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Kurden in Syrien einigen sich auf gemeinsame Forderungen

Kurdinnen in Afrin im Norden Syriens feiern das Newroz-Fest
Kurdinnen in Afrin im Norden Syriens feiern das Newroz-Fest (Imago Images / Middle East Images)

Nach einigen Treffen in den letzten Monaten einigten sich die kurdischen Vertreter in Syrien auf einen gemeinsamen Forderungskatalog gegenüber Damaskus.

Das kurdische Neujahrsfest Newroz war dieses Jahr in Syrien ein ganz besonderer Tag, denn zum ersten Mal seit über sechzig Jahren konnte es in allen Teilen des Landes gefeiert werden. Unter der Diktatur der Assad-Familie war es verboten. Entsprechend ausgiebig feierten vor allem die Bewohner des mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadtviertels Rukn al Din in Damaskus, aber auch in Suwayda und an der Küste wurde es, teils erklärtermaßen in Solidarität mit den Kurden, begangen.

Zum ersten Mal seit sieben Jahren konnte es auch in Afrin wieder begangen werden. Die kurdische Stadt war 2018 von der türkischen Armee besetzt worden und in Folge fand statt, was Menschenrechtsorganisationen eine gezielte ethnische Säuberung nannten.

Gemeinsame Forderungen

Die Feiern fanden statt, nachdem wenige Tage zuvor der Chef der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die de facto der bewaffnete Teil der kurdischen Selbstverwaltung im Rojava genannten Nordostsyrien sind, und der syrische Interimspräsident Ahmad al-Shara ein Abkommen über die langfristige Eingliederung Rojavas in Staat und Armee beschlossen hatten.

Nicht gefragt, was sie von einem solchen Abkommen hält, war damals die zweite große Gruppe kurdischer Organisationen, der Kurdische Nationalrat (KNC/ENKS), der sich seit Jahren in Opposition zur regierenden Partei der Demokratischen Union (PYD) befindet. Der 2011 im irakisch-kurdischen Erbil gegründete KNC wird stark von der Kurdisch Demokratischen Partei (KDP) im Irak dominiert, die bis vor Kurzem der größte innerkurdische Gegner der PYD war, der wiederum eine gewisse Nähe zur PKK nachgesagt wird.

Nachdem die PYD in Nordostsyrien 2012 de facto die Macht übernommen hatte, kam es immer wieder zu Repressionen gegenüber anderen kurdischen Parteien. Während sich die PYD aus dem syrischen Bürgerkrieg heraushielt und weiterhin Beziehungen zum Assad-Regime pflegte, verlegte der KNC seinen Sitz nach Istanbul, kooperierte recht eng mit anderen syrischen Oppositionsparteien und unterhielt auch Beziehungen zur türkischen Regierung. Nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember stellte sich deshalb auch die Frage, wie und ob die beiden kurdischen Organisationen in Zukunft miteinander auskommen würden. Schließlich saßen über die Jahre viele KNC-Funktionäre in Gefängnissen in Rojava und ihre politische Arbeit wurde massiv von der PYD behindert.

Wohl auch auf Initiative und Druck der irakisch-kurdischen Führung – vor allem der KDP – kam es in den letzten Monaten zu mehreren Treffen, die mit Willenserklärungen endeten, man wolle künftig gemeinsam gegenüber Damaskus die Interessen der syrischen Kurden vertreten. Dass es sich dabei nicht nur um Verlautbarungen gehandelt hat, zeigt eine weitere Gesprächsrunde von vergangener Woche, bei der sich beide Seiten auf einen Katalog von Forderungen für eine neue Verfassung einigten.

Dies ist ein wichtiger Schritt, erwähnt die von al-Shara vorgelegte Interimsverfassung, die inzwischen von vielen Seiten in Syrien scharf kritisiert wird, kurdische Existenz doch mit keinem Wort. Sie sieht auch arabisch als einzige offizielle Staatssprache vor, und von Dezentralisierung oder gar einem föderalen System ist keine Rede. Kaum hatte al-Sharaa das Dokument unterschrieben, kam auch einhellige Ablehnung aus Rojava, nicht nur von kurdischer, sondern auch von christlicher und jesidischer Seite. Umso wichtiger ist es deshalb, dass kurdische Parteien und Organisationen nun mit einer Stimme sprechen.

Nach dem Treffen erklärten sowohl Sprecher der PYD wie des KNC, man habe die Differenzen von früher begraben, befände sich nun in einem freundschaftlichen Verhältnis und habe sich auf gemeinsame Punkte geeinigt: »Wir Kurden wollen alle ein dezentralisiertes, föderales, multiethnisches und multireligiöses Syrien.«

Damit stehen die kurdischen Parteien in offener Opposition zum Verfassungskomitee, das von al-Sharaa eingesetzt wurde, das alle Formen von dezentraler Autonomie oder gar Föderalismus im zukünftigen Syrien ausdrücklich ablehnte. Bislang war von kurdischer Seite in Syrien meist auch von »Selbstverwaltung« oder »Autonomie« die Rede, nicht – wie im Nachbarland Irak Realität – von einem föderalen Staat. Ob die syrisch-kurdischen Parteien nun über ihre bisherigen Positionen hinausgehen oder nur mit Maximalforderungen in Verhandlungen treten wollen, ist unklar. Dem bislang letzten Treffen sollen weitere folgen und in Kürze auch der Forderungskatalog der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Weitergehende Einigung?

Währenddessen wird die Interimsverfassung auch von anderer Seite scharf kritisiert. In Damaskus haben sich vergangene Woche über dreißig Organisationen und Parteien aus dem Spektrum der nicht-islamischen Opposition getroffen und die Syrian Equal Citizenship Alliance (Tamasuk) gegründet. Der Name ist Programm: Der Allianz geht es darum, für eine syrische Verfassung zu kämpfen, der kein islamisches Rechtsverständnis zugrunde liegt, sondern die Idee der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Diese Forderung richtet sich ganz explizit auch gegen die Interimsverfassung, die zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ebenso trennt wie zwischen Frauen und Männern. Man möchte, so das Programm, ein Land, das allen gehört und eine Religion, die Gott gehört.

Die Auseinandersetzung über die Zukunft Syriens und vor allem über seine Verfasstheit ist also an vielen Fronten voll entbrannt. Die Interimsverfassung, die weder wirkliche Gewaltenteilung vorsieht noch Gleichheit vor dem Gesetz festschreibt, auf islamischer Rechtsgrundlage basiert und dem Präsidenten quasi diktatorische Vollmachten gibt, stößt nicht nur bei kurdischen, drusischen, christlichen und alawitischen Organisationen auf Widerstand, sondern wird nun auch dezidiert von einigen der sich neu formierenden Kräften der syrischen Zivilgesellschaft scharf kritisiert.

Tamasuk ist der erste solche Verband, der sich nach dem Sturz des Regimes innerhalb Syriens gegründet hat. Auch das ist ein positives Zeichen, denn unter Assad war jedwede Opposition untersagt und es bedarf einiger Zeit, bis sich neue Gruppen und Parteien gründen. Immerhin werden sie von der Regierung nicht daran gehindert.

Fraglich allerdings ist, ob und wie diese verschiedenen Akteure zusammenfinden, um bestenfalls ein gemeinsames Programm zu entwickeln. Denn zwischen zum Beispiel kurdischen Aspirationen und syrischer Zivilgesellschaft herrschten schon in der Vergangenheit größere Spannungen. Viele syrische Oppositionelle sehen kurdische Bestrebungen nach Autonomie oder gar Föderalismus skeptisch und wittern dahinter einen Wunsch nach Abspaltung und Eigenstaatlichkeit.

Ebenso abzuwarten ist, ob die erklärte Einheit der kurdischen Parteien in Rojava halten wird. Wer sich ein wenig in kurdischer politischer Geschichte der letzten Jahrzehnte auskennt, weiß zur Genüge, dass es sowohl in Syrien wie früher auch im Irak immer wieder zu heftigen Zerwürfnissen kam, die zum Teil sogar bewaffnet ausgefochten wurden. Diese innerkurdischen Spannungen haben Nachbarländer wie die Türkei und der Iran auch immer für sich auszunutzen verstanden.

Und da die Türkei und die ihre angegliederten Milizen der Syrischen Nationalen Armee (SNA) weiterhin in Teilen Nordsyrien gegen die SDF kämpfen und Ankara seine Drohung eines erneuten Einmarschs in die Region nach wie vor aufrecht erhält, wäre eine gemeinsame kurdische Position umso wichtiger für die Zukunft Rojavas und Syriens.

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