Erweiterte Suche

Mahsa Amini: Ein Symbol für den Kampf gegen das iranische Regime

Irans Präsident Raisi kündigte Untersuchung von Mahsa Aminis Tod an
Irans Präsident Raisi kündigte Untersuchung von Mahsa Aminis Tod an (© Imago Images / ZUMA Wire)

Kaum verbreitete sich die Nachricht vom Tod einer jungen Kurdin, die sich in Gewahrsam der Moralpolizei befand, begannen in vielen iranischen Städten Proteste gegen das Regime und seine strikte Kopftuchpolitik. Vor allem im kurdischen Teil des Landes gingen Tausende Menschen auf die Straße.

Wenn im Iran der Chef der sogenannten Moralpolizei seinen Hut nehmen muss, ist dies ein ziemlich sicheres Zeichen, dass irgendetwas gar nicht rund läuft. Nur drei Tage nach dem gewaltsamen Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini wurde Ahmed Mirzaei gefeuert. Staatspräsident Ebrahim Raisi entschuldigte sich bei der Familie der Verstorbenen und kündigte eine Untersuchung des Falles an.

Amini starb unter bislang ungeklärten Umständen auf einem Polizeirevier, nachdem sie wegen nicht vorschriftsmäßigem Tragen des Kopftuchs festgenommen wurde. Während die Polizei beteuert, sie habe keinerlei Gewalt angewendet, sind sich Oppositionelle und Frauenrechtlerinnen sicher, dass sie zuvor in einem Fahrzeug der Sicherheitskräfte misshandelt worden war und an den Folgen starb. Dies bestätigte nun auch ihr Vater gegenüber dem irakisch-kurdischen Sender Rudaw und warf der Regierung vor, sie sage die Unwahrheit.

Kaum verbreitete sich die Nachricht von ihrem Tod, begannen in vielen iranischen Städten Proteste gegen das Regime und seine strikte Kopftuchpolitik. Vor allem im kurdischen Teil des Irans gingen Tausende auf die Straße. Wie üblich reagierten Sicherheitskräfte mit Repression und Gewalt, mehrere Dutzend Protestierende sollen am Sonntag verletzt worden sein.

Trotzdem gingen landesweit die Demonstrationen weiter, und es scheint, als ob die junge Frau inzwischen zu einem Symbol für den Kampf gegen die misogyne Politik des Regimes geworden ist. Weltweit schlossen sich Iranerinnen und Iraner online dem Protest an, denn seit Jahren wächst die Opposition gegen den Kopftuchzwang, an dem die Machthaber in Teheran verbissen festhalten.

Schon 2017 kam es im Iran zu Kundgebungen, bei denen Frauen das verhasste Tuch öffentlich abnahmen. Seit dem Machtantritt von Ebrahim Raisi wurde die Sittenpolizei sogar angehalten, noch strikter zu kontrollieren, ob die Kopftücher auch ordnungsgemäß getragen werden. In so eine Kontrolle geriet wohl, wie so viele andere Frauen auch, Amini vergangene Woche, was ihr dann zum Verhängnis wurde.

Tiefe Krise des Regimes

Gerade aus der jungen Generation erklären immer mehr Menschen, sie definierten sich nicht über Religion und wünschten ein Ende der Repression im Namen des Islams. Fast zwei Drittel der Befragten sprachen sich auch explizit gegen den Kopftuchzwang aus, fast ebenso viele für eine rein weltliche Gesetzgebung.

Seit Langem – und die extrem geringe Wahlbeteiligung der letzten Jahre demonstriert dies – wissen die etwas klügeren Köpfe innerhalb des Regimes, dass die Mehrheit der Iraner nicht mehr hinter dem System der Islamischen Republik steht und sämtliche Beteuerungen der in die Jahre gekommenen Führung, der vom Iran vorgeführte Weg des Islams gewinne täglich mehr Anhänger, bestenfalls Wunschdenken, vermutlich aber nur eine offene Lüge ist.

Die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung richtet sich allerdings nicht nur gegen Kopftuchzwang und anderen Tugendterror, seit Jahren befindet sich der Iran auch in einer ökonomischen Abwärtsspirale, die sich mit der globalen Teuerung der Nahrungsmittel noch einmal verschärfte. Jede Woche kommt es deshalb zu Protesten, ob von Ärzten, Lehrern oder Rentnern, denen die Regierung wenig entgegenzusetzen hat. Sie kämpft mit dem Währungsverfall und einer maroden Infrastruktur, und ist unfähig, selbst ehemaligen Unterstützern noch eine Perspektive bieten zu können.

Auch die iranische Gesellschaft befindet sich, wie eine Umfrage aus dem Sommer zeigt, in einer tiefen Krise:

»Im Gallup Global Emotions Report 2022, der im Juli veröffentlicht wurde und den Zustand der emotionalen Gesundheit auf der ganzen Welt erfasst, rangiert der Iran auf Platz neun der 122 untersuchten Bevölkerungen, die am wütendsten sind. Auch bei der Messung der Traurigkeit schneidet das Land mit Platz dreizehn vergleichsweise schlecht ab. Aus der Studie geht hervor, dass 54 Prozent der Iraner sich schon einmal ›den Großteil des vorigen Tages‹ Sorgen gemacht haben. (…)

In der Altersgruppe der 14- bis 65-Jährigen, die fünfzig Millionen Menschen, das sind 62 Prozent der Bevölkerung, umfasst, leiden bis zu fünfzehn Millionen Menschen an mindestens einer psychischen Störung, sagte ein Beamter des Gesundheitsministeriums im vergangenen Jahr. Derselbe Beamte erklärte auch, dass sich etwa 40 Prozent der Menschen bewusst seien, dass sie psychischen Komplikationen wie Depressionen, Angstzuständen, Zwangsstörungen und affektiven Störungen ausgesetzt sind, sich aber weigern, einen Arzt aufzusuchen, meist wegen der sozialen Stigmatisierung.«

So stellt sich einmal mehr die Frage, wie es dieses Regime eigentlich schafft, sich weiterhin an der Macht zu halten, denn seine Popularität schwindet seit Jahren kontinuierlich. Die Antwort ist leider so einfach wie ernüchternd: Es ist bereit, seine weitere Existenzberechtigung notfalls mit dem Einsatz brutalster Gewalt zu sichern, und noch immer gibt es genügend Menschen in seinen Diensten, die bereit sind, diese Gewalt auch anzuwenden.

Proteste weiten sich aus

Und trotzdem zeigen die jüngsten Reaktionen auf den Tod Mahsa Aminis, wie nervös das Regime inzwischen ist. Vor einigen Jahren hätte kaum ein Präsident so einen Fall zur Chefsache erklärt, der dann auch noch zum Resultat gehabt hätte, dass ein Chef der Moralpolizei fristlos entlassen wird. Ob diese Kalmierungsversuche allerdings reichen werden, die Proteste zu beenden, ist mehr als fraglich, denn gerade unter den jüngeren Frauen ist die Wut auf ein System, das sie systematisch unterdrückt, inzwischen offenbar so groß, dass sie sich kaum noch unter Kontrolle halten lässt.

Und nicht nur unter den jungen Frauen brodelt es: Fast im Minutentakt kommen Berichte von weiteren Demonstrationen aus dem Iran, von Zusammenstößen mit der Polizei, Verletzten und wohl inzwischen auch Toten. So heißt es, in der iranisch-kurdischen Stadt Divandarreh seien schon zwei Menschen umgekommen. Auf Bildern, die via Twitter verbreitet werden, sieht man brennende Autos, Barrikaden und Jugendliche, die sich der Polizei kämpferisch entgegenstellen, aber ebenso friedliche Gruppen von Protestierenden.

In der Zwischenzeit haben verschiedene iranisch-kurdische Parteien und Organisationen zu einem Generalstreik aufgerufen.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!