Mehr als ein Jahrzehnt nach dem brutalen Angriff des Islamischen Staates auf das jesidische Kerngebiet Shingal im Nordirak ist das Schicksal von etwa 2.500 Menschen weiterhin ungewiss.
Hussein Qaidi, der Leiter des Büros für die Rettung entführter Jesiden, das der Präsidentschaft der Region Kurdistan angegliedert ist, erklärte am vergangenen Sonntag gegenüber Rudaw, »dass bis heute etwa 2.500 Jesiden vermisst [werden], von denen sich die meisten vermutlich in Syrien, insbesondere im Nordosten [Rojava], befinden«.
Am Freitag veranstalteten Familienangehörige der Vermissten eine Kundgebung in Shingal und forderten die irakische Regierung auf, Druck auf die neuen Behörden in Syrien auszuüben, sie bei der Suche nach ihren Angehörigen zu unterstützen. Qaidi merkte an, dass einige der Vermissten vermutlich im berüchtigten Lager al-Hol im Nordosten Syriens festgehalten werden, während andere möglicherweise ins Ausland gebracht wurden.
Das Lager al-Hol in der syrischen Provinz Hasaka beherbergt derzeit über 40.000 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder mit mutmaßlichen oder bestätigten Verbindungen zum IS. Die Mehrheit der Lagerbewohner sind Iraker und Syrer; die Sicherheit wird von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) gewährleistet. Seit der Niederlage des IS im Irak (2017) und in Syrien (2019) steht al-Hol als potenzieller Nährboden für Extremismus im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit.
Sexsklaverei und Zwangsarbeit
Nach Angaben Qaidis habe seine Behörde, die direkt dem Präsidenten der Region Kurdistan, Nechirvan Barzani, unterstellt ist, bisher 3.587 Jesiden befreit, unter ihnen Frauen, Männer und Kinder, die während des IS-Angriffs auf Shingal und Umgebung im Jahr 2014 entführt wurden.
Im Juni 2014 eroberte der IS große Teile des Nordens und Westens des Iraks. Zwei Monate später startete die Organisation eine verheerende Kampagne gegen die jesidische Gemeinschaft in Shingal und entführte 6.417 Frauen und Kinder, von denen viele zu sexueller Sklaverei und Zwangsarbeit gezwungen wurden. Ungefähr 200.000 Menschen wurden während des Angriffs aus Shingal vertrieben, und viele leben weiterhin in Vertriebenenlagern in der Region Kurdistan, insbesondere in der Provinz Duhok. Die Vereinten Nationen haben die Verbrechen des IS gegen die Jesiden offiziell als Völkermord anerkannt.
Hussein Qaidi bestätigte, dass die geretteten Jesiden zwar nun frei seien, aber dringend psychologische Hilfe benötigen. Er verwies auf ein Abkommen zwischen der Regionalregierung Kurdistans (KRG) und der deutschen Regierung aus dem Jahr 2015, wonach rund 1.090 Überlebende zur Behandlung nach Deutschland überstellt wurden. Seitdem gibt es ähnliche Vereinbarungen mit Australien, Kanada und den USA. »Diejenigen, die zur psychologischen Behandlung ins Ausland gehen, können nach eigener Entscheidung zurückkehren oder in diesen Ländern bleiben«, sagte Qaidi.