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Wenn Lufthansa Juden nicht in ein Flugzeug läßt

Lufthansa schloss alle als Juden erkennbaren Passagiere von ihrem Weiterflug nach Budapest aus
Lufthansa schloss alle als Juden erkennbaren Passagiere von ihrem Weiterflug nach Budapest aus (© Imago Images / Arnulf Hettrich)

Einen veritablen Skandal lieferten Mitarbeiter der deutschen Lufthansa, als sie am Frankfurter Flughafen chassidische Juden, die von New York kamen, an ihrer Weiterreise nach Budapest hinderten.

Wie internationale Medien berichten, hat der deutsche Luftfahrtkonzern Lufthansa auf dem Flughafen Frankfurt am Main offenbar alle aus New York kommenden jüdisch-orthodox aussehenden Passagiere von einem Anschlussflug nach Budapest ausgeschlossen. Die Passagiere sollen in Frankfurt einzeln aufgerufen worden sein, dann sei anhand ihres Namens und Aussehens – dem Anschein nach jüdisch oder nicht – entschieden worden, ob sie einen Flug nach Budapest antreten dürfen oder nicht.

Dies soll damit begründet worden sein, dass sich einige dieser Passagiere auf dem Flug von New York nach Frankfurt geweigert hätten, eine medizinische Maske zu tragen. Die Frankfurter Allgemeine zitierte einen Passagier mit den Worten, es seien alle Reisenden, die durch Hut und Schläfenlocken als Juden zu erkennen gewesen seien, von der Beförderung ausgeschlossen worden und nicht gezielt die Passagiere, die sich falsch verhalten hätten. Es habe sich auch nicht um eine Reisegruppe gehandelt.

Die israelische Website Times of Israel ergänzt, dass den Passagieren außerdem für 24 Stunden verboten worden sei, ein weiteres Ticket nach Budapest zu kaufen. Laut Times of Israel, die sich in ihrem Bericht zu einem großen Teil auf Informationen des Reiseblogs Dan’s Deals beruft, waren die jüdischen Reisenden auf einer jährlichen Pilgerreise, um das Grab von Rabbi Yeshayah Steiner zu besuchen, einem wundertätigen Rabbiner, der 1925 starb und in einem Dorf im Nordosten Ungarns begraben liegt.

Laut Dan’s Deals befanden sich schätzungsweise 135 bis 170 Juden auf dem Flug von New York nach Frankfurt, von denen 80 Prozent chassidische Kleidung trugen.

Ein Passagier, Usher Schik, erzählte der New York Jewish Week, er habe vorne im Flugzeug gesessen. Er habe keine Menschen bemerkt, die ihre Masken nicht getragen hätten, räumte jedoch ein, dass einige Passagiere im hinteren Teil des Flugzeugs sich möglicherweise nicht an die Maskenpflicht gehalten haben könnten.

»Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie Personen bestrafen müssen, die sich nicht daran halten, ist das in Ordnung. Aber man kann nicht einfach eine ganze Ethnie bestrafen, nur weil wir alle gleich aussehen.«

Schik sagte, dass es mehrere jüdische Gruppen auf dem Flug gegeben habe und die meisten Leute einander nicht gekannt hätten. Als sie am Flughafen in Frankfurt ankamen, seien die Passagiere von Dutzenden von Polizisten erwartet worden, so Schik. In den Bericht von Dan’s Deals ist ein Foto eingebettet, das diese Szene zeigen soll, dazu auch zahlreiche Videoaufnahmen.

»Wir sprechen von einigen (Polizisten) mit langen Gewehren«, sagte Schik. »Wir waren wirklich verletzt und beunruhigt.«

Dan’s Deals befragte einen Passagier namens David Landau, der mit seiner Frau im Flugzeug war. Sie hätten Bonusmeilen eingelöst, um in der Business Class zu fliegen und keiner Gruppe angehört. Er habe von Freunden gehört, die in den Tagen zuvor mit Lufthansa geflogen seien, dass die Crew einige Probleme mit der Einhaltung der Maskenpflicht gehabt hätte, und habe gespürt, dass die Flugbegleiter davor gewarnt worden seien und von Anfang an nervös gewirkt hätten.

Lufthansa, erklärt der Blogger, habe zwei Business-Class-Abschnitte in der Boeing 747-8: die gesamte obere Etage und einen in der unteren Etage hinter der First Class. Landau sagte, dass die Einhaltung der Maskenpflicht in seinem Abteil unten sehr gut gewesen sei und niemand habe aufgefordert werden müssen, seine Maske aufzusetzen.

Etwa in der Mitte des Fluges, so Landau, habe der Pilot eine Durchsage gemacht, dass die Flugbegleiter frustriert darüber seien, dass Passagiere die Bordküche durch ihr  Gebet blockiert hätten. Zudem hätten sie wiederholt auf die Maskenpflicht hinweisen müssen, so der Pilot. Er habe gedroht, dass Passagiere, die den Anweisungen nicht Folge leisteten, ein Problem mit ihrem Anschlussflug bekommen würden.

»Zurückgewiesen, weil ich Jude bin«

Schik sagte, er habe in Frankfurt den Flug nach Budapest nicht antreten dürfen, weil er jüdisch aussehe und chassidische Kleidung trage. »Sie haben meinen Namen aufgerufen, und als sie mich gesehen haben, haben sie mich zurückgewiesen, weil ich Jude bin.« Das Boarding in Frankfurt begann offenbar mit großer Verspätung und in Anwesenheit eines starken Aufgebots von Bundespolizisten. In dem Bericht von Dan’s Deals heißt es:

»David Landau erzählte mir, dass um 7 Uhr 20 endlich mit dem Boarding begonnen wurde, das aber kein typisches Boarding war. Der Gate-Mitarbeiter rief einzelne Personen namentlich auf, um an Bord des Flugzeugs zu kommen. Er erinnerte sich, dass die ausgerufenen Personen, die an Bord gehen konnten, nicht sichtbar jüdisch waren, aber er erinnerte sich, dass ein Herr Rosen ausgerufen worden war und er sah, dass er es nicht zum Flug schaffte.«

Der Reiseblogger machte den First-Class-Passagier Chuny Rosen ausfindig, der sagte, sein Name sei ausgerufen worden. Er sei mitten im Gebet gewesen und habe noch die Gebetsriemen und -kapseln getragen, als er zum Gate ging, um zu fragen, warum er ausgerufen worden sei. Der Mitarbeiter habe ihn gefragt, ob er Teil der »Gruppe aus New York« sei.

Rosen habe geantwortet, er sei allein und habe sein eigenes Ticket gebucht. Er sei dann zurückgegangen, um seine Gebetsriemen abzunehmen, was mehrere Minuten dauerte, und seine Tasche zu holen. Als er zurückgekommen sei, habe man ihm gesagt, das Gate sei geschlossen und er könne nicht an Bord.

Usher Schik sagte gegenüber Dan’s Deals, er habe an einem nahegelegenen Gate gesessen, als sein Schwager zu ihm gerannt sei, um ihm zu sagen, dass sein Name zum Boarding des Flugs aufgerufen worden sei. Am Gate habe der Mitarbeiter ihn gefragt, ob er Teil der »Gruppe aus New York« sei. Auch er sagte, dass er allein reise und mit seinen Meilen ein eigenes Ticket gebucht habe, aber der Mitarbeiter am Gate habe ihm das Boarding verweigert.

Auf die Frage, warum er namentlich zum Boarding gerufen worden sei, habe der Lufthansa-Mitarbeiter ihn von einem Bundespolizisten aus dem Einstiegsbereich wegdrängen lassen. Mehrere Passagiere hätten den Eindruck gehabt, dass die Lufthansa-Mitarbeiter die Polizei benutzt hätten, um keine Fragen beantworten zu müssen. Die Polizisten hätten auf Nachfrage erklärt, lediglich die Anweisungen der Lufthansa umzusetzen.

Einer zahlt für alle

Laut Dan’s Deals konnte ein jüdischer Passagier namens Max Weingarten das Flugzeug nach Budapest besteigen, weil er ein schwarzes Poloshirt trug und nicht wie ein chassidischer Jude aussah. Weingarten, der in der ersten Klasse reiste, sagte, er habe auf dem Flug nach Frankfurt keine Maske getragen und niemand habe ihn dazu aufgefordert. Auch die Flugbegleiterin sei nicht maskiert gewesen. Von der Situation am Frankfurter Flughafen sei ihm »übel geworden«, so Weingarten. Sie habe ihn an den Zweiten Weltkrieg erinnert; Juden würden »offen diskriminiert«. Er plane, Lufthansa in Zukunft zu boykottieren und möchte, dass andere dasselbe tun.

In einem offenbar mit einem Smartphone gefilmten Video ist zu sehen, wie einer der Passagiere eine Mitarbeiterin der Lufthansa fragt, warum keine jüdisch aussehenden Menschen an Bord dürften. »Dies ist das Jahr 2022«, sagt er. Dies sei ein »westliches Land«, die Entscheidung sei »antisemitisch«. Die Lufthansa-Mitarbeiterin erwidert mit einem Satz, in dem sie sich zum Prinzip kollektiver Bestrafung zu bekennen schien:

»Es war einer, alle müssen dafür zahlen.« – »Warum müssen Juden dafür zahlen?« – »Juden vom JFK [dem New Yorker Flughafen]«, erwidert sie und fügt hinzu: »Jüdische Leute, die eine Unordnung waren, die die Probleme gemacht haben.«

Die Lufthansa-Mitarbeiterin sagt auch, dass der Konzern genauso handeln würde, hätte es sich um »Afrikaner« gehandelt. Woran erkennt man einen »Afrikaner«? Offenbar ist »Afrikaner« hier ein Synonym für Schwarze. Wenn also ein Schwarzer an Bord eines Lufthansa-Flugs gegen die Maskenpflicht verstößt, werden alle Schwarzen von der Beförderung ausgeschlossen? Antisemitismus ist offenkundig nicht das einzige Problem jener Lufthansa-Mitarbeiterin.

Erklärung der Lufthansa

Mena-Watch bat die Pressestelle der Lufthansa um eine Stellungnahme. Eine Sprecherin des Konzerns schickte diese vorbereitete Presseerklärung:

»Am 4. Mai hat eine größere Anzahl von gebuchten Passagieren nicht wie geplant ihren Weiterflug mit LH 1334 von Frankfurt nach Budapest antreten können. Lufthansa bedauert die Umstände bezüglich der Entscheidung, die betroffenen Passagiere vom Flug auszuschließen und entschuldigt sich ausdrücklich bei den Gästen.

Hintergrund waren verschiedene Vorkommnisse auf dem vorangegangenen Flug LH 401 von New York nach Frankfurt. An Bord des Fluges wurden Sicherheitsanweisungen der Besatzung unter anderem bezüglich des Tragens von Masken von mehreren Passagieren nicht befolgt. Lufthansa ist weiterhin rechtlich dazu verpflichtet, das Tragen von medizinischen oder FFP2-Masken an Bord ihrer Flüge für alle Passagiere und Besatzungsmitglieder durchzusetzen. Dies ist in Deutschland und anderen Ländern gesetzlich vorgeschrieben.

Lufthansa nimmt den Vorfall sehr ernst und arbeitet intensiv weiter an der Aufklärung. Ungeachtet davon bedauern wir, dass der größeren Gruppe die Weiterreise nicht ermöglicht wurde, anstatt diese Entscheidung auf einzelne Personen zu beschränken. Wir entschuldigen uns bei allen Gästen nicht nur dafür, dass sie nicht reisen konnten, sondern auch dafür, dass ihre persönlichen Gefühle verletzt wurden.

Lufthansa und ihre Beschäftigten stehen hinter dem Ziel, Menschen und Kulturen auf der ganzen Welt zu verbinden. Vielfalt und Chancengleichheit sind dabei zentrale Werte für unser Unternehmen und unsere Unternehmenskultur. Die Ereignisse stehen nicht im Einklang mit unseren Werten. Es gibt keine Toleranz gegenüber Rassismus, Antisemitismus oder Diskriminierung jeglicher Art. Wir werden mit den betroffenen Fluggästen in Kontakt treten, um uns zu entschuldigen und offen zu diskutieren, wie wir unsere Abläufe in solchen Situationen verbessern können.«

Das ist alles. Die große Frage ist: Was ist mit »solchen Situationen« gemeint? Situationen, in denen die Lufthansa entschließt, jüdisch aussehende Passagiere von der Beförderung auszuschließen?

Auch auf Twitter hat Lufthansa eine fadenscheinige Erklärung veröffentlicht, in der sie sich bei nicht näher bestimmten »Passagieren« für die »Umstände« (!) der Entscheidung entschuldigt, für eine nicht näher definierte »Beleidigung« sowie für »Unannehmlichkeiten«, deren Wesen und Ursache im Dunkeln bleiben. Der Konzern wiederholt in der Stellungnahme die offensichtliche Unwahrheit, dass es sich bei den Reisenden um eine »Gruppe« gehandelt habe.

Reaktionen

Der New Yorker Nachrichtenblog Daily Wire hat Reaktionen auf das auf Twitter veröffentlichte Entschuldigungsschreiben der Lufthansa zusammengestellt.

Seth Mandel, Redakteur des konservativen Politikblogs Washington Examiner, sagt:

»Dies spricht nicht wirklich ›die betroffenen Passagiere‹ an, noch erwähnt es den Antisemitismus, außer am Ende als Teil einer AllLivesMatter-Erklärung. Dies ist daher keine Entschuldigung – eine Entschuldigung ist das Mindeste, was Sie diesen Passagieren schulden. Versuchen Sie es nochmal.«

Dan Dayan, der ehemalige israelische Generalkonsul in New York, schreibt:

»Hallo @lufthansa: Sie bedauern die ›Umstände der Entscheidung‹? Bedauern Sie nicht die Entscheidung selbst? Und das Verhalten Ihrer Mitarbeiter? Und Ihre Haltung und Aussagen? Dies ist keine Entschuldigung. Wir erwarten, dass Sie es besser machen. Nicht zu spät.«

Simcha Eichenstein, Abgeordnete im Parlament des Bundesstaates New York (Demokraten) kommentiert:

»Es war keine ›große Gruppe‹, es waren einzelne chassidische Juden, die außer ihrer Religion nichts gemeinsam hatten, die Sie offenkundig diskriminiert haben. Die Berichte aus erster Hand, die ich gehört habe, sind zutiefst beunruhigend. Diese ›Entschuldigung‹ von @lufthansa ist nicht einmal das Stück Papier wert.«

Joel M. Petlin, Superintendent des stark chassidisch geprägten New Yorker Schulbezirks Kiryas Joel, twittert:

»Die @lufthansa ›Entschuldigung‹ hält weiterhin die Lüge aufrecht, dass die Passagiere des Flugzeugs als Gruppe geflogen seien. Das einzige, was sie gemeinsam hatten, war ihr Reiseziel und ihre jüdische Kopfbedeckung. Kollektivbestrafung ist unverschämt. Feuern Sie die Mitarbeiter, die das genehmigt haben.»

Ein Redakteur der Website StopAntisemitism.org kommentiert:

»Sie haben Juden diskriminiert, wie es Ihr Nazi-Gründer Kurt Weigelt vor 80 Jahren getan hat. Entlassen Sie ALLE beteiligten @lufthansa-Mitarbeiter und geben Sie eine Entschuldigung ab, in der Sie sich tatsächlich an die Gruppe wenden, die Sie gedemütigt und diskriminiert haben, denn diese ›Entschuldigung‹ ist bestenfalls erbärmlich!»

Lufthansa-Chef entschuldigt sich

Wie am Mittwochabend bekannt wurde, hat sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr gegenüber dem Berliner orthodoxen Rabbiner Yehuda Teichtal entschuldigt. Diesmal scheint die Entschuldigung ernst zu sein. Spohr bedauerte den pauschalen Ausschluss der jüdischen Passagiere von dem Flug. Das Vorgehen der Mitarbeiter hätte nicht passieren dürfen und müsse jetzt lückenlos aufgeklärt werden, berichtet der Bayerische Rundfunk.

Der Blogger Dan’s Deals hat nach eigenen Angaben mit Rabbi Teichtal telefoniert und wurde von ihm über das Gespräch informiert. Spohr habe gesagt, dass Antisemitismus in seiner Fluggesellschaft mit über 100.000 Mitarbeitern keinen Platz habe und dass dieser Vorfall niemals hätte passieren dürfen. Die beteiligten Mitarbeiter seien suspendiert worden, bis die Lufthansa untersucht hat, was passiert sei. Um welche Mitarbeiter es sich handelt, habe Spohr nicht gesagt. Alle Juden für das Fehlverhalten einiger weniger zu bestrafen sei nicht Unternehmenspolitik oder akzeptables Verhalten.

Spohr habe Rabbi Teichtal um ein persönliches Treffen nächste Woche gebeten, um weitere Maßnahmen zu besprechen, wie Lufthansa aus dem Vorfall lernen könne. Dan’s Deals kommentiert:

»Offensichtlich spüren die Führungskräfte bei Lufthansa den Druck und sind jetzt im vollen Schadensbegrenzungsmodus. Werden wegen ihrer verspäteten Reaktion auf dieses Fiasko Köpfe rollen? Ist es für sie zu spät, Kunden zurückzugewinnen, die den Antisemitismus ablehnen, oder kann die Airline ihren Ruf noch retten?«

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