In dieser Reihe stellen wir die jüdische Dichterin und Widerstandskämpferin Chana Szénes vor. Sie emigrierte 1939 als 18-Jährige von Ungarn nach Palästina, wo sie sich 1943 einer Freiwilligeneinheit des britischen Geheimdienstes anschloss, deren Ziel es war, als Fallschirmspringer über feindlichem Gebiet abzuspringen, um abgeschossene britische Piloten und Juden zu retten.
Von Kairo aus geht es nach Bari, wo die jüdischen Fallschirmspringer auf ihren Einsatz warten. Alliierte Soldaten und Offiziere sind verblüfft, eine Frau zu sehen, die mit einem Fallschirm hinter feindlichen Linien abspringt. Yoel Palgi erlebt den Antisemitismus britischer Offiziere und feiert zusammen mit dem italienischen Zionisten Enzo Sereni den Beginn des Pessach-Fests 1944.
Chana Szénes war in der ersten Gruppe, die aus Kairo zur Mission in Europa abreiste. Sie und Yoel Palgi würden einander erst Monate später in Jugoslawien wiedersehen. Zu jenen, die mit Chana nach Bari flogen, gehörte der Jugoslawe Reuven Dafni. Er erinnerte sich später, Chana sei begeistert gewesen, als sie erfuhr, dass er mitkäme. Während des Fallschirmspringertrainings habe sie ihm geholfen, seine enorme mentale Anspannung zu überwinden: »In diesen schrecklichen, schwierigen Momenten vor den Sprüngen, wenn mein Herz vor Angst hämmerte, dachte ich an Chana und ihre tröstenden Worte der Ermutigung und fühlte mich entspannt und beruhigt.«
Am 14. März 1944 wurden sie gemeinsam mit Enzo (Hayim) Sereni, dem Italiener, nach Bari in Apulien geflogen. Reuven Dafni schreibt:
»Nach 13 Stunden Flug erreichten wir die italienische Küste und verbrachten den nächsten Tag in einem Dorf in der Nähe der Stadt. Sereni atmete leichter, nun, da er in seinem Heimatland war, fühlte sich frei und beschwingt. Er plauderte mit jedem, den er traf, spielte mit den Kindern, streichelte sie, gab ihnen Süßigkeiten. Von Zeit zu Zeit kam er zurück, um zu berichten, was er gesehen und gehört hatte.«
An jenem Abend hätten Enzo und Chana einen hitzigen Streit gehabt: »Chana konnte seine Vergebung und Toleranz gegenüber den Italienern nicht akzeptieren, nachdem diese das schutzlose Tel Aviv grausam bombardiert hatten, was ihr noch frisch im Gedächtnis war.«
Wie Dafni und Palgi festhielten, war Chana Szénes im Umgang nicht immer einfach. Das erinnert daran, dass sie in ihrem Tagebuch von häufigem abendlichem Streit mit Miryam, ihrer Zimmergenossin und einzigen Freundin in Nahalal, berichtet hatte, der andere Bewohner genötigt hatte, um Ruhe bitten zu müssen. – Wenn er Chanas »Kraft, Entschlossenheit und Leidenschaft« beobachtete, habe er sich gefragt, ob er mit ihr zusammenarbeiten könnte, so Dafni:
»Wie konnte dieses junge Mädchen, das noch so unerfahren war, so viel Selbstvertrauen haben? Woher nahm sie ihre Stärke und ihren Mut? Ich war überzeugt, dass sie stur und schwierig im Umgang sein würde. Ich erzählte Sereni von meinen Gefühlen und er antwortete: ›Sie wird sicher nicht einfach sein, aber glaub mir – und vergiss das nie –, sie ist ein ungewöhnliches Mädchen.‹«
»Das stimmte«, so Dafni: »Sie war furchtlos und keiner von uns war so sicher, dass unsere Mission gelingen würde, wie sie. Kein einziges Mal erwog sie die Möglichkeit des Scheiterns; kein einziges Mal erlaubte sie, dass wir entmutigt würden. Sie erklärte mit eiserner Logik, wie wir aus jeder Schwierigkeit herauskämen, und ihre innere Überzeugung bestärkte uns.«
Zwar habe sie Augenblicke gehabt, in denen auch ihr der Mut schwand, doch aus der »Tiefe ihres Seins« sei stets neue Kraft gekommen: »Als man uns am 13. März 1944 sagte, dass wir uns bereit zur Abreise machen sollten, war sie überglücklich. Sie sang den ganzen Weg zurück zu dem Dorf, in dem wir einquartiert waren, und brachte uns dazu, mitzusingen.«
Am Flugplatz
Am Flugplatz trafen sie den britischen Offizier, der für ihre Mission verantwortlich war. Dieser war überrascht, »eine Frau unter uns zu sehen«, so Dafni. »Die britischen Jungs, die im großen Fallschirmlager arbeiteten, wohin wir gebracht wurden, um unsere Gurte anzulegen, konnten nicht aufhören, Chana anzustarren und ihr Erstaunen nicht verbergen.« Der Quartiermeister, ein schottischer Sergeant, der Dafni beim Anlegen des Fallschirms half, sagte mit einiger inneren Bewegung: »Ich kann es nicht glauben. Ich arbeite schon lange hier und habe Hunderte von Fallschirmspringern ausgerüstet, aber noch nie eine Frau. Wenn ich das meinen jüdischen Freunden in England erzählen würde, würden sie mir nicht glauben.«
Auch eine Gruppe Fallschirmspringer, offenbar Amerikaner, sei überrascht gewesen. Sie hatten angenommen, Chana sei die Ehefrau eines Fallschirmspringers. »Als sie uns wieder trafen, just vor unserem Abflug, waren sie baff, sie zu sehen, und einer von ihnen, extrem bewegt, ging zu ihr hin und schüttelte ihr die Hand. Chana verstand den Handschlag nicht, doch ihre charmante und einfache Reaktion brachte den erstaunten Amerikaner vollends aus dem Gleichgewicht.«
Vor dem Abflug schrieben die Mitglieder der Gruppe noch einige Briefe. Chana schrieb an Yehuda Braginsky, Sekretär des Kibbuz Givat Hashlosha, der für den Mossad Aliya Bet die Einwanderung aus Polen nach Palästina organisierte und Chana mit der Mission betraut hatte.
Es war ihr wichtig zu betonen, dass niemand sie gedrängt habe und aus eigenem Antrieb handle: »Ich gehe glücklich und aus meinem eigenen freien Willen, in vollem Bewusstsein der kommenden Schwierigkeiten. Ich betrachte meine Mission als Privileg und gleichzeitig als Pflicht. Überall und unter allen Bedingungen wird der Gedanke helfen, dass ihr alle hinter uns steht.« Dann drängte sie Braginsky, auf Geheimhaltung zu achten – um die es wohl nicht zum Besten stand –, da ansonsten ein »sehr hoher Preis zu zahlen« sei. Sie dankte ihm ferner für die Hilfe und Freundlichkeit, die er jederzeit gezeigt habe.
An ihre Mutter, die noch in Budapest war, schrieb sie am 13. März 1944: »Meine liebe Mutter, in ein paar Tagen bin ich dir nah – und doch so fern. Verzeih mir, versuch mich zu verstehen. Ich schicke dir tausend Umarmungen …«
Am selben Tag schrieb sie aus Bari einen Brief an ihre Freunde im Kibbuz Sdot Jam: »Mitglieder des Kibbuz Caesarea, liebe Freunde! Zu Wasser, zu Land und in der Luft, in Krieg und Frieden, wir alle verfolgen ein Ziel. Jeder von uns wird standhaft bleiben. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Aufgaben. Ich werde oft an euch denken, denn das gibt mir Kraft. Ich sende euch, meine Freunde, herzliche Grüße, Chana.»
Enzo Sereni
Als Chana Szénes sich in Bari auf den Absprung über Jugoslawien vorbereitete, war Yoel Palgi noch in Kairo. An den Flug nach Bari erinnerte er sich so:
»Peretz und ich starteten im Morgengrauen. Unser erster Halt war Bari in Süditalien, das inzwischen in britischer Hand war. Im Tiefflug setzte unsere Maschine auf dem lockeren Boden eines Flugplatzes auf, wurde langsamer und schwankte in Richtung einer riesigen Scheune. Unsere Reisegefährten, ein britischer Brigadegeneral und ein Major, zückten lässig ihre Pfeifen und stopften sie, während sie uns beobachteten. Offenbar fragten sie sich, was eigentlich unser Job sei. Peretz und ich falteten unsere Decken zusammen, zogen unsere Overalls aus, packten unsere Ausrüstung zusammen, schulterten unsere Maschinenpistolen und machten uns bereit, das Flugzeug zu verlassen.«
Am Flugplatz wurden sie von zwei Männern erwartet. Der eine, ein groß gewachsener, britischer Offizier, winkte. Der andere, ein kleiner Mann mit Brille in Zivilkleidung, war Enzo Sereni, der sie mit Küssen begrüßte. »Er lief zwischen den Gepäckstücken hin und her, gab den Gepäckträgern auf Italienisch Anweisungen, erklärte dem britischen Offizier etwas auf Englisch und sprach Hebräisch mit uns. Wir verstanden kaum etwas von seinem Redefluss, freuten uns aber, Enzo voller Energie und Enthusiasmus umherflitzen zu sehen.«
Schließlich war das Gepäck im Auto und es ging Richtung Bari. Yoel erkundigte sich nach dem aktuellen Stand: Was würden sie tun? Wann geht es weiter nach Jugoslawien?
»Enzo antwortete nicht und hörte auch nicht zu. Er war damit beschäftigt, auf Passanten zu zeigen, Kinder und junge Frauen. ›Seht, Italiener!‹ Er konnte sich nicht beruhigen. Italien war das Land, in dem er geboren war, das Land, das er liebte und hasste – er hasste sein Regime, liebte sein Volk.
Von dem Augenblick unserer Ankunft an ließ er uns keine Pause. Kaum hatten wir den Staub der Reise abgeschüttelt, schleifte er uns durch die Straßen, in Kirchen, an den Strand, durch kurvenreiche Gassen und sagte jedes Mal, wenn wir an einem Mädchen vorbeikamen: ›Seht! Prächtig! Die Tochter eines Adeligen!‹ Ich ärgerte Enzo gern. ›Deine aristokratischen Mädchen laufen barfuß durch die Stadt und verkaufen sich für eine Dose Konfitüre‹, stichelte ich. Seine Stimmung änderte sich und wurde ernst: ›Diese Nation wurde von den Faschisten zerstört. Aber sie wird wieder aufleben. Die Italiener sind ein altes, kultiviertes Volk, beinahe wie wir.‹
Während er sprach, nahm er die Zigaretten aus meiner Tasche und verteilte sie an die Leute auf der Straße. Dann ließ er uns Süßigkeiten kaufen und sie den Kindern geben. ›Man muss Herz haben‹, belehrte er uns. ›Ohne Herz kommt man nicht weiter. Wer das Leid anderer nicht mitfühlt, spürt auch das Leid unseres eigenen Volks nicht.‹«
Er sei »wie Quecksilber« gewesen. Immerfort schwärmend, erklärend und argumentierend. Palgi fiel auf, dass Enzo Sereni nur selten einen Ausweis bei sich trug. Er habe Kommandoposten, Flugplätze und Militärlager mit einer solchen Selbstsicherheit betreten, dass ihn niemand aufgehalten habe.
»Wagte ein Wachmann zu fragen, was er hier mache, fixierte er den armen Mann mit einem so durchdringenden Blick, dass dieser verwirrt reagierte und sich entschuldigte. Die britischen Offiziere murrten, dass Enzo in Zivil ungestört herumlief, während sie, Offiziere in Uniform, ihre Papiere vorzeigen mussten. Für Enzo war es eine Art Spiel, aber für uns war es eine Lehre. ›Selbstbewusstsein zählt, nicht Dokumente‹, erklärte Enzo. Ich verfolgte jede seiner Bewegungen und lauschte jedem seiner Worte und fühlte mich glücklich und privilegiert, diesen außergewöhnlichen Mann kennengelernt zu haben.«
In Kairo hatte Yoel Palgi eine Nachricht vom Haganah-Hauptquartier (HQ) erhalten, die er Enzo Sereni nun mitteilte: Enzo solle sofort nach Palästina zurückkehren. »Kommt nicht in Frage!« – »Du musst. Das HQ argwöhnt, dass du in den Norden gehen willst.« Norditalien war damals noch unter NS-Herrschaft. »Was, wenn? Ist es nicht unsere Pflicht, die wenigen überlebenden Juden dort zu retten?«, fragte Sereni.
Palgi erklärte, dass es dort keine Juden mehr gebe (was, wie wir heute wissen, nicht korrekt war; noch bis April 1945 fanden Deportationen statt) und er nicht berechtigt sei, auf eigene Faust zu handeln. »Was ist mit Autorität, Enzo, Disziplin?« – »Disziplin? Ich höre auf meine eigene Disziplin!«
Enzo Sereni legte die Hand aufs Herz und sagte: »Das HQ weiß nicht, was vor sich geht.« Er habe verlässliche Informationen. Es gebe Juden in Norditalien und er müsse zu ihnen. Palgi legte noch einmal seine Sicht dar. Doch Sereni ließ sich nicht überzeugen: »Unsinn«, sagte er. Er holte einen Brief heraus. »Schau, hier habe ich einen Brief von meinem kleinen Jungen. Er schreibt: ›Papa, selbst wenn du stirbst, ist es das Wichtigste, mutig zu sein!‹ Aber ich werde nicht sterben. Ich werde leben.«
Pessach-Fest in Bari
Es war der 6. April 1944, einen Tag vor Beginn des Pessach-Fests. An jenem Abend erfuhr Yoel Palgi, dass er am nächsten Tag über Jugoslawien abspringen würde. Enzo Sereni gab ihm ein Päckchen. »Dieses Päckchen ist alles, was du für den Seder brauchst. Ein Pessach-Mahl im Flugzeug, über feindlichem Territorium, just bevor du springst! Das wird eine der Geschichten in dem Buch, das ich über diese Operation schreiben werde.« Doch der Abflug wurde wegen ungünstigen Wetters verschoben. Und so konnten Yoel Palgi und Enzo Sereni den Beginn des Pessach-Fests gemeinsam feiern, mit einer bei Bari stationierten jüdisch-palästinensischen Transporteinheit.
Am nächsten Tag ging es endlich los, die Zeit der Verzögerungen war vorbei. Sereni stand neben dem Auto, das Yoel Palgi und Peretz Goldstein zum Flugplatz bringen sollte, und sagte: »Du bist nicht böse, dass ich nicht mitkomme? Einige unserer Soldaten im Lager veranstalten eine zweite Pessach-Feier und da will ich hin.« Yoel wollte ihm zum Abschied die Hand schütteln, doch Enzo zog stattdessen seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn auf die Wange. »Mach mir keine Schande«, sagte er, »wir sehen uns zu Hause«.
Palgi und Goldstein fuhren mit zwei Briten namens McCoy und Grandeville, die aber, wie Palgi vermutete, nicht ihre echten Namen waren, zu einem Lagerhaus, in dem die Fallschirme aufbewahrt wurden. Jeder Schirm hatte ein Schild mit Datum und Namen desjenigen, der ihn gefaltet hatte. Sollte sich ein Fallschirm nicht öffnen, würde diese Person zur Verantwortung gezogen werden.
Der Quartiermeister schlug vor, dass jeder einen Fallschirm gemäß seiner Lieblingsfarbe oder Glückszahl wählen sollte. Als er erfuhr, dass Yoel Palgi und Peretz Goldstein aus Palästina kämen, erinnerte er sich gleich an Chana Szénes: »Ich habe Hunderte Fallschirmspringer ausgerüstet, aber nur eine Fallschirmspringerin. Sie war aus Palästina und die erste Person, die ich erlebt habe, die hinter feindlichen Linien abgesprungen ist und wirklich keine Furcht hatte.«
Antisemitismus
Die Ausrüstung wurde in einen wartenden Halifax-Bomber verladen. Beim Abendessen mit britischen Offizieren erzählten diese, dass italienische Fallschirmspringer fünfmal zu einem Einsatz nach Norditalien geflogen worden seien und sich jedes Mal geweigert hätten, zu springen: »Sie sind nicht scharf drauf, ihr Leben zu riskieren. Sie melden sich freiwillig des Geldes und des Essens wegen, das sie beim Training bekommen.«
Palgi wurde innerlich erregt. War es das, was die Briten auch von ihnen dachten? »Wir akzeptieren keinen Lohn«, sagte er, »obwohl wir ein Anrecht auf das Gehalt eines Armeeoffiziers hätten«. Es herrschte Stille. Wahrscheinlich glaubten sie ihm nicht, dachte er. Dann fragte einer der Briten nach dem Grund. Palgi erklärte, ihre Mission sei, Juden vor der Vernichtung zu retten. Geld zu nehmen komme nicht infrage. Die Offiziere waren nicht überzeugt, begannen aber, über Palästina und die jüdische Frage zu sprechen. Einer sagte, Palästina werde durch die Ausbeutung arabischer Arbeiter entwickelt. Yoel Palgi erinnerte sich:
»Sie wussten nichts oder wollten nichts über Kibbuzim, jüdische landwirtschaftliche Pionierarbeit und die Urbarmachung von Ödland wissen. Ein junger Offizier schien den Konsens zu vertreten: ›Vielleicht sind Sie Ausnahmen, aber ich kenne Juden in England und wenn Sie uns erzählen wollen, dass sie nach Palästina gehen und die Wildnis mit ihren eigenen Händen zum Blühen bringen, lache ich Ihnen ins Gesicht. Sie werden nur gehen, wenn man sie vertreibt, und sie werden die armen Araber dort genauso ausbeuten, wie sie es mit dem britischen Arbeiter machen.‹«
Für Palgi war es nicht einfach, auf Englisch zu diskutieren. Ärgerlich und deprimiert verließen sie die Runde. Da fühlte er, wie jemand seine Schulter berührte. Es war Sergeant Grandeville, der junge Mann mit den schwarzen Augen: »Ich wollte Ihnen sagen, dass ich Jude bin.« Er war als Junge aus Österreich geflohen und habe auf einer Farm in England gearbeitet. Er hoffte, die britische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Er mache sich nichts vor, es gebe viele Antisemiten in England, aber es sei dennoch die zivilisierteste Nation der Welt. Zum Judaismus habe er keine Verbindung, aber was Palgi und Peretz Goldstein über die Vernichtungslager erzählt hätten, habe ihn schockiert und dazu geführt, dass er sich plötzlich mit dem jüdischen Volk identifiziere.
Palgi sagte zu ihm: »Wir werden versuchen, Freunde zu sein. Aber du sollst wissen, dass wir hier auf einer zweifachen Mission sind. Erstens, unser eigenes Volk zu retten. Zweitens, das Kriegsende zu beschleunigen. Und da du Jude bist, betraue ich dich auch mit der ersten Mission.« – »Ich helfe, so viel ich kann«, flüsterte der Sergeant.
Zahlreiche schwere Bomber erhoben sich in die Luft. »Es muss irgendwo einen Angriff geben, mehr als hundert Flugzeuge haben abgehoben«, sagte Yoel Palgi vor sich hin. »Nein«, wurde er von jemandem belehrt, »von hier aus fliegen sie keine Angriffe. Sie fliegen nach Polen, 120 Flugzeuge mit Fallschirmspringern und Propagandamaterial.« – »Polen?« Yoel war verblüfft.
»Wo kamen die Flugzeuge her? All die Monate waren die Ghettokämpfer kein Grund gewesen, auch nur ein einziges Flugzeug zu schicken. Der jüdischen Gemeinschaft Palästinas war es nicht gestattet gewesen, eine Person mit einer Botschaft der Hoffnung an den jüdischen Widerstand zu schicken, der so brutal zerschmettert worden war. Unter den Hunderten von Fallschirmspringern, die diese Nacht abspringen würden, war kein einziger palästinensischer Jude. In den Wäldern Europas würden die jüdischen Partisanen weiter warten – das heißt, falls sie noch da waren.«
Palgi lehnt den Cognac ab, der ihm angeboten wurde, andere tranken gegen die Angst. Dann stiegen alle ins Flugzeug. Das Ziel: Jugoslawien, das Land der Partisanen.
Enzo Serenis Tod
Enzo Sereni sprang am 15. Mai 1944 im Alter von 39 Jahren über Norditalien ab. Er wurde von deutschen Einheiten gefasst, in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert und am 18. November 1944 im KZ Dachau erschossen. Ein Schiff der Haganah mit dem Namen Enzo Sereni brachte zwischen 1946 und 1948 Tausende illegale jüdische Einwanderer nach Eretz Israel. Gekauft hatte es Yehuda Arazi, der in Italien die Aliyah Bet, die klandestine Auswanderung nach Palästina, organisierte und das Vorbild für den Charakter Ari Ben Canaan in Leon Uris’ RomanExodus wurde.
Auch Enzos Frau Ada spielte bei dem Kauf des Schiffs eine Rolle. Sie übernahm später Arazis Stellung als Leiterin der italienischen Aliyah Bet. Enzo Sereni ist Autor eines 1936 erschienenen Buchs über Araber und Juden in Palästina. Postum wurde sein Buch Die Wurzeln des italienischen Faschismus veröffentlicht, dazu ein Band mit Tagebüchern und Briefen. Der Kibbuz Netzer Sereni, südöstlich von Tel Aviv, ist nach ihm benannt.
In der Serie »Nur die Sterne waren nah« bisher erschienen:
- Teil 1: Die jüdische Widerstandskämpferin Chana Szénes
- Teil 2: Hinwendung zum Zionismus
- Teil 3: Sehnsucht nach Eretz Israel
- Teil 4: Das Zertifikat
- Teil 5: Ankunft und Eretz Israel
- Teil 6: Bomben auf Haifa und Tel Aviv
- Teil 7: Im Kibbuz Sdot Jam
- Teil 8: Palmach
- Teil 9: Gyuris Flucht
- Teil 10: Union Jack und Menora
- Teil 11: Haganah gegen Hitler
- Teil 12: Abschied von Eretz Israel
- Teil 13: Hitzige Diskussionen in Kairo
- Teil 14: Schwere Stunde