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Mediales Totalversagen: Der verengte Blick auf Netanjahu

Von Florian Markl

Wer die Berichterstattung hierzulande über die am 23. Dezember verabschiedete UN-Sicherheitsratsresolution 2334 und die Rede John Kerrys wenige Tage danach verfolgt hat, muss den Eindruck gewonnen haben, Israels Premier stehe mit seiner Kritik völlig allein da und begehe einen diplomatischen Amoklauf gegen den Rest der Welt. Es wiederholt sich, was bereits anlässlich des Wiener Abkommens im Streit um das iranische Atomprogramm zu beobachten war: Andere Stimmen, die sich ebenfalls kritisch äußern, werden einfach verschwiegen. Um dem weitgehenden Medienversagen entgegen zu wirken, hier eine kleine Übersicht über Stellungnahmen, die Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mitbekommen haben.


Amerikanische Politiker

Das extrem verzerrte Bild beginnt bei der Darstellung der politischen Situation in den USA. So wie im Sommer 2015 nach der Vereinbarung des Wiener Abkommens der Eindruck erweckt wurde, bis auf wenige radikale Republikaner würden die Vereinigten Staaten hinter der Politik der Obama-Regierung stehen, wird auch jetzt wieder weitgehend verschwiegen, dass Obamas und Kerrys Schritte in den Vereinigten Staaten auf starken Widerstand stoßen.

Tatsächlich war die amerikanische Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat, die eine Verurteilung der israelischen Siedlungen ermöglicht hat, ein Alleingang Obamas, der sich sowohl gegen die Haltung seines demokratisch gewählten Nachfolgers richtete, wie er auf parteiübergreifenden Widerstand im US-Kongress stößt. Prominente Republikaner formulierten scharfe Kritik an Obama. Paul Ryan, der Sprecher des Repräsentantenhauses, nannte das amerikanische Stimmverhalten „absolut beschämend“ und kündigte an, dass die kommende republikanische Regierung alles ihr Mögliche tun wird, um den Schaden zu reparieren, den die Obama-Regierung verursacht hat, und die Allianz mit Israel wiederherzustellen.

Senator Lindsay Graham zufolge würden amerikanische Abgeordnete die Vereinten Nationen zunehmend als eine „antisemitische Organisation sehen, die jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit verloren hat“. Die Trump-Regierung und der Kongress würden „keinen Zweifel aufkommen lassen, wo Amerika in Hinblick auf den Friedensprozess und gegenüber der einzigen wirklichen Demokratie im Nahen Osten steht.“ Im Senat und im Repräsentantenhaus werden Resolutionen in Angriff genommen, in denen der Beschluss des UN-Sicherheitsrats zurückgewiesen werden soll.

Kritik kam aber nicht nur aus den Reihen der Republikaner, sondern ebenso von etlichen, teils hochrangigen Demokraten. Abgeordnete beider Kammern verurteilten die amerikanische Stimmenthaltung im Sicherheitsrat als einen Abschied von einer Jahrzehnte langen Tradition amerikanischer Außenpolitik. Senator Ron Wyden (Oregon) sagte, er sei „zutiefst enttäuscht“, dass die Obama-Regierungen eine solch „einseitige“ Resolution ermöglicht habe. „Aktionen wie diese führen uns nur weiter von dem Frieden weg, den wir alle sehen wollen.“ Senator Mark Werner (Virginia) meinte, derartige Resolutionen seien konterproduktiv für den Friedensprozess und das Streben nach einer Zweistaatenlösung. Elior L. Engel (New York) war „sehr enttäuscht“ über das amerikanische Verhalten. „Ich habe immer geglaubt, dass Israel bei den Vereinten Nationen nicht fair behandelt wird. Das ist der Grund, weshalb Israel sich auf die Vereinigten Staaten verlassen hat, um vor den anti-israelischen Tendenzen einiger Sicherheitsratsmitglieder geschützt zu werden.“

Chuck Schumer (New York), der in der engeren Auswahl für den Job des Minderheitsführers im US-Senat steht, bezeichnete es als „extrem frustrierend, enttäuschend und irritierend“, dass die USA kein Veto eingelegt hätten. Wenige Tage später ging er scharf mit der Rede John Kerrys über den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ins Gericht. Kerry scheine die Lektionen aus dem Gaza-Abzug vergessen zu haben, bei dem Israel sämtliche Siedlungen im Gazastreifen geräumt habe, um sodann dauerndem Raketenbeschuss ausgesetzt zu sein. Mit der Stimmenthaltung bei den Vereinten Nationen und der Rede Kerrys seien „Extremisten auf beiden Seiten“ gestärkt worden.


Andere kritische Stimmen

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Alan Dershowitz

Kritik an den Schritten der Obama-Regierung kam aber nicht nur von Politikern beider Parteien. Der prominente Anwalt Alan Dershowitz, der sich beide Male für die Wahl Obamas stark gemacht hatte, warf dem Präsidenten vor, mit der Stimmenthaltung im Sicherheitsrat gegen die Mehrheit der Amerikaner gehandelt und dem Friedensprozess nachhaltig geschadet zu haben, weil die Palästinenser in ihrer Verweigerungshaltung bestärkt worden seien. Die Rede John Kerrys bezeichnete er als „ebenso einseitig“ wie die UN-Resolution. Dass der Außenminister die wiederholten Kompromissvorschläge Israels und die Intransigenz der palästinensischen Führung nicht erwähnt habe, beweise dessen Voreingenommenheit.

Das Wall Street Journal drückte Verständnis dafür aus, dass die Live-Übertragung von Kerrys Rede im israelischen Fernsehen nach einer halben Stunde abgebrochen wurde:

„Wenn die Israelis keine Notwendigkeit sehen, einen erneuten Verbalangriff des baldigen Ex-Außenministers über sich ergehen zu lassen, so liegt das daran, dass sie mit einer Realität zu leben haben, die der nicht einmal ansatzweise versteht.“

Nicht israelische Siedlungen seien das größte Hindernis für den Frieden, sondern die palästinensische Weigerung, einen jüdischen Staat in welch Grenzen auch immer anzuerkennen:

„Ein Außenminister, der den Konflikt lösen will, hätte von dieser Voraussetzung ausgehen sollen und die Palästinenser ermahnen, dass sie nie einen Staat bekommen werden, solange dessen Zweck die Zerstörung seines Nachbarn wäre.“

Kerry habe dem Friedensprozess geschadet, weil er die Palästinenser „in dem Glauben bestärkt hat, sie können mittels Kampagnen zum Boykott Israels ihre Ziele zu erreichen, ohne irgendwelche Zugeständnisse machen zu müssen.“

Die Herausgeber der Washington Post kommentierten, die Obama-Regierung sei am Ende ihrer achtjährigen Amtszeit „wieder genau da, wo sie 2009 begonnen hat – bei einem übertriebenen und irregeleiteten Fokus auf den israelischen Siedlungsbau“. Mit seiner Rede habe Kerry vor allem unter Beweis gestellt, dass die Obama-Regierung „unfähig ist, aus den eigenen Fehlern zu lernen oder die ideologischen Grundsätze anzupassen, die Obama ins Amt mitgebracht hat. Wenn die Rede Wirkung zeige, so habe sie der ‚Zweistaatenlösung‘ Schaden zugefügt, die Kerry zu verteidigen behauptete.“ Anders als der Außenminister unter Verweis auf Statistiken zu belegen versucht habe, sei die Zweistaatenlösung immer noch möglich, weil sich in den vergangenen acht Jahren kaum etwas geändert habe.

Die neue US-Regierung sollte sich um einen Deal mit Israel bemühen, dass der Siedlungsbau auf jene Gemeinden beschränkt werde, die nicht zu einem palästinensischen Staat gehören werden. „Das würde die Art von pragmatischer Nüchternheit erfordern, die der Obama-Regierung acht Jahre abgegangen ist.“


Kritik aus Großbritannien und Australien, Einigkeit in Israel

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Theresa May

Kritik am Kurs der Obama-Regierung kam aber nicht nur aus den USA, sondern auch von befreundeten Staaten. In einem höchst ungewöhnlichen Schritt formulierte die britische Premierministerin Theresa May öffentlich Einwände gegen John Kerrys Ausführungen. Nachdem dieser die israelische Regierung als die am meisten rechtsgerichtete der israelischen Geschichte und als von extremistischen Elementen getrieben bezeichnet hatte, ließ May erklären, dass sie „nicht glaube, dass es ein angemessenes Verhalten ist, die Zusammensetzung der demokratisch gewählten Regierung eines Verbündeten zu attackieren“. Obwohl Großbritannien die UN-Sicherheitsratsresolution unterstützt habe, sei es „klar, dass die Siedlungen weit davon entfernt sind, das einzige Problem des Konflikts zu ein.“

Derweilen meinte die australische Außenministerin Julie Bishop, ihr Land hätte der umstrittenen UN-Resolution nicht zugestimmt, wenn es Mitglied des Sicherheitsrats wäre. Die australische Regierung habe „durchgängig einseitige Resolutionen nicht unterstützt, die Israel ins Visier nehmen“.

Wie all diese Beispiele zeigen, hagelte es in den USA Kritik am amerikanischen Stimmverhalten bei den Vereinten Nationen und an der Rede John Kerrys quer über Partei- und politische Grenzen hinweg, und international wurde Widerspruch keineswegs nur vom israelischen Premier formuliert. Als Konsument österreichischer Medien war davon freilich nur äußerst wenig mitzubekommen. Anstatt ausgewogen zu berichten und die Vielfalt an Einwänden unterschiedlicher Provenienz zu präsentieren, wurde der Blick auf Benjamin Netanjahu verengt. Und selbst dieser Blick war noch insofern verzerrend, als verschwiegen wurde, dass die israelische Opposition – bei aller Kritik, die Oppositionsparteien naturgemäß an der Regierung üben – mit Netanjahu in der Ablehnung der Sicherheitsratsresolution und der Kritik an der Rede Kerrys weitestgehend übereinstimmt.

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