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Netanjahus Koalition droht, sein Hauptziel zu torpedieren

Zum Amtsantritt machten Israels Premier Netanjahu und die von ihm geführte Regierungsmannschaft deutlich fröhlichere Gesichter als Staatspräsident Herzog. (© imago images/Xinhua)
Zum Amtsantritt machten Israels Premier Netanjahu und die von ihm geführte Regierungsmannschaft deutlich fröhlichere Gesichter als Staatspräsident Herzog. (© imago images/Xinhua)

Wenn Netanjahus wichtigstes Ziel darin besteht, die atomare Bewaffnung des Irans zu verhindern, kann er sich Dauerstreit mit den USA nicht leisten.

Seit sich die Zusammensetzung von Israels neuer Regierung abgezeichnet hat, wurden wir von einigen Lesern mehr oder minder freundlich aufgefordert, Stellung zu der Parteienkoalition zu nehmen, der unter anderen auch Vertreter der rechtsextremen Partei Otzma Jehudit angehören. Für einen Herrn ist unsere Zurückhaltung »bezeichnend«. Unter Bezugnahme auf den neuen Finanzminister sowie den neuen Minister für öffentliche Sicherheit meinte er gar zu wissen, »bei Ihnen sind Herr Smotrich und Ben Gvir der Ausdruck an Liberalität«.

Dem Leser ist offenbar entgangen, dass wir uns zu Fragen der israelischen Innenpolitik allgemein nur selten äußern – das war auch bei der Vorgängerregierung nicht anders, die dem Herrn vermutlich deutlich mehr zusagte. Der Grund dafür ist recht einfach: Die meisten von uns leben nicht oder nur zeitweise in Israel, und wir gehören nicht zu jenen Europäern, die davon überzeugt sind, besser als die Israelis zu wissen, was das Land zu tun oder zu lassen habe, und deshalb nie um wohlfeile Ratschläge verlegen sind, deren mögliche Konsequenzen sie nicht selbst zu tragen haben. Solche Leute gibt es mehr als genug.

Was nun die Behauptung betrifft, die Neo-Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir würden von uns als Verkörperungen von »Liberalität« betrachtet, so kann ich dem Herrn in aller Kürze versichern: So einen Unsinn wird er von uns nie zu lesen bekommen.

Keine Sympathien

Auch wenn es bei Mena Watch keine gemeinsame Linie gibt, kann ich im Namen von uns allen sagen, dass wir allgemein nicht der Ansicht sind, dass Rechtsextreme und Rassisten in Parlamenten oder gar Regierungen sitzen sollten, egal, ob in Deutschland, Österreich oder eben Israel. Genauso wenig glauben wir, um nur ein paar Punkte zu nennen, dass ein Bildungsministerium in den Händen eines Vertreters einer strengreligiösen Partei am besten aufgehoben ist, oder dass ein wegen Korruption, Betrugs und Amtsmissbrauchs verurteilter Politiker erneut ein Ministeramt bekleiden sollte.

Daher gibt es unter uns auch niemanden, der die neue israelische Regierungskoalition politisch sympathisch findet oder von ihr angetan wäre. Aber unsere Unterstützung gilt nicht dieser oder jener israelischen Regierung, sondern dem jüdischen Staat, und wir vertrauen auf die israelischen Wähler sowie auf die Stärke der israelischen Demokratie, selbst am besten auf mögliche Bedrohungen reagieren zu können, die von einigen der angekündigten Vorhaben der neuen Regierung auszugehen drohen.

Warum es diese Koalition überhaupt gibt

Dass nun also eine Parteienkoalition unter Einbindung von höchst problematischen Personen regiert, die bei Neuwahlen aktuellen Umfragen zufolge im Übrigen jetzt schon wahrscheinlich keine Mehrheit mehr hätte, hat natürlich Benjamin Netanjahu zu verantworten. Und das nicht nur in dem banalen Sinn, dass er die Koalition eingefädelt hat und erneut Regierungschef geworden ist, sondern weil er es war, der die verfahrene Lage in Israels Politik maßgeblich herbeigeführt hat.

Fast alle Beobachter sind sich einig, dass der Hauptgrund für die Serie von fünf Neuwahlen binnen vier Jahren und die Unmöglichkeit der Bildung einer stabilen Regierung die Person Netanjahu war. Wäre er zur Seite getreten, hätte zu jedem Zeitpunkt problemlos eine breite Koalition gebildet werden können, die den israelischen politischen Mainstream repräsentiert hätte. Sein Beharren, als Einziger Israel gut führen zu können, war die Hauptursache des Stillstands – eine besorgniserregende Verwechslung seiner persönlichen Interessen mit jenen des Landes, die in umgedrehter Weise allerdings auch von seinen Gegnern geteilt wurde, die kaum ein anderes Programm hatten als »Jeder außer Netanjahu«.

Nur weil Netanjahu um jeden Preis an der Macht bleiben wollte und dies anders als mit einer rechts-rechtsaußen-Koalition nicht gegangen wäre, hat er auf ein Parteienbündnis gedrängt, dem die zuvor zu Recht im politischen Abseits stehenden Rechtsextremen um Ben-Gvir angehörten. Nur weil Netanjahu um jeden Preis wieder zurück an die Macht wollte, hat er das Sicherheitsministerium einem rechtsextremen Provokateur überantwortet, der auch als Minister auf das einzige setzen wird, das er kann: Probleme machen und die Polarisierung der Gesellschaft vorantreiben.

Treffend bemerkte der israelische Journalist Matti Friedman dazu: »Die Sicherheit war hier immer ein heiliges Gut, und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass diese Ernennung die rücksichtsloseste in der Geschichte des Staates ist. Wenn Netanjahus Trumpf die Sicherheit war, dann ist dieser jetzt weg.«

Das wesentliche Ziel

Damit stellt Netanjahu nicht nur die Erfolge in den Schatten, die er in seiner langen Karriere zweifellos zu verbuchen hatte, sondern droht auch das zu gefährden, was ihm eigenen Angaben zufolge am meisten zählt: Wie er in seiner Antrittsrede in der Knesset betonte, sei das wichtigste von drei Zielen als Premier, den Iran davon abzuhalten, »ein Atomwaffenarsenal zu entwickeln, das uns und die ganze Welt bedroht«.

Dazu bedarf es in politischer wie im Zweifelsfall auch in militärischer Hinsicht einer engen Koordination mit den USA, die freilich kaum zu erreichen sein wird, wenn Netanjahu seine Zeit damit verbringen wird müssen, die Scherbenhaufen zu beseitigen, die seine rechtsextremen und religiösen Koalitionspartner (etwa in Sachen Siedlungen) anrichten werden, um ihre Agenden voranzutreiben und ihre Wählerschaft zu bedienen. Der Tempelbergbesuch von Itamar Ben-Gvir am Dienstag und die internationalen Reaktionen darauf haben einen Vorgeschmack auf das geliefert, was höchstwahrscheinlich noch folgen wird. (Der internationale Aufschrei auf Ben-Gvirs Tempelbergvisite mag maßlos überzogen sein, aber es nützt wenig, sich darüber zu beklagen: Nichts anderes war zu erwarten.)

Ob das israelisch-amerikanische Verhältnis so zerrüttet sein wird, wie es unter der Präsidentschaft von Barack Obama (mit dem damaligen Vizepräsidenten Joe Biden) war, wird sich zeigen. Aber schon jetzt scheint gewiss, dass günstige Voraussetzungen für den Versuch, das iranische Atomwaffenprogramm noch zu stoppen, anders aussehen. Netanjahus Koalition droht damit, ausgerechnet sein Hauptanliegen zu torpedieren.

Nicht alles skandalisieren

Angesichts dieser potenziell gefährlichen Aussichten werden wir uns keineswegs an dem gerade populären Zeitvertreib beteiligen, wegen jeder Äußerung eines israelischen Ministers gleich in helle Aufregung zu verfallen, so wie es dieser Tage anhand einer Bemerkung des israelischen Außenministers, Eli Cohen, geschehen ist. Aus der Aussage, dass Israel in der Öffentlichkeit weniger über Hilfsleistungen für die Ukraine sprechen werde, wurde sogleich ein grundsätzlicher Kurswechsel des Landes in Richtung Russland herausgelesen und angeprangert.

Dafür gibt es freilich bisher keine ernsthaften Anzeichen. Und zur Beurteilung von Cohens Bemerkung muss man berücksichtigen, dass Israel seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine einen heiklen Balanceakt zwischen der Parteinahme für das überfallene Land einerseits und der Notwendigkeit andererseits zu vollführen hat, sich mit Russland zumindest soweit zu verständigen, dass eine relative Handlungsfreiheit Israels in Syrien gewahrt bleibt, um dort weiterhin gegen iranische Aktivitäten vorgehen zu können. Dass der neue Außenminister diese Abwägung leicht anders vornimmt als sein Vorgänger, ist kein Skandal, über den man sich in europäischen Zeitungsredaktionen oder Wiener Kaffeehäusern zu empören braucht.

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