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Frauenrechte in Saudi-Arabien – Zwischen Reform und Repression

Quelle: Flickr, CC BY-SA 2.0

Ein großer Seufzer der Erleichterung war unter saudi-arabischen Frauen Anfang dieses Monats zu hören, als Kronprinz Mohammed bin Salman eine Reihe neuer Regelungen erließ, die Frauen in Saudi-Arabien neue Freiheiten einräumen. Von nun an sind Frauen über 21 befugt, ohne der Zustimmung ihres männlichen Vormundes zu reisen, Scheidungen und Geburten zu registrieren sowie offizielle Dokumente entgegenzunehmen. Soziale Medien waren von ekstatischen Posts überflutet, in denen der Kronprinz gepriesen wurde und die eine neue Ära für Frauen in Saudi-Arabien angekündigt wurde. Den gleichen Status wie Männer haben Frauen jedoch hiermit noch lange nicht erreicht.

Der Abbau des Vormundschaftssystems?

Die neuen Regelungen, die Anfang August erlassen wurden, kennzeichnen den bisher signifikantesten Einschnitt in das Vormundschaftssystem, das die saudi-arabische Gesellschaft kennzeichnet. In diesem System wird das Leben der Frau von der Geburt bis zum Tod von Männern bestimmt. Frauen haben praktisch den Status von Minderjährigen, sie werden also nicht als vollwertige Rechtssubjekte angesehen und brauchen für jegliche Handlungen und Lebensentscheidungen die Zustimmung ihres männlichen Vormundes. Dies kann der Vater, Ehemann, aber in manchen Fällen sogar der eigene Sohn sein. Frauen wird somit jegliche Selbstbestimmung über ihr Leben und sogar über den eignen Körper entzogen, denn für Reisen, ein Studium, die Ausübung bestimmter Berufe und sogar Arztbesuche brauchen sie die Erlaubnis des männlichen Vormundes.

Dieses Vormundschaftssystem, das über die letzten 50 Jahre saudi-arabische Frauen praktisch unter Quarantäne gesetzt hat, basiert auf einer strikten Auslegung des islamischen Konzepts der walayah (Vormundschaft). Kein anderer Staat in der Geschichte des Islams hat bisher eine solch strikte Interpretation der walayah umgesetzt. Die Auswirkungen eines solch restriktiven Systems auf das Leben einer Frau sind unterschiedlich und hängen größtenteils vom Wohlwollen des männlichen Vormundes ab.

Eine neue Ära für Saudi-Arabien?

Seit Mohammed bin Salman 2017 von seinem Vater, König Salman, zum offiziellen Thronfolger gemacht wurde und die Regierungsgeschäfte übernahm, prophezeiten viele eine neue Ära für Saudi-Arabien. Dank seines jungen Alters, wird er als Vertretener jener 70 Prozent der saudi-arabischen Bevölkerung gesehen, die unter 30 sind. Diese neue Ära ist mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Reformen verbunden und soll Saudi-Arabien fit für das 21. Jahrhundert machen.

Frauenrechte in Saudi-Arabien – Zwischen Reform und Repression
Mohammed bin Salman (By Sgt. Adrian Cadiz, CC BY 2.0)

Die wirtschaftlichen Reformen sind in der „Vision 2030“ verkörpert, einem Umbauplan der Saudi-Arabiens Wirtschaft modernisieren und diversifizieren soll. Dies ist vor allem deswegen notwendig, weil die Ölabhängigkeit des Königreichs die Wirtschaft zu stark dem Ölpreis ausliefert, der in den letzten Jahren gesunken ist. Die Vision 2030 verkörpert die Vision des jungen Kronprinzen selbst: Ein Saudi-Arabien, das nicht vom Erdöl abhängig ist, dessen Wirtschaft wächst, Arbeitsplätze für seine junge Generation bietet und eine starke Position in der Welt einnimmt. Zu diesen Plänen gehört auch der Bau einer neuen futuristischen Stadt namens „Neom“, die bis 2025 ein Innovationshub für neue Technologien werden soll und Gebiete von Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten umfassen soll.

Aber auch im gesellschaftlichen Bereich gab es in den letzten Jahren einige Reformen, mittels derer Saudi-Arabien beweisen will, dass es mit dem Rest der Welt mithalten kann. In dieser Zeit machte Mohammed bin Salman immer wieder Schlagzeilen mit Reformen, die Saudi-Arabien öffnen und eine gemäßigtere Version des Islam gesellschaftsfähig machen sollten. So hat er zum Beispiel den Einfluss der religiösen Moralpolizei eingeschränkt, die bis dahin das öffentliche Leben mit ihren strikten religiösen Verhaltensregeln bestimmten. Auch im Bereich der Unterhaltungsindustrie hat der Kronprinz einige Neuerungen gebracht, indem er bis dahin verbotene Kinos und Konzertveranstaltungen zuließ.

Vor allem aber im Bereich der Frauenrechte hat Saudi-Arabien viel aufzuholen, weshalb Mohammed bin Salman in den letzten Jahren einige Reformschritte unternommen hat, um den prüfenden Augen der internationalen Gesellschaft gerecht zu werden. Er ermutigte Frauen, arbeiten zu gehen und erleichterte Restriktionen bezüglich der Mischung der Geschlechter. 2018 wurde das Fahrverbot für Frauen aufgehoben und Frauen wurde auch erlaubt, Sportveranstaltungen zu besuchen. Ein Jahr später feiern Frauenrechtsaktivistinnen heute weitere Reformen, dank derer Frauen über 21 nun ohne Zustimmung ihres männlichen Vormundes reisen dürfen, Geburten und Scheidungen registrieren und offizielle Dokumente entgegennehmen dürfen. Diese Regelungen sind der bisher signifikanteste Einschnitt in das Vormundschaftssystem, und werden von manchen als „Game-Changer“ für die gesamte saudi-arabische Gesellschaft gesehen.

Hinter der Fassade: Mehr Repression als Reform?

Ganz so rosig sieht die Realität aber dennoch nicht aus. Obwohl die neuesten Reformen zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung sind, unterliegen Frauen weiterhin Einschränkungen, die ihnen von einem männlichen Vormund auferlegt werden können. So kann dieser im Falle von „Ungehorsam“ einer ihm unterstehenden Frau immer noch rechtlich gegen sie vorgehen. Dieses Vergehen wird in Saudi-Arabien mit Haft und Auspeitschung bestraft, was zugleich klar macht, dass die Freiheit von Frauen immer noch wesentlich durch Männer eingeschränkt ist und noch weitere Reformschritte notwendig sind.

Darüber hinaud sind die neuesten Freiheiten für Frauen lediglich „königliche Dekrete“ und sind somit nicht in der Verfassung Saudi-Arabiens verankert, die auf dem Koran und der Sunna des Propheten Mohammed basiert. So lange die Reformen nur aus Dekreten bestehen, die jederzeit einseitig geändert oder abgeschafft werden können, ist der Fortschritt nur ein labiler und gebrechlicher.

Frauenrechte in Saudi-Arabien – Zwischen Reform und Repression
By Women2drive, CC BY-SA 3.0

Auch darf nicht vergessen werden, dass unzählige saudi-arabische Frauen, die die Agenda für die Gleichberechtigung der Frauen vorangetrieben haben, von diesen neuen Reformen gar nicht profitieren können – entweder weil sie inhaftiert sind oder weil ihnen ein Reiseverbot auferlegt wurde. Dieses Beispiel veranschaulicht die Kombination aus Reform und gleichzeitiger Repression, die anscheinend das neue Merkmal Saudi-Arabiens zu werden scheint. Hand in Hand mit der sozialen Öffnung Mohammed bin Salmans gehen also auch Schritte, welche seinen repressiven Führungsstil ans Licht bringen. So beispielsweise im Falle des Jemenkriegs, in dem tausende Zivilsten durch saudi-arabische Luftangriffe ums Leben gekommen sind. Auch die vorsätzliche Ermordung des saudi-arabischen Dissidenten Jamal Khashoggi ist ein weiteres Beispiel für die schonungslose Politik die gegen Kritiker des Königreichs angewendet wird.

Es ist also ersichtlich, dass sich Saudi-Arabien heute zwischen Modernisierung und Beibehaltung des religiösen Konservativismus und des autoritären Führungsstils bewegt. Das bedeutet auch, dass jegliche frauenrechtliche Reformen lediglich dem Ziel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung dienen sollen – und nicht aus feministischer Überzeugung kommen. Wie Sebastian Sons, Islamwissenschaftler und Saudi-Arabien-Experte, es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ausdrückte: „Ganz klar muss man sagen, dass das, was Mohammed bin Salman tut, kein Gutmenschentum ist. Er möchte Saudi-Arabien als neu, modern, aufgeschlossen und offen präsentieren und das ist eine kalkulierte Strategie.“

Die Integration der Frauen in die Gesellschaft und die Arbeitswelt ist eine Notwendigkeit, um Saudi-Arabien fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Ein konkurrenzfähiger und dynamischer Arbeitsmarkt braucht weibliche Arbeitskräfte. Als Fazit kann man also ziehen, dass die neuesten Reformen zwar nicht rein kosmetischer Natur sind; die saudi-arabische Führung scheint immer mehr Verständnis für die Notwendigkeit der Integration von Frauen in die Gesellschaft aufzubringen. Jedoch ist diese Notwendigkeit von wirtschaftlichen Interessen geleitet, und nicht von der wahren Überzeugung, dass die Gleichstellung der Geschlechter eine Angelegenheit der Würde des Menschen ist. Davon abgesehen – von einer Gleichstellung ist Saudi-Arabien ohnehin noch meilenweit entfernt.

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