Elon Musk und die Unausweichlichkeit des Antisemitismus

Elon Musk bediente bei seinem Angriff auf George Soros antisemitische Ressentiments
Elon Musk bediente bei seinem Angriff auf George Soros antisemitische Ressentiments (© Imago Images / USA TODAY Network)

Was tun wir, wenn ein Mann wie George Soros nicht ohne antisemitische Konnotationen kritisiert werden kann?

Benjamin Kerstein 

Die Frage, was Antisemitismus ist und was nicht, ist anscheinend eine immerwährende, die trotz der Versuche, sich auf Definition zu einigen, nicht verschwinden will. Eine der jüngsten Auseinandersetzung mit dem Thema betraf den zweitreichsten Mann der Welt, als Mitte Mai der Twitter-Eigentümer, Elon Musk, in die Kritik geriet, nachdem er seinen umstrittenen Milliardärskollegen George Soros scharf angegriffen hatte.

Am 16. Mai twitterte Musk, »Soros erinnert mich an Magneto«, was eine Anspielung auf den Hauptbösewicht aus dem Comic X-Men und dessen Verfilmungen darstellte. Als linker Philanthrop wird Soros oft kritisiert, aber Musks Tweet ließ die Alarmglocken schrillen, denn Magneto ist einerseits ein Mutant mit Superkräften – andererseits aber auch ein jüdischer Holocaust-Überlebender.

Der Tech-Unternehmer Brian Krassenstein wies Musk auf diesen Umstand hin und twitterte: »Fun fact: Magnetos Erfahrungen als Überlebender des Holocausts haben seine Perspektive sowie seine Tiefe und Empathie geprägt. Soros, ebenfalls ein Holocaust-Überlebender, wird wegen seiner guten Absichten pausenlos angegriffen.« Musk erwiderte, Krassenstein »gehe davon aus, dass es gute Absichten sind. Das sind sie nicht. Er will die Struktur der Zivilisation aushöhlen. Soros hasst die Menschheit.«

Der Vorsitzende der Anti-Defamation League (ADL), Jonathan Greenblatt, schaltete sich sofort ein und twitterte, Soros werde »von der extremen Rechten oft mit antisemitischen Sprüchen als Ursache für die Probleme der Welt hingestellt.« Greenblatt erklärte, Musks Tweet sei »gefährlich« und würde »Extremisten ermutigen, die bereits antijüdische Verschwörungen herbeifantasieren und deshalb schon versucht haben, Soros und jüdische Gemeinden anzugreifen«.

Als Reaktion auf den Aufruhr legte Musk nach, indem er schrieb, sein Tweet sei »wirklich unfair gegenüber Magneto«. Er riet der ADL, »das A‹ [in ihrem Namen, das für ›Anti‹ steht; Anm. Mena-Watch] wegzulassen«. Der Aufruhr selbst mag zwar als relativ unbedeutend erscheinen, wirft aber aufgrund der Person von Soros selbst ein allgemeineres Problem auf.

Uralte Verleumdungen

Soros und seine Open Society Foundations gehören zweifelsohne zu den mächtigsten Kräften der westlichen liberalen Linken. Sie finanzieren eine Vielzahl von Organisationen und Bewegungen, die sich der Förderung fortschrittlicher Politik und Maßnahmen verschrieben haben. Als solche beeinflussen Soros und seine Philanthropie viele Aspekte des politischen und sozialen Lebens im Westen und sollten daher ein legitimes Ziel von Kritik sein. In der Tat gibt es ähnliche Figuren auf der Rechten, und diejenigen, die sich Soros’ Verteidigung verschrieben haben, haben kein Problem damit, seine Gegenstücke im anderen politischen Lager anzugreifen.

Es geht auch um Soros’ persönliches und berufliches Verhalten, das zu Teil wirklich ungebührlich war. Seine finanziellen Gepflogenheiten zwangen Großbritannien einst dazu, das Pfund abzuwerten. Sein Einfluss auf das amerikanische Rechtssystem durch massive Wahlkampfspenden für verschiedene Justizämter kann von Gegnern zu Recht als kritikwürdig angesehen werden. Seine allgemeine Einmischung in die Politik verschiedener Länder – einschließlich und vielleicht besonders in Israel – wird von vielen als Untergrabung der Zivilgesellschaft angesehen. Dies alles ist ein legitimer Grund für Kritik.

Für Juden enthält der Vorwurf des Antisemitismus an Soros‘ Kritiker zudem eine gewisse Ironie, da dessen Philanthropie jüdische Themen völlig ignoriert und er sich offen feindselig gegenüber Israel geäußert hat. Tatsächlich ging er einmal so weit, Ariel Sharon, die israelische Politik und die »Pro-Israel-Lobby« für den aktuellen Anstieg des Antisemitismus verantwortlich zu machen. Juden für den Antisemitismus verantwortlich zu machen ist an und für sich schon ungeheuerlich und antisemitisch.

Dennoch ist das Problem vielschichtige und komplizierter, als es erscheint, denn es bleibt eine unausweichliche Tatsache, dass Soros Jude ist, worin er sich von Nicht-Juden mit ähnlichem Einfluss und Ansehen unterscheidet. Bezeichnet man ihn als bösen Superschurken, der »die Menschheit hasst« und die Zivilisation zerstören wolle – alles uralte Verleumdungen gegen die Juden –, zieht das unvermeidliche Resonanzen mit sich, die es in anderen Fällen nicht gibt, und es hat keinen Sinn, dies zu leugnen. Auch wenn Musk dies so nicht getan hat, ist es nicht unüblich, dass Mitglieder der extremen Rechten Soros beschuldigen, mehr oder weniger die Welt zu kontrollieren – eine Verleumdung mit genz offensichtlichen antisemitischen Konnotationen. Greenblatt hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass dies zumindest gefährlich ist.

Moralischer Imperativ

All das wirft eine weitere Frage auf: Ist jede Kritik an Soros antisemitisch? Die einfache Antwort lautet: Nein, man kann Soros kritisieren und dabei jeglichen Anklang an den Antisemitismus vermeiden. Aber das ist nicht genug. Während Kritik an Soros’ Reichtum, Einfluss und unbestreitbarer Macht nicht in allen Fällen subjektiv antisemitisch sein mag, ist schwer zu sehen, wie sie in den meisten Fällen nicht objektiv antisemitisch sein soll. Man kann Soros und seine Arbeit lieben oder hassen, aber ob es uns gefällt oder nicht: Angriffe auf ihn – selbst weitgehend zutreffende Angriffe – werden zwangsläufig von Antisemiten aufgegriffen, die solche Angriffe als Bestätigung ihrer Fantasien von jüdischer Verschwörung und Allmacht ansehen.

Ein ähnliches Phänomen ist bei der Kritik an Israel zu beobachten. Es ist richtig und gut zu sagen, dass man Israel natürlich kritisieren kann wie jede andere Nation auch, aber zugleich ist Israel nicht wie jede andere Nation. Es ist ein jüdischer Staat, und das bringt unausweichlich ein jahrtausendealtes zivilisationsbedingtes Gepäck mit sich. Ein Angriff auf Israel hat auf einer gewissen Ebene zwangsläufig antisemitische Konnotationen.

In einer freien Gesellschaft stellen uns diese unangenehmen Tatsachen vor ein unlösbares Dilemma. Wir können nicht einfach jede Kritik an Soros unterbinden. Kritik und das Recht, Kritik zu üben, sind für die liberale Demokratie unerlässlich, und Zensur und Verbot sind eine inhärente Bedrohung für dieselbe. Die diesbezügliche heikle Lage ist offensichtlich und unheilvoll. Und doch bleiben die unangenehmen Realitäten bestehen.

Die Antwort scheint mir darin zu bestehen, dass wir uns einen gewissen moralischen Imperativ zu eigen machen: so zu handeln, dass man auf weniger Antisemitismus hinarbeitet. Das bedeutet, berechtigte Kritik zu üben, aber immer an die möglichen Kollateralschäden zu denken. Es gilt zu verstehen, dass antisemitische Resonanz bei einigen Themen unvermeidlich ist, weshalb versucht werden muss, diese zu so weit wir nur irgend möglich minimieren.

Wenn wir uns diesen Imperativ zu eigen machen, müssen wir zugeben, dass Musk in auffälliger Weise gegen ihn verstoßen hat. Er hat die unheilvollen Anklänge seiner Äußerung nicht bedacht. Als man ihn darauf hinwies, nahm er sie nicht ernst. Was auch immer man von George Soros halten mag, wir sollten bereit sein zuzugeben, dass zumindest dies inakzeptabel ist.

Benjamin Kerstein ist Schriftsteller und Redakteur und lebt in Tel Aviv. Lesen Sie mehr von ihm auf Substack, auf seiner Website oder bei Twitter. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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