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Netanjahus Achterbahnfahrt auf Israels Premier-Sessel

Israels Premier Netanjahu dürfte sich den Beginn seiner (neuen) Amtszeit wohl leichter vorgestellt haben
Israels Premier Netanjahu dürfte sich den Beginn seiner (neuen) Amtszeit wohl leichter vorgestellt haben (© Imago Images / APAimages)

Auf den ersten Blick wirkt Israels Regierung homogen: rechtskonservativ, religiös und nationalbewusst. Likud-Vorsitzender Netanjahu tat sich dennoch schwer, seine Wunschpartner zum Koalieren zu bewegen. Nur wenige Wochen im Premieramt nimmt sein Achterbahnritt erst richtig an Fahrt auf.

Benjamin Netanjahu darf sich zahlreicher »Titel« rühmen. Er wurde häufig als Magier bezeichnet, weil er selbst in schwierigsten Situationen eine rettende Trumpfkarte aus dem Ärmel zauberte. Erst vor wenigen Wochen kramte Times of Israel-Chefredakteur David Horowitz einen Netanjahu bereits 2012 vom Magazin Time verliehenen Titel wieder aus: »Jetzt will Netanjahu wirklich ›King Bibi‹ werden.«

Israels zeitweise die Oppositionsbank drückender Langzeit-Premier war sich bereits in der Wahlnacht sicher, wieder Regierungschef zu werden. Falsch lag er allerdings mit der Ankündigung, Israel werde nun im Handumdrehen eine Regierung haben und nach fünf Wahlen in vier Jahren werde endlich wieder Stabilität einkehren. Zwar gelang es ihm, eine Koalition aus seinen Wunschpartnern zusammenzustellen, die er schon am Wahlabend als »gut für Israel« gepriesen hatte, weil die Führung des Landes dann »durch und durch rechts« sein würde. Doch bereits die Koalitionsverhandlungen kündigten an, mit welchen Stolpersteinen der Regierungsalltag gepflastert sein könnte. 

Wie Netanjahus Likud die mandatsstärkste Partei einer Koalition zu sein, bringt eben nicht automatisch die heißersehnte Vormachtstellung ein; und ein Bündnis aus Parteien, die demselben politischen Lager angehören, ist bei Weitem kein Garant für traute Einigkeit.

Breitseite aus eigenen Reihen

Im Lauf der Koalitionsverhandlungen hörte man von mehreren Likud-Abgeordneten vom Aufkommen zunehmender Frustration. Ein Ministerium nach dem anderen wurde den Koalitionspartnern zugesprochen, während sie, immerhin Abgeordnete der regierungsbildenden Partei, leer ausgingen. Natürlich haben Likud-Veteranen dennoch wichtige Posten ergattert, aber Netanjahus Macht-Striptease hat im Parteigefüge Spuren hinterlassen. So tritt der nach wie vor gekränkte Likud-Abgeordnete David Bitan mittlerweile freimütig in aller Öffentlichkeit breit, dass sich sein Parteichef hinter verschlossenen Türen sehr wohl Sorgen wegen der wirtschaftlichen Folgen der Anti-Justizreform-Proteste mache. Zudem pflichtet er der Opposition bei und verkündet, dass nicht sicher sei, ob Netanjahu »die Geschehnisse noch unter Kontrolle hat

Ausgerechnet in diesen bewegten Tagen in Israels Geschichte belebte auch Benny Begin, der 2021 mit Gideon Sa’ar aus dem Likud ausscherte, erneut einen gegen Netanjahu gerichteten Vorwurf: Der heutige Likud habe nichts mehr mit der Partei zu tun, der er vor fünfzig Jahren beigetreten sei, sagte Begin in einem Radiointerview. Mehr noch: Im Likud sei nichts mehr von dem ideologischen Erbe des national-konservativ-revisionistischen Zionismus übrig, auf dessen Grundlage sein Vater Menachem Begin 1948 die Partei Herut gegründet hatte. 

Ebenso wenig könne man im heutigen Likud noch jene Partei erkennen, die sein Vater 1973 als Herut-Nachfolgeorganisation ins Leben gerufen und 1977 erstmals zum Wahlsieg geführt hatte, durch den die fast dreißig Jahre währende Regierung der israelischen Arbeiterpartei ein Ende fand. Begins Ausführungen sind Wasser auf die Mühlen einiger Likudniks, die schon früher nichts gegen Netanjahus »Entthronung« gehabt hätten.

Eine weitere Ohrfeige kassierte Netanjahu von seinem zum Justizminister ernannten Parteikollegen. Yariv Levin, aufgewachsen in einer über Generationen durch und durch von der Herut-Ideologie geprägten Familie, soll seinem Dienstherrn Netanjahu nach dem Dialog-Vorschlag von Staatspräsident Jitzhak Herzog mitgeteilt haben: Sollte es zu Kompromissen bei der Justizreform kommen, werde er zurücktreten und für das Ende der Koalition sorgen. 

Sowohl Levin als auch die Parteiführung dementierten das zwar umgehend, trotzdem könnte Levin Netanjahu vom Regen in die Traufe befördern. Zwar erklärte er sich bereit, auf die Herzog-Initiative einzugehen, doch so, wie er an die Sache herangeht, wird daraus kein Dialog werden, ja, noch nicht einmal ein Gespräch, bekräftigte er das unabwendbare, von ihm diktierte Endergebnis doch schon vorab: Die Justizreform wird inhaltlich planmäßig durchgezogen, einen Zeitaufschub wird es nicht geben.

Hiebe von rechts

Netanjahu hoffte, die drei Parteien zu seiner Rechten würden mehr Mandate erringen, wenn sie im Bündnis zur Wahl antreten. Diese Rechnung ging zwar auf, seine damit einhergehende Hoffnung, es bei der Regierungsbildung an dieser Flanke dann lediglich mit einem Verhandlungspartner, der intern koordinierte Forderungen stellt, zu tun zu haben, verflog aber nur allzu schnell. Jede der drei Parteien des Bündnisses – die Religiösen Zionisten unter Bezalel Smotrich, Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) unter Itamar Ben-Gvir und die Ein-Mann-Partei Noam von Avi Maoz – spielte ihre neugewonnene Macht voll aus, die ergatterten Regierungspositionen scheinen ihren Appetit nach mehr nur weiter angeregt zu haben.

Finanzminister Bezalel Smotrich lässt keine Gelegenheit aus, Schritt für Schritt seine Aspirationen in Sachen Annexion des Westjordanlandes umzusetzen. Weicht Netanjahu nur geringfügig von der ideologischen Linie ab, die Smotrich und Parteikollegen diesbezüglich vorgeben, so bekommt er eins auf die Finger. Smotrich boykottierte bereits wegen der Räumung eines Siedlungsaußenpostens eine Kabinettsitzung. Erst vor wenigen Tagen klagte er erneut von Netanjahu die volle Umsetzung der ihm in Zivilangelegenheiten der Westbank zugesprochenen Autorität ein; dass das Verteidigungsministerium übergeordnete Befugnisse hat, interessiert ihn nicht. 

Neben all dem Schlamassel um die Justizreform kommt auf Netanjahu nun in rasendem Tempo ein Machtkampf zwischen Finanzminister Smotrich und Verteidigungsminister Galant zu, in dem Smotrich bereits die Rote Karte zückte: Verletzung der Koalitionsabkommen. An Smotrichs Seite glänzt zudem dessen Parteikollege Simcha Rothman. Als Vorsitzender des Justizausschusses stößt Rothman bezüglich der Justizreform ins gleiche Horn wie Justizminister Levin, teilweise schlägt er sogar noch schärfere Töne an. Netanjahu hat in Sachen Justizreform also nicht nur seine eigenen Parteikollegen zu deichseln, sondern ist zudem mit einem maßgeblich involvierten Abgeordneten eines Koalitionspartners konfrontiert. 

Der Langzeit-Premier hat in der Vergangenheit schon Koalitionen mit weitaus mehr Parteien – darunter auch reichlich widerspenstige – auf gewünschter Linie gehalten, doch ausgerechnet in Sachen Justizreform sind ihm die Hände gebunden. Er darf noch nicht einmal mitreden; in keiner Form, wie die Generalstaatsanwältin erneut bestätigte, als sie Staatspräsident Herzogs Bitte ausschlug, Netanjahu in die von ihm initiierten Gesprächen einbeziehen zu dürfen.

Kanonendonner von ganz Rechts

Auch an einer vollkommen anderen Front – in Sachen Sicherheitsfragen – erweist sich der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, als wachsender Albtraum. Im Alleingang und überdies ministeriale Vorgaben missachtend versucht er, Maßnahmen umzusetzen, die er für angemessen im Kampf gegen den Terror hält. 

Nicht nur über das wieder einmal geforderte scharfe Vorgehen gegen die Anti-Justizreform-Demonstranten stieß Ben-Gvir mit Polizeichef Kobi Shabtai zusammen, sondern auch wegen der von ihm anvisierten Zerstörung der Häuser von Terroristen. Der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shabak, Ronen Bar, sah sich wegen der angestrebten Kollektivstrafmaßnahmen gegen die Familien palästinensischer Attentäter sogar dazu veranlasst, Ben-Gvir persönlich eine äußerst ungewöhnliche Warnung und einen kaum verklausulierten Aufruf zur Mäßigung zu übermitteln. 

In den Gefängnissen sorgten unterdessen Ben-Gvirs neue Regeln für palästinensische Häftlinge zur Erklärung einer »Revolte«, die im weiteren Verlauf zu Hungerstreiks führen soll. In all diesem Tumult hatte Ben-Gvir aber auch noch eine weitere Botschaft für Netanjahu: Dass Grenzpolizisten eine Abgeordnete seiner Partei daran gehindert hatten, die von der Regierung angeordnete Rodung eines von Siedlern gesetzten Hains zu vereiteln, sei eine »schockierende Attacke«. Er zweifele an der Koalition, denn eine »durch und durch rechte Regierung kann keine Regierung sein, die ausschließlich gegen Juden scharf vorgeht.« Folglich kündigte er an: »So kann das nicht weitergehen.«

Fünfzig Tage zurück im Amt

Und dann wartet auf Netanjahu auch noch der kommende Montag, für den die Protestbewegung gerade einen landesweiten Generalstreik gegen die Justizreform zu organisieren versucht und erneut eine Großkundgebung vor der Knesset angemeldet hat. Noch mehr Bürger und Bürgerinnen des Landes planen ihre Teilnahme, wobei es das letzte Mal schon rund 150.000 gewesen sein sollen

Einige Armeeveteranen hoffen, dass auch sie noch rechtzeitig eintreffen werden. Wird ihre Untersuchungshaft verlängert, könnte es knapp werden. Mit Sicherheit nicht beizeiten schaffen wird es der von ihnen zu Protestzwecken entwendete Panzer aus dem Yom-Kippur-Krieg von 1973, dem sie ein Banner mit der Aufschrift »Verteidigung der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel« verpassten.

Hat sich Benjamin Netanjahu seine Rückkehr ins Premierministeramt des Staates Israel so vorgestellt – und das zu einem Zeitpunkt, an dem er den Chefsessel kaum richtig angewärmt hat? Und überhaupt: Was ist eigentlich mit seinen angekündigten »großen außenpolitischen Plänen« angesichts eines Gedanken, der einem in den letzten Tagen unweigerlich in den Sinn gekommen ist: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde …?

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