gehorsams gegenüber Gott zu opfern. Im Koran ist die Geschichte von Abrahams Opfer ein zentrales Ereignis, das seine unerschütterliche Fügsamkeit gegenüber Gott demonstriert. Der Patriarch hatte in einem Traum die Vision, seinen Sohn zu opfern, doch in dem Moment, als er den Befehl ausführen wollte, griff Gott ein und ersetzte seinen Sohn durch einen Widder.
Hamxs leader Khalil Al-Hayya:
“Gaza has offered itself as a sacrifice for the Muslim ummah (nation) and in return we deserve the full support from the Muslim nations.” pic.twitter.com/BInZTDmN05
— Open Source Intel (@Osint613) June 6, 2025
Für Teheran und Doha
Wie die meisten hochrangigen Hamas-Führer leben al-Hayya und seine Familienangehörigen außerhalb des Gazastreifens, nachdem sie vor dem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 aus Gaza geflohen sind, und führen ein sicheres, oft prunkvolles Leben in Katar, im Libanon, in Algerien, in der Türkei oder anderen komfortablen Ländern.
Einige Palästinenser äußerten denn auch ihre Empörung darüber, dass al-Hayya sie mit Lämmern verglichen hatte, die im Dschihad der Terrororganisation gegen Israel als Opfer dargebracht würden. Nach Angaben der Hamas sollen seit Beginn des Kriegs über 55.000 Palästinenser getötet worden sein.
Al-Hayyas Äußerungen sind nur ein weiteres Beispiel der von den Hamas-Führen an den Tag gelegten völligen Missachtung des Lebens der Bewohner des Gazastreifens, die weiterhin einen hohen Preis zahlen müssen, weil die Terrororganisation sich weigert, alle Geiseln freizulassen, ihre Waffen abzugeben und die Kontrolle über das Gebiet aufzugeben. Die Hamas, so sagen sie, habe beschlossen, Zehntausende Palästinenser zu opfern, um ihren Gönnern in Katar und im Iran zu gefallen.
Hamza Howidy, ein in Gaza geborener Menschenrechts- und Anti-Hamas-Aktivist, wies darauf hin, dass die Führer der Terrororganisation beschlossen haben, ihr Volk im Dienste Katars und Irans zu opfern. »Die Aussage von Khalil al-Hayya, Gaza zu opfern, ist kein Versprecher, sondern damit fällt die Maske. Wenn er sagt, Gaza habe sich ›als Opfer angeboten‹, dann meint er, dass die Menschen im Gazastreifen ausgeliefert wurden – nicht für eine Sache, nicht für die Befreiung, sondern an ausländische Hauptstädte und Throne, die palästinensisches Blut als nichts weiter als ein Druckmittel betrachten.«
Der Gazastreifen sei »nicht ›angeboten‹ worden, er wurde ›verkauft‹. Verkauft für Relevanz in Teheran, Applaus in Doha und Einladungen zu Gipfeltreffen, bei denen Männer in Anzügen sich gegenseitig zu ihrer Loyalität [gegenüber dem Iran und Katar] beglückwünschen, während ganze Stadtteile [im Gazastreifen] dem Erdboden gleichgemacht werden.«
Was al-Hayya mit beunruhigendem Stolz offenbart habe, sei, »dass die Hamas Gaza nie als eine Gesellschaft gesehen hat, die es aufzubauen oder zu schützen gilt, sondern als ein Werkzeug, um sich in den Augen nicht gewählter Monarchen und ideologischer Oberherren zu profilieren. Das ist Tod auf Bestellung. Das ist die Verwandlung einer Bevölkerung in ein Spektakel des Märtyrertums, um langfristige Verträge über Macht und Schutz von den Gönnern zu sichern, denen sie wirklich dienen.«
Die Umma, die muslimische Nation, auf die al-Hayya sich beruft, »ist keine vereinte moralische Kraft. Es ist ein Euphemismus für die Islamische Revolutionsgarde des Irans. Für die herrschende Elite Katars, die aus sicherer Entfernung das Feuer finanziert und dann die Brandstifter [d. i. Hamas] als Staatsmänner empfängt. Die Hamas opfert Gaza nicht Gott, nicht der Freiheit, sondern genau denjenigen Kräften, die am meisten von dem endlosen Krieg profitieren, weil sie wissen, dass ein Gazastreifen in Trümmern sie relevant, finanziert und gefürchtet hält.«
Alle geistesgestört?
Ein als »Alaa aus Gaza« auftretender Palästinenser stellte fest, die Erklärung von al-Hayya beweise, dass die in Katar lebenden Führer der Hamas das Leiden ihres Volks im Gazastreifen nicht wahrnehmen: »Es ist der Vorabend des Eid al-Adha in der gesamten islamischen Welt, eine Zeit, die vor dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen immer Freude und Feierlichkeiten mit sich brachte. Aber unser Leben wurde uns geraubt. Die Menschen, darunter meine Familie und Freunde, sind wütend. Sie fragen: Wie kann er [Khalil al-Hayya] es wagen, in unserem Namen zu sprechen, während er mit seiner Familie sicher im Ausland in Katar lebt?«
Al-Hayyas Worte erinnerten »an etwas noch Schrecklicheres, das der verstorbene Hamas-Chef Ismail Haniyeh einmal gesagt hat: ›Wir brauchen das Blut von Kindern und Frauen, um den Geist der Revolution in uns zu wecken.‹ Was für eine Ideologie ist das? Welche verdrehte Logik erlaubt es Männern, die in Komfort leben, das Leiden eines ganzen Volks zu einem Slogan zu machen? Ich kann nicht beschreiben, wie wütend ich gerade bin. Ich möchte meinen Kopf gegen die Wand schlagen. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie diese sogenannte Führung denkt.«
Zaher Abu Hussein kommentierte, al-Hayya »opfert das Blut der Kinder und Frauen von Gaza den Waffen des Obersten persischen Führers [Ayatollah Ali Khamenei]. Nachdem ganz Gaza auf dem Altar des iranischen Projekts geopfert wurde, nachdem Häuser zu Gräbern und Stadtviertel zu Asche wurden, trat Khalil al-Hayya vor die Öffentlichkeit, um das Ritual zu vollenden: das Ritual der Loyalität und Unterwerfung [gegenüber dem iranischen Regime].«
Khalil al-Hayya repräsentiere nicht die Bevölkerung des Gazastreifens, er »repräsentiert vielmehr die iranische Vertretung in Palästina; er repräsentiert das Projekt, das die [palästinensische] Frage zu einer Söldnermission und die Märtyrer zu Verhandlungschips gemacht hat. Wer Gaza an den Iran ausliefert, ist kein Palästinenser.«
Abu Karmel schrieb auf X, in »den Lehren des Islams und der Scharia gibt es so etwas wie menschliche ›Opfer‹ für weltliche oder politische Zwecke nicht. Opfer werden Gott dargebracht, aber nicht in Form von menschlichen Körpern, um eine Gruppe oder eine politische Organisation zu erlösen, wie es Khalil al-Hayya und seine Bande wollen. Hat jemand die Menschen gefragt, bevor man sie als ›Opfer‹ auf dem Altar der [Muslim-]Bruderschaft dargebracht hat? [Die Hamas ist der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft; Anm. Mena-Watch].«
Diese Erklärungen der Hamas-Führer, »in denen sie das Blut der Palästinenser missachten, lassen uns an der geistigen Zurechnungsfähigkeit dieser Gruppe zweifeln, die unser Volk im Gazastreifen als Schafe und Menschenopfer auf dem Altar ihrer Agenda im Dienst der Muslimbruderschaft und Teherans betrachtet. Ist das die Mentalität politischer Führer, die sich im Namen des palästinensischen Volks präsentieren? Leiden sie unter psychischen und mentalen Problemen, die sie zu solchen Äußerungen veranlassen? Wie lange wird die Bande der [Muslim-]Bruderschaft noch die Tötung unseres Volks im Namen des Widerstands und der Religion rechtfertigen?«
Ihab Hassan, ein palästinensischer Menschenrechtsaktivist, bemerkte ebenfalls: »Wir haben es mit Psychopathen zu tun, die bereit sind, ganz Gaza zu opfern – wie sie immer deutlich gemacht haben. Nieder mit der Hamas!«
Ein Todeskult
Der angesehene palästinensische Politologe Fouad Alkhatib, ein ehemaliger Bewohner des Gazastreifens, der in die Vereinigten Staaten emigriert ist, definiert die Hamas als »Todeskult«: »In den sozialen Medien gibt es eine Revolte unter den Palästinensern im Gazastreifen, die wütend über die Äußerungen des Hamas-Chefs Khalil al-Hayya zum Eid al-Adha sind. Er hat Eid-Glückwünsche verschickt und gesagt, der Gazastreifen habe sich als ›Opferlamm‹ für alle arabischen und muslimischen Nationen präsentiert! Ich habe es immer wieder gesagt: Die Hamas ist ein Todeskult, der Menschenopfer bringt und man muss sie daran hindern, das zu opfern, was von Gaza noch übrig ist!«
In einem weiteren Beitrag auf X schrieb Alkhatib: »Die Hamas ist eine mittelalterliche Terrororganisation, welche die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens buchstäblich als Menschenopfer darbringt. Wenn Sie diese bösartige islamistische Gruppe von Schlägern immer noch unterstützen, sind Sie von Natur aus antipalästinensisch; sprechen Sie nicht über die Notlage der Palästinenser, wenn Sie das tun.«
Reaktionen dieser Art auf die Erklärung des Hamas-Führers deuten darauf hin, dass immer mehr Palästinenser erkennen, dass die vom Iran unterstützte Terrororganisation sich nicht um ihre Sicherheit oder ihr Wohlergehen kümmert, sondern vielmehr bereit ist, so viele Menschen wie möglich zu opfern, um ihr Ziel zu erreichen, Juden zu töten und Israel zu zerstören.
Solche Kritik allein reicht jedoch nicht aus, um die Hamas von der Macht zu entfernen. Wollen die Palästinenser im Gazastreifen nicht wie Schlachtschafe behandelt werden, müssen sie gegen die Hamas revoltieren und sich von Katar und dem iranischen Regime distanzieren. Bis dahin werden leider weiterhin Palästinenser geopfert werden, um die Terrororganisation der Muslimbruderschaft und die Herrscher von Katar und Iran zu beschwichtigen.
Khaled Abu Toameh ist preisgekrönter Journalist für arabische und palästinensische Angelegenheiten, der früher für die Jerusalem Post tätig war. Er ist Senior Distinguished Fellow am Gatestone Institute und Fellow am Jerusalem Center for Public Affairs. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)