Unter Donald Trump traten die USA aus dem UN-Menschenrechtsrat aus, unter Joe Biden wollen sie nun in ihn zurückkehren. Außenminister Antony Blinken fordert dabei allerdings wesentliche Veränderungen: Der exklusiv der Verurteilung Israels gewidmete regelmäßige Tagesordnungspunkt 7 auf den Sitzungen müsse gestrichen werden, außerdem müsse die Ratsmitgliedschaft an hohe menschenrechtliche Standards gekoppelt sein. Ob sich das bewerkstelligen lässt, ist fraglich, wie ein Blick auf die Geschichte dieses Gremiums und seines Vorgängers zeigt.
Knapp drei Jahre ist es her, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Rückzug aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bekanntgaben. Zur Begründung erklärte die seinerzeitige amerikanische UN-Botschafterin, Nikki Haley, das Gremium sei äußerst voreingenommen gegen Israel und ziehe Staaten, in denen die Menschenrechte gravierend verletzt würden, nicht zur Verantwortung, sondern decke sie vielmehr sogar. Eine solche Einrichtung wollten die USA nicht länger durch ihre Mitgliedschaft legitimieren, auch wenn sie durch den Austritt die Möglichkeit verloren, auf den Sitzungen des Rates das Wort zu ergreifen.
Nun aber, nach dem Amtsantritt von Joe Biden als Präsident, möchte Amerika in den Menschenrechtsrat zurückkehren. Das kündigte der neue Außenminister Antony Blinken auf einer Sitzung des Rates an, der er per Video zugeschaltet war.
„Wir bitten demütig um die Unterstützung aller UN-Mitgliedsstaaten in unserem Bemühen, wieder einen Sitz in diesem Gremium zu bekommen“, sagte er. Der Rat habe „eine bedeutende Rolle beim Schutz grundlegender Freiheiten gespielt, indem er Gräueltaten dokumentiert hat, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, den Rahmen für die Aufarbeitung von Verbrechen geschaffen und die Übergangsjustiz unterstützt hat“.
Die Dringlichkeitssitzungen des Rates lenkten zudem, so Blinken, „die Aufmerksamkeit schnell auf sich entfaltende Krisen“ und stellten sicher, „dass diejenigen, die ohne Stimme sind, einen Platz haben, um gehört zu werden“. Zugleich merkte der Außenminister an, es müsse sichergestellt werden, „dass die Mitgliedschaft im Rat hohe Standards für die Einhaltung der Menschenrechte widerspiegelt“. Diejenigen Staaten mit der schlechtesten Menschenrechtsbilanz „sollten nicht Mitglied dieses Rates sein“.
Außenminister Blinken: Weg mit dem antiisraelischen „Item 7“!
Blinken kritisierte außerdem den „unverhältnismäßigen Fokus“ des Menschenrechtsrates auf Israel deutlich und forderte: „Wir müssen den Tagesordnungspunkt 7 abschaffen und die Menschenrechtssituation in Israel und den palästinensischen Gebieten so behandeln, wie dieses Gremium mit jedem anderen Land umgeht.“
Dieser Tagesordnungspunkt 7, der seit jeher ein fester Bestandteil auf jeder Sitzung des Rates ist, heißt „Menschenrechtliche Situation in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten“. Bei ihm geht es, so wurde es in einer Resolution des Rates nach seiner Gründung festgelegt, um „Menschenrechtsverletzungen und Auswirkungen der israelischen Besatzung in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten“. Menschenrechtsverstöße der Hamas im Gazastreifen oder der Fatah im Westjordanland sind also nie ein Thema, sondern immer ausschließlich der jüdische Staat und seine vermeintlichen Verbrechen in den „besetzten Gebieten“.
Israel ist damit das einzige Land, das der UN-Menschenrechtsrat regelmäßig gesondert behandelt. Sofern es um die Lage und um Vorkommnisse in anderen Staaten geht, wird darüber vornehmlich gesprochen, wenn der allgemein formulierte Programmpunkt 4 aufgerufen wird: „Menschenrechtliche Situationen, die die Aufmerksamkeit des Rates erfordern“. Schon länger weigern sich die USA, Kanada, Australien, Großbritannien, die Länder der Europäischen Union und andere Demokratien, an der Diskussion teilzunehmen, wenn der „Item 7“ aufgerufen wird.
Warum der Menschenrechtsrat seinem Namen Hohn spricht
Um zu verstehen, wie sehr der Menschenrechtsrat seinem edlen Namen Hohn spricht, ist eine kurze Rückblende sinnvoll. Gegründet wurde der United Nations Human Rights Council im Jahr 2006, er ist ein Unterorgan der Generalversammlung und hat seinen Sitz in Genf.
Zu den Aufgaben des Rates gehören der Schutz der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die Ausarbeitung neuer Menschenrechtsstandards und die Vorbeugung vor Menschenrechtsverletzungen. Er soll die Menschenrechtsarbeit der Uno koordinieren, kann die Entsendung von Beobachtern zur Überwachung der Menschenrechtssituation in einem Mitgliedstaat beschließen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts geben.
Seine Prinzipien sollen Universalität, Unparteilichkeit, Objektivität und Nicht-Selektivität sein. Dem Vorläufer des Menschenrechtsrates, der im April 1946 gegründeten Menschenrechtskommission, gebrach es genau daran. Menschenrechtsverletzungen von und in Mitgliedsländern der Kommission wurden unter dem Vorwand kultureller Besonderheiten relativiert oder kamen gar nicht erst zur Sprache. Staaten, in denen Menschenrechte grundlegend missachtet wurden, durften in diesem Gremium mitwirken und sogar, wie Libyen im Jahr 2003, seinen Vorsitz übernehmen.
Die Kommission diente Autokraten und Despoten häufig dazu, sich gegenseitig vor Verurteilungen durch die Uno zu schützen und Begriffe wie Menschenrechte oder Rassismus als politische Waffe zu gebrauchen und sie so auszuhöhlen.
Als die Kritik immer lauter und eine grundlegende Reform gleichzeitig immer unwahrscheinlicher wurde, beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen im März 2006 auf Empfehlung des seinerzeitigen Generalsekretärs Kofi Annan, die Kommission aufzulösen und durch den Menschenrechtsrat zu ersetzen. „Die Menschenrechtskommission leidet unter einem Legitimationsdefizit, das den Ruf der Vereinten Nationen insgesamt in Frage stellt“, sagte Annan.
Der Rat ist nicht besser als sein aufgelöster Vorgänger
Der Menschenrechtsrat ist mit 47 Mitgliedern etwas kleiner als sein Vorgänger, dem 53 Ländern angehörten. Die Zusammensetzung des Rates soll geografisch ausgewogen sein: Die Gruppe der afrikanischen und die der asiatischen Staaten haben jeweils 13 Sitze inne, die Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Länder kommt auf acht Mitglieder, Osteuropa stellt deren sechs, die verbleibenden sieben Sitze entfallen auf Westeuropa und alle übrigen Staaten zusammen.
Die Mitglieder werden von der UN-Generalversammlung mit absoluter Mehrheit für je drei Jahre bestimmt, wobei eine Verlängerung der Mitgliedschaft um weitere drei Jahre möglich ist.
Die Aufnahmekriterien sollten schärfer sein als die der Menschenrechtskommission. Die Mitglieder müssen theoretisch die „höchsten Standards“ bei den Menschenrechten erfüllen und können bei schweren Verstößen von einer Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung abgewählt werden. Die Praxis sieht allerdings gänzlich anders aus. Von höchsten Standards kann keine Rede sein, Ausschlüsse (wie jener von Libyen im März 2011) oder die Nichtberufung eines Landes (wie im Falle Russlands im Oktober 2016) sind die absolute Ausnahme.
Die islamischen und die sogenannten blockfreien Staaten stimmen in der Regel gemeinsam ab und haben, entscheidend begünstigt durch die geografisch bestimmte Sitzverteilung im Rat, zusammen mit verschiedenen autoritären Staaten eine quasi-automatische Mehrheit.
Das hat vor allem zwei Folgen: Zum einen decken diese Mitglieder ihre Menschenrechtsverletzungen (oder die Verstöße verbündeter Staaten, die gerade nicht im Menschenrechtsrat vertreten sind) oft gegenseitig und sorgen so dafür, dass möglichst keine Resolutionen verabschiedet werden, in denen eines dieser Länder verurteilt wird. Zum anderen sind sie sich regelmäßig einig in den Verurteilungen des jüdischen Staates wegen dessen vermeintlicher Verbrechen.
90 Resolutionen gegen Israel, 70 gegen den Rest der Welt
Derzeit sind 60 Prozent der Länder mit einem Sitz im Rat keine Demokratien. Seit seiner Gründung im Jahr 2006 hat der Menschenrechtsrat in Resolutionen 90-mal Israel verurteilt. Alle anderen Länder der Welt kommen zusammengerechnet auf lediglich 70 Verurteilungen, darunter sind: Syrien mit 35, Nordkorea mit 13 sowie Iran und Eritrea mit jeweils zehn. China, Pakistan und Katar beispielsweise stehen noch immer bei null (die Angaben entstammen der Datenbank der Organisation UN Watch).
Das heißt: Der demokratische jüdische Staat wurde im und vom Rat bislang fast siebenmal (!) so häufig verurteilt wie die Diktatur Nordkorea. Warum das völlig absurd ist, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.
Wenn US-Außenminister Antony Blinken nun zur Begründung für eine Rückkehr in den Menschenrechtsrat ab 2022 anführt, dieser habe „eine bedeutende Rolle beim Schutz grundlegender Freiheiten gespielt“ und „den Rahmen für die Aufarbeitung von Verbrechen geschaffen“, dann kann man das getrost als diplomatisches Geplänkel verbuchen.
Wichtig wird vor allem sein, dass die Vereinigten Staaten auf diejenigen Veränderungen drängen, die Blinken angesprochen hat: Abschaffung des gegen Israel gerichteten ständigen „Item 7“, menschenrechtliche Standards als Bedingung für die Mitgliedschaft im Rat.
Es wäre auch eine Veränderung gegenüber der Politik der Vereinigten Staaten im Menschenrechtsrat unter Joe Bidens Vorvorgänger, wie Hillel Neuer deutlich macht, der Geschäftsführer von UN Watch: „Zu oft agierte die Obama-Regierung wie ein Cheerleader für den Rat und lobte Sitzungen, in denen zahlreiche antiwestliche Resolutionen verabschiedet wurden“, sagte er. „Die Biden-Regierung sollte die Missstände im Rat offen ansprechen und den Finger in die Wunde legen.“ Ansonsten hätte der Wiedereintritt auch keinen Sinn.