Im Gespräch mit Elisa Mercier stellt Alexander Carstiuc die bis zu Morddrohungen gehenden Angriffe dar, denen die israelsolidarische Programmschänke Bajszel in Berlin-Neukölln immer wieder ausgesetzt ist.
Elisa Mercier (EM): Sie und die anderen Betreiber der Kneipe Bajszel in Berlin-Neukölln werden seit 2021 häufig bedroht und angegriffen, weil Sie sich gegen Antisemitismus einsetzen. Nun scheint sich die Situation weiter zu radikalisieren – es sind Flugblätter im Umfeld Ihres Lokals aufgetaucht. Was ist ihr Inhalt?
Alexander Carstiuc (AC): Auf den Flugblättern sind unsere Fotos abgebildet, also die des Betreiberteams, offenbar einem Zeitungsartikel über uns entnommen. Unsere Namen werden genannt, über unseren Gesichtern sind rote Dreiecke zu sehen und die Überschrift »Make Zionists Afraid«, also: »Bereitet den Zionisten Furcht«. Das rote Dreieck ist ein Symbol, eine Art Fadenkreuz, mit dem die antisemitischen Terroristen der Hamas mögliche Angriffsziele kennzeichnen, in diesem Fall also uns. Das ist für mich ganz eindeutig ein Mordaufruf.
EM: Trotz des 24/7-Polizeischutzes des Bajszel klebten die Täter die Flugblätter in der Umgebung des Lokals an. Wie beurteilen Sie das und die Wirksamkeit des Schutzes insgesamt?
AC: Die Flugblätter klebten nicht direkt an unserer Kneipe, aber an Wänden in der Nachbarschaft, teils auch im benachbarten Bezirk Friedrichshain. Dennoch frage ich mich, wie es sein kann, dass niemanden auffällt, wenn solche Flugblätter öffentlich an Wänden angebracht werden. Insgesamt aber fühlen wir uns von der Polizei gut geschützt. Den Rund-um-die Uhr-Schutz haben wir seit fünf Monaten, nachdem sich die Bedrohungen gesteigert hatten: Es gab einen Brandanschlag auf das Bajszel, Steinwürfe gegen die Hausfassade und persönliche Beleidigungen.
EM: Wie beeinflussen die permanenten Bedrohungen Ihren Alltag und Ihre Arbeit im Bajszel?
AC: Was man klar sagen muss: Ohne den Schutz der Polizei könnten wir unsere Arbeit nicht machen. Wir könnten die Kneipe nicht betreiben, keine anti-antisemitischen und israelsolidarischen Veranstaltungen durchführen. In unserem Alltag spüren wir viel Anspannung. Eine Mitarbeiterin jüdischer Herkunft hat vor Kurzem gekündigt, weil sie sich nicht sicher fühlte. Ich selbst empfinde weniger Angst, sondern vielmehr Wut. Generell muss man sagen, dass wir nun das zu spüren bekommen, was etwa jüdische Einrichtungen schon lange erleben. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
EM: Trotz der Angriffe: Halten Sie an Ihren Veranstaltungen fest?
AC: Ja, auf jeden Fall. Wir lassen uns nicht kleinkriegen und machen weiter. Wir bekommen viel Unterstützung von unseren Besuchern, aber, und das gehört auch zur Wahrheit, wir merken, dass manche Menschen sich nicht mehr ins Bajszel und nach Neukölln trauen, weil sie Angst haben. Das wirkt sich bei uns etwa in Form sinkender Umsätze aus.
Problem Neuköllner Linke
EM: Welche Unterstützung erhalten Sie von der Politik oder Organisationen aus der Zivilgesellschaft?
AC: Wir bekommen viel Unterstützung von Güner Balci, der Integrationsbeauftragten des Bezirks Neukölln, die aktiv gegen Antisemitismus und Islamismus im Kiez engagiert ist und offen für unsere Anliegen ist. Auch der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, war bei uns und hat uns Unterstützung zugesagt. Trotzdem reicht das nicht. Nach wie vor agiert hier in Neukölln ein Milieu aus Linken und Islamisten, das sich sehr sicher fühlt.
Ein großes Problem ist die Neuköllner Linke, die, mitfinanziert etwa durch öffentliche Gelder aus der Parteienfinanzierung, dabei mitmacht, Antisemitismus zu befördern und Hass auf die Straße zu tragen. Wir brauchen eine offene gesellschaftliche Debatte über die verschiedenen Formen des Antisemitismus und über die Strukturen in Neukölln, die ich gerade beschrieben habe, sowie natürlich auch anderswo. Was jetzt nötig ist, ist ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sich gegen Antisemitismus stellt und klare Maßnahmen dagegen einfordert.
EM: Die Drohungen, denen Sie ausgesetzt sind, gehen weit über das Bajszel hinaus und zielen auf die israelsolidarische Szene sowie diejenigen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, oder?
AC: Genau. Auf den Flugblättern, die nun aufgetaucht sind, wird dies auch so benannt. Menschen, die für Israel und gegen Antisemitismus aktiv sind, sollen eingeschüchtert und von ihrem Engagement abgebracht werden. Das ist Teil einer auch global zu beobachtenden Enthemmung und Dehumanisierung, die zur Gewaltausübung führt und weitere Eskalationen befürchten lässt. Es fehlt aktuell aber der Aufschrei gegen diese Zustände seitens der Gesellschaft. Im Gegenteil muss man sich als Israelfreund oft für seine Position rechtfertigen und sich von Israels Regierung abgrenzen. Demgegenüber müssten sich aber die Antisemiten rechtfertigen und nicht wir. Das Einschüchtern der Unterstützer Israels ist auch eine Strategie, um das Land und Juden allgemein zu isolieren.
EM: Warum gibt es bisher keine wirksamen Maßnahmen gegen die propalästinensische Szene?
AC: Ich lehne den Begriff »propalästinensisch« ab. Diese Szene ist pro-Hamas und zutiefst antisemitisch. Wie ich schon sagte, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens, der auch einschließt, dass Gewalt inakzeptabel ist und sanktioniert werden muss. Die Angriffe auf uns, die Verhaftung von drei Hamas-Mitgliedern kürzlich in Berlin, die Angriffe auf israelische und jüdische Einrichtungen geplant haben sollen, die Morde in Manchester: Das alles hängt zusammen. Es ist Gewalt, die aus einer antisemitischen, global zu beobachtenden Stimmung heraus entsteht. Wir haben aktuell ein Mob-Klima. Seit dem 7. Oktober 2023 wird Gewalt propagiert von Agitatoren, denen niemand Einhalt gebietet. Nur deshalb können sie so agieren, wie sie agieren.






