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Nach den Raketenangriffen ist vor den Raketenangriffen

Eines der israelischen Opfer der Raketenangriffe aus Gaza wird im Kibbuz Givat Brenner zu Grabe getragen
Eines der israelischen Opfer der Raketenangriffe aus Gaza wird im Kibbuz Givat Brenner zu Grabe getragen (© Imago Images / Xinhua)

Es waren ereignisreiche Tage auf Israels politischer und militärischer Ebene, aber auch an der zivilen Front, die nicht nur Raketen und Luftangriffe, sondern zudem unerwartete Entwicklungen brachten.

Die vergangene Woche war vom Kriegsszenario zwischen Israel und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) gezeichnet. Am 9. Mai erfuhr die Welt, dass Israel in der Nacht im Gazastreifen drei ranghohe PIJ-Kämpfer getötet hatte und dabei auch unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen. Längst nicht nur die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete Francesca Albanese twitterte daraufhin, Israel begehe »Kriegsverbrechen«, da militärische Schläge »laut internationalem Recht nur in Reaktion auf bewaffnete Übergriffe zulässig« seien. Im Nachsatz warf sie Israel vor, den »Waffenstillstand vom August« (2022) verletzt zu haben.

Albanese war nicht die Einzige, welche den vorausgegangenen mehrtägigen Raketenbeschuss durch den PIJ Anfang Mai ausblendete, um Israel zum Kriegstreiber erklären zu können. Einmal ganz abgesehen davon, dass das Ausschalten seitens Israel der für die Angriffe verantwortlichen Terrorkommandeure sofort die UN und andere Israel-Kritiker auf den Plan ruft, berichteten die Medien auch nicht über die Angriffe auf Israel vor eineinhalb Monaten, als nicht nur aus dem Gazastreifen, sondern zudem aus dem Libanon und aus Syrien Raketen auf das Land gefeuert wurden.

Und niemand sprach über die direkte iranische Involvierung, also weder über Teherans Bemühungen, Terrorvereinigungen der Region gegen Israel zu vereinen noch über die Ereignisse von Ende März, als der Iran in Israels Norden mittels seines Handlangers Hisbollah terroristisch aktiv wurde. Nicht weiter erwähnenswert ist dabei wohl auch, dass der PIJ zu hundert Prozent vom Iran finanziert wird.

Zeitlich verzögerte Reaktion

Auf den Raketenbeschuss Anfang Mai reagierte Israel zeitnah, jedoch zurückhaltend, denn hinter verschlossenen Türen beschloss man, dieses Mal anders darauf zu antworten als mit reinen Vergeltungsangriffen. Die ins Auge gefasste Liquidation der verantwortlichen Terroristen, erforderte allerdings, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, zu dem alle Bedingungen erfüllt waren, um zeitgleich auf die Sekunde drei PIJ-Anführer töten zu können. Und diese Gelegenheit kam erst eine gute Woche nachdem der PIJ seine bis zum damaligen Zeitpunkt letzten Raketen gegen Israel abgeschossen hatte.

Zwar vernahm man aus dem Gazastreifen nur wenige Stunden nach dem Schlag gegen den PIJ Vergeltungsdrohungen der Hamas, doch nichts dergleichen geschah. Es verstrichen Stunden um Stunden, ohne dass Israel seine Zivilisten vor einem Raketenangriff warnen musste. Der PIJ, der selten zögert, Raketen abzusetzen, verhielt sich ruhig. Das ließ Israel spekulieren, ob sich der PIJ erst reorganisieren müsse. Wird die Zeit genutzt, um mehr Schlagkraft zu mobilisieren? Oder verstreichen die Stunden, um die Hamas davon zu überzeugen, sich an der Kriegsrunde zu beteiligen?

Da keinerlei Zweifel bestanden, dass es zum Waffengang kommen würde, setzte Israel seine gewählte Reaktionsweise unbeirrt und konsequent fort. Anderthalb Tage nach den Liquidationen und ohne Raketenbeschuss aus Gaza nahmen israelische Kampfjets gezielt Stellungen des PIJ unter Beschuss. Wer den Gesamtkontext nicht berücksichtigt, konnte zu diesem Zeitpunkt erneut behaupten, Israel sei der Aggressor, der die nachfolgende Eskalationsrunde nicht nur in Gang setzte, sondern auch noch anheizte.

Fortsetzung bekannter Taktik 

Israel führte im Zuge der Militaätoperation Schild und Pfeil 422 Luftangriffe gegen PIJ-Stellungen im Gazastreifen durch und liquidierte drei weitere hochrangige PIJ-Kämpfer, darunter solche, die dafür bekannt sind, ihre Mitbürger als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, wodurch der Terrorvereinigung auf Entscheidungs- wie Operationsebene empfindlicher Schaden zugefügt wurde.

Trotz dieser Taktik hat Israel dem Gazastreifen gegenüber weiterhin keine langfristige Strategie, weshalb die altbekannten, von dem »eigenständigen Terrorstaat« ausgehenden Probleme bestehen bleiben und der Countdown bis zu den nächsten Raketenangriffen auf Israels Zivilisten längst wieder läuft. Es dauert denn auch keine 48 Stunden, bis nach dem Inkrafttreten der Feuerpause schon wieder neue Drohungen zu hören waren, als der PIJ verkündete, auch weiterhin seine Kampagne gegen Israel zu führen, um »eine Veränderung des Status quo in der Al-Aqsa-Moschee zu unterbinden«. All das verweist darauf, dass bereits 18./19. Mai das nächste Raketenfeuer auf Israel niedergehen könnte, wenn das Land den Tag der Wiedervereinigung von Jerusalem begeht.

Trotz fehlender langfristiger Strategie setzt Israel seit der Militäroperation Schwarzer Gurt im November 2019 eine neue Taktik um, im Zuge derer man nicht mehr nur reagieren, sondern auch initiativ tätig werden möchte. Schon damals wartete Israel nicht auf den nächsten Schlag des PIJ, sondern nahm die Organisation gezielt ins Visier. So wurde 2019 der PIJ-Kämpfer Baha Salim Abu al-Ata ausgeschaltet, im Sommer 2022 ereilte seinen Nachfolger Tayseer al-Jabari bei der Militäroperation Morgengrauen das gleiche Schicksal, damals unter Premierminister Yair Lapid.

Die Umsetzung der gewählten Vorgehensweise überlebt den Regierungswechsel – und sollte angesichts des Frohlockens der Feinde Israels, das Land sei wegen der inneren Konflikte geschwächt, noch zusätzliche Botschaft aussenden: Israel hält nach wie vor zusammen, wenn es um die Sicherheit des Landes geht.

Erste Schlussfolgerungen

Natürlich feierte der PIJ »seinen Sieg« und postulierte, Israels angespanntes Warten auf die ersten Raketeneinschläge werde künftig zur psychologischen Kriegsführung gehören. Der PIJ sieht es zudem als großen Erfolg an, eine ganze Region Israels lahmgelegt und mehrere Millionen Zivilisten in die Schutzräume geschickt zu haben. Doch vor allem Bürger, die in unmittelbarer Grenznähe wohnen, machen immer wieder deutlich, dass sie bereit sind, langanhaltende Einschränkungen für eine längere Ruheperiode in Kauf zu nehmen. 

Außerdem stellte sich Israels Evakuierungsplan als Erfolg heraus. Der erstmals in großem Rahmen umgesetzte Schubladenplan bescherte Zehntausenden von Frauen, Kindern und Senioren einen unerwarteten Kurzurlaub. Armee, Bergungs- und Rettungskräfte waren froh, sich um sehr viel weniger Zivilisten sorgen zu müssen als in vergleichbaren früheren Waffengängen.

Der PIJ verfügt über gut gefüllte Waffenarsenale. Innerhalb von dreieinhalb Tagen wurden 1.478 Raketen gegen Israelabgefeuert, von denen die große Mehrheit jedoch in freiem Gelände niederging, und 95 Prozent jener Raketen, die in bewohnten Gebieten eingeschlagen wären, zerstörte Israel mit seinen Abwehrsystemen. Gefeiert wurde vom PIJ zudem, Raketen bis Tel Aviv und in die Nähe Jerusalems geschossen zu haben. Das allerdings bescherte Israel eine wichtige Premiere: die ersten erfolgreichen Verteidigungsoperationen des seit 2017 einsatzbereiten Raketenabwehrsystems Davids-Schleuder.

Rund zwanzig Prozent der PIJ-Raketen gingen in Gaza selbst nieder, wodurch mindestens drei Palästinenser getötet und mehrere Dutzend verletzt wurden; 2022 kamen solche Fehlschüsse noch häufiger vor und sorgten für viel Unmutbei den Einwohnern Gazas. Zwar hatte Israel auch ein Todesopfer zu beklagen – eine ältere Frau, die es nicht mehr in den Schutzraum schaffte und deren Haus wegen eines technischen Fehlers des Iron-Dome-Systems getroffen wurde –, und der PIJ tötete zudem einen Palästinenser auf israelischem Hoheitsgebiet. Der mehrfache Familienvater, der zu den fast 20.000 Gaza-Einwohnern gehört, die täglich in Israel ihren Lebensunterhalt verdienen, hörte den Alarm auf der entlegenen Baustelle nicht. Israel erkannte ihn als Terroropfer an, sodass seine Hinterbliebenen Sozialleistungen aus Israel erhalten.

Hamas hielt sich raus

Bislang dauerten jene Gefechtsrunden, die Israel ausschließlich mit dem PIJ austrug, nie länger als 48 Stunden. Damit bewies der PIJ dieses Mal mehr Durchhaltevermögen, was nicht verwundern darf, denn pro Kampftag gegen Israel klingelt die Kasse der Terrororganisation, da der Iran für jeden Tag der geführten Auseinandersetzung fünf Millionen Dollar Prämie versprochen hatte.

Eine weitere Besonderheit dieser Runde steht ebenfalls mit dem schnöden Mammon in Verbindung. So wie auch schon 2019 und 2022 beteiligte sich die Hamas nicht an den Kampfhandlungen. Will sie an der Macht bleiben, ist sie als »Regierungspartei« – im Gegensatz zum PIJ – der Bevölkerung verpflichtet. Keine Rakete abzufeuern brachte ihr zwar jede Menge Unmut des Iran ein und nagt zudem am Image der Terrorvereinigung, eine gewichtiger Gegenspieler direkt vor Israels Haustür zu sein, dennoch profitierte die Hamas von ihrem Stillhalten: Die Arbeiter aus Gazain Israel bringen gutes Geld nach Hause und der Geldtransfer aus Katar geriet ebenso wenig ins Stocken wie die dringend benötigten Güterlieferungen aus Israel.

Für Israel sind es gute Nachrichten, dass der erste große Test der neuen Bündnisfront, die der Iran mit viel Energie und Geld aufbaut, fehlschlug und das Ayatollah-Regime einigermaßen kläglich dastehen lässt. Der PIJ kämpfte alleine. Sowohl die Hamas wie auch die Hisbollah im Libanon steuerten lediglich verbale Drohungen bei. Im Westjordanland blieb es zwar nicht ruhig, aber aus dem Ruder lief die Situation nun auch nicht, vielmehr konnte Israel eine weitere Terrorzelle ausschalten.

Das dürfte zudem bedeuten, dass die verschiedenen Terrorvereinigungen, die Blutspuren in und um Israel hinterlassen, in nächster Zeit vorrangig die Abrechnung untereinander, aber auch innerhalb der eigenen Reihenbeschäftigen wird. Noch dürften die Messer nicht gezückt sein, aber gewetzt werden sie bestimmt schon.

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