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Modernes Raubrittertum: Assad und die Hilfsmillionen

Plakat des syrischen Diktators Assad
Plakat des syrischen Diktators Assad (© Imago Images / Kyodo News)

Eigentlich müsste es sich inzwischen herumgesprochen haben, dass es humanitäre Hilfe längst nicht so gut und unschuldig ist, wie Hilfsorganisationen bei der Spendenakquise gerne tun.

Weltweit handelt es sich um ein milliardenschweres Geschäft, bei dem unzählige Akteure verdienen, bevor dann am Ende einer langen Kette die Decke oder Nahrungsmittelration diejenigen erreicht, in deren Namen das Geld gesammelt, gespendet und gegeben wird.

Was für Firmen, Dienstleiter, Consultants und viele mehr in Europa und den USA der Fall, gilt für Autokraten, Milizen und Despoten im globalen Süden umso mehr.

Oft noch soll nämlich Hilfe auch noch vor Ort Menschen zugutekommen, die dem jeweiligen Herrscher nicht besonders wohl gesonnen sind und deshalb ihr Leben in irgendwelchen Lagern fristen müssen.

Oder es handelt sich um Bevölkerungsteile, die aufgrund von Geburt oder Religionszugehörigkeit als unerwünscht gebrandmarkt wurden und die die Regierung ohnehin am liebsten irgendwie loswerden würde.

Beispiele ließen sich hierfür unzählige anführen, ein besonders übles dürfte Syrien sein, wo das Assad-Regime seit langem de facto bankrott ist und seine Getreuen aber irgendwie bei der Stange halten muss. Denn: fließt kein Geld mehr an Milizenführer, Soldaten und den ganzen Apparat, dann dürfte es mit der Loyalität dieser Akteure nicht mehr lange gut bestellt sein.

Also sucht man nach Mitteln, die marode Staatskasse irgendwie zu füllen. Einige Einnahmen lassen sich aus Drogenproduktion und -handel generieren, der in Syrien floriert wie nie zuvor. Selbst zu deutschsprachigen Medien hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Syrien sich längst de facto in einen „Drogenstaat“ verwandelt hat, in dem Regierung oder ihr nahestehende Gruppen für die Herstellung von Tonnen von Captagon verantwortlich sind.

Moderner Wegezoll

Millionen lassen sich aber auch aus den internationalen Hilfsgeldern abzweigen, die ins Land fließen. Das System dabei ist altbewährt: Etwa zwingt man die UNO und ihre Partner zu Tauschkursen, die weit unter dem des Schwarzmarktes liegen. So bringt schon jeder Dollar einen nicht unbeträchtlichen Mehrwert für den Staat ein.

Leider mangelt es allerdings an öffentlichem Bewusstsein, wie dieser moderne Wegezoll funktioniert, und dass damit Systeme geschaffen werden, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil helfen, Strukturen zu zementieren, die größtenteils für jene humanitäre Katastrophe verantwortlich sind, aufgrund derer überhaupt erst Hilfe nötig wurde.

Für die Welt hat Alfred Hackensberger über die Hilfsmillionen für Assad recherchiert und einen der wenigen deutschsprachigen Artikel verfasst, die bislang über dieses Thema publiziert wurden:

„Das syrische Regime berechnet jeden Dollar, den es aus dem Ausland erhält, nach einem von ihm vorgeschriebenen, niedrigen Wechselkurs. Auf dem Schwarzmarkt gibt es doppelt bis dreimal so viel. Die Differenz wird abgeschöpft.

Auf diese Weise hat die Regierung von Präsident Baschar al-Assad 2020 von jedem Hilfs-Dollar der UN 51 Cent abgezweigt. Alleine die syrische Nationalbank konnte so bislang 60 Millionen Dollar bunkern. Insgesamt sollen mindestens 100 Millionen verschwunden sein. Dies hat das Center for Strategic & International Studies (CSIS) in Washington herausgefunden. (…)

Der syrische Bürgerkrieg hat bislang 500.000 Todesopfer gefordert. Das halbe Land liegt nach wie vor in Trümmern. Zwölf Millionen Syrer leben im Ausland, 6,2 Millionen Menschen sind Binnenflüchtlinge. 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Über die Hälfte hätte ohne die Unterstützung Schätzungen zufolge nicht genug zu essen.

Das Assad-Regime, einer der Hauptschuldigen der dramatischen Situation, verdient nun Geld mit dem von ihm erzeugten Elend.“

Von den so abgezweigten Millionen, die nur einen Teil des ganzen Missbrauchs ausmachen, stammen viele aus deutschem Steuergeld, denn die Bundesrepublik ist einer der größten Geber in Syrien, ohne dass sie außenpolitisch über irgend ein tragfähiges oder weiterführendes Konzept für die Zukunft des Landes verfügte.

Das war unter Angela Merkel so, und daran scheint sich auch unter der neuen Regierung wenig geändert zu haben, schreibt Hackensberger:

„Die Bundesregierung hat dieses Jahr insgesamt 1,7 Milliarden Euro für die Versorgung der Zivilbevölkerung zugesagt. 120 Millionen Euro mehr als noch im Vorjahr. Wie will die neue grüne Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz sicherstellen, dass deutsche Steuergelder nicht weiter das Unrechtsregime von Präsident Assad finanzieren?

Im Koalitionsvertrag ist nur ein einziger Satz zu finden. Die neue Ampel-Regierung will ‚die humanitäre Katastrophe eindämmen und humanitäre Hilfe auf hohem Niveau fortsetzen‘.“

Kein Interesse an Änderung

Da sind schließlich all die Flüchtlinge aus Syrien – gar nicht zu reden von den über drei Millionen Binnenvertriebenen im Land selbst, die dort unter katastrophalen Bedingungen ohne irgend eine Hoffnung auf Besserung ihr Leben fristen müssen, und die, so sie nur könnten, lieber gestern als heute ins Ausland fliehen würden.

Längst dreht sich Syrienpolitik nicht nur der deutschen Regierung, sondern auch aller anderen EU-Staaten hauptsächlich nur noch darum, diese Menschen irgendwie davon abzuhalten, nach Europa zu kommen.

Deshalb zahlt man Milliarden an die Türkei im Rahmen des 2016 geschlossenen Flüchtlingsdeals und überweist weitere Milliarden an die UNO, um irgendwie dafür Sorge zu tragen, dass zumindest in den Lagern in Nordsyrien niemand an Hunger stirbt.

Das Ganze wird dann in irgendwelchen Papieren und Sonntagsreden als „heimatnahe Versorgung“ bezeichnet; ganz so als hielten ein paar verteilte Decken und nicht die von der EU mitfinanzierten Grenzschutzanlagen zur Türkei die Menschen von der Weiterflucht ab.

Was von solcherart Hilfe zu halten sei, fragte der Hackensberger mich für seinen Artikel, und ich gab ihm folgende Antwort:

„Hilfen zu zahlen, um Menschen von der Flucht abzuhalten, kritisiert Thomas Osten-Sacken, Geschäftsführer der seit 30 Jahren im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation Wadi e.V. ‚Wir können von einem Ablasshandel sprechen. Gegen Bezahlung erhofft man sich Ruhe vor Flüchtlingen. Die politische Krise wandelt man in humanitäre Hilfe um.‘

Seiner Meinung nach besitzt die neue Bundesregierung kaum Optionen in Syrien. Zum einen seien die Strukturen des internationalen Hilfsbusiness generell zu eingefahren, sagt Osten-Sacken, der den Sektor seit vielen Jahren von innen her kritisiert.

‚Das ist leider ein größtenteils korruptes System, das auf mehreren Ebenen auf Abhängigkeiten basiert und die Transparenz vermissen lässt‘, sagt er. ‚Und für Assad ist die Hilfe ein Kapital, das er sich nicht entgehen lassen will.‘“

Leider wäre es blauäugig zu hoffen, dass Kritik an diesem ganzen System in Zukunft zu Veränderungen führen wird. Dafür ist es zu eingespielt und befriedigt bislang hinlänglich die Bedürfnisse der Beteiligten, die es betreiben

  • Europa hilft, dass die Lage in Syrien sich nicht in eine vollkommen unkontrollierbare humanitäre Katastrophe verwandelt
  • und Assad sowie seine Schutzpatrone in Moskau und Teheran profitieren von den Millionen, die für sie dabei abfallen.

Da stört ein hie und da veröffentlichter kritischer Beitrag nicht genug, um sich für Reformen stark zu machen.

Und nicht zuletzt sitzt Assad ohnehin am längeren Hebel, denn sollte sich Russland je mit der Forderung durchsetzen, den für internationale Hilfe letzten verbliebenen Grenzübergang in das von der Opposition kontrollierte Gebiet um Idlib zu schließen, wäre sie wohl sehr schnell da: die totale humanitäre Katastrophe, die zu verhindern die EU mit allen Mitteln versucht.

Selbstredend wissen die Regierungen in Damaskus und Moskau, über welche Macht sie hier verfügen und verstehen es, ihre Karten entsprechend auszuspielen.

Zur Genüge haben sie in den letzten Jahren auch bewiesen, dass ihnen das Wohl und Wehe der syrischen Bevölkerung dabei völlig egal ist und sie, wenn es sein muss, jederzeit bereit sind, das Elend der Elenden für ihre Zwecke noch einmal zu verschärfen. Denn mit diesem Elend lassen sich im Zweifelsfall jederzeit weitere Hilfsmillionen generieren.

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