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Kinder von inhaftierten Frauen in Syrien in SOS-Kinderdorf untergebracht?

Familie Assad als Kinderfreunde
Familie Assad als Kinderfreunde (Bildquelle: Syria Times)

In Syrien verdichtet sich der Verdacht, dass während des Assad-Regimes die Kinder von inhaftierten Frauen im SOS-Kinderdorf bei Damaskus untergebracht wurden.

Israa Alrfae / Thomas von der Osten-Sacken

Die Vorwürfe sind gravierend: Laut Recherchen verschiedener syrischer Journalisten, darunter auch Israa Alrfae, trennten syrische Sicherheitskräfte in den Gefängnissen des Regimes offenbar systematisch Kleinkinder von ihren Müttern und brachten sie in Waisenhäuser.

Dieses Vorgehen gehörte zu den unzähligen Grausamkeiten und Foltermethoden, mit denen das Assad-Regime seine Bevölkerung terrorisierte und in ständiger Angst hielt. In Gefängnissen, von denen das berüchtigte das sogenannte »Menschenschlachthaus« in Sednaya nur eines ist, wurde systematisch sexuelle Gewalt angewandt; in den Frauenabteilungen kam es regelmäßig zu Vergewaltigungen durch das Aufsichtspersonal. Die Kinder, die infolgedessen geboren wurden, wurden ebenfalls in Waisenhäusern untergebracht, wo sie neue Identitäten erhielten.

Derzeit suchen Dutzende von Müttern nach ihren Kindern. Israa Alrfae hat in letzter Zeit mit einigen von ihnen gesprochen. Bei ihren Recherchen traf sie auch Sakina al-Jabawi, die während der Assad-Zeit drei Jahre lang von ihrer Tochter getrennt war und sie nur mit viel Mühe schließlich wieder zurückerhielt.

Al-Jabawi bestätigte, was Alrfae zuvor schon mehrfach gehört hatte: dass das SOS-Kinderdorf bei Damaskus an den Verschleppungen beteiligt war. Bereits im Dezember 2024 berichtete New Arab, dass in diesem SOS-Dorf Kinder untergebracht wurden, die gewaltsam von ihren Müttern getrennt worden waren.

Die Einrichtung der vom Österreicher Hermann Gmeiner gegründeten Organisation mit Sitz in Innsbruck wurde im Jahr 2017 unter der Schirmherrschaft von Basma al-Assad, der Frau des damaligen Präsidenten Baschar al-Assad, eröffnet. Die Frau des Diktators kontrollierte unzählige NGO und gab sich öffentlich als philanthropische und kinderfreundliche First Lady und besucht im Rahmen von Assads Österreich-Besuch im Jahr 2009 auch das SOS Kinderdorf in der Hinterbrühl bei Wien.

Sonderuntersuchung

Diese und andere Vorwürfe veranlassten SOS-Kinderdorf Syrien, eine recht vage Erklärung zu veröffentlichen, in der es unter anderem heißt:

»Im Zuge der Befreiung Syriens vom Assad-Regime haben sich Personen an das SOS-Kinderdorf Syrien gewandt, die auf der Suche nach vermissten minderjährigen Familienangehörigen sind. Nach einer ersten Untersuchung des SOS-Kinderdorf Syrien bleibt die Faktenlage unklar. Gemeinsam mit den Vertretern der zivilen Übergangsregierung werden wir alles dafür tun, um den Verbleib der Kinder aufzuklären.

Im Jahr 2023 wurde das Management der SOS-Kinderdörfer weltweit erstmals darüber informiert, dass dem Länderverein Syrien im Jahr 2015 Kinder zugewiesen wurden, weil deren Sorgeberechtigte zuvor vom Regime verhaftet worden waren, oder aus sonstigen nicht bekannten Gründen. Neben einer Gruppe von Kindern mit russischer Staatsangehörigkeit gehörten auch syrische Kinder dazu. Wir haben umgehend eine Sonderuntersuchung durch zwei Menschenrechtsanwälte in Auftrag gegeben, die nach einem ersten Assessment den Sachverhalt bestätigt haben.

Diese behördlich angeordnete Unterbringung wurde vor einigen Jahren beendet, da sie nicht mit unseren Prinzipien und Statuten vereinbar ist. Das SOS-Kinderdorf Syrien engagiert sich aktiv dafür, die Dokumente betroffener Kinder zu finden, um die noch vorhandenen Daten aus 2015 an die offiziellen Stellen der neuen zivilen Regierung zu übermitteln.«

Mehr Fragen als Antworten

Die Erklärung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Wenn schon 2023 bekannt war, dass es zu solchen Zwangsunterbringungen gekommen war, wieso äußert sich SOS-Kinderdorf erst nach dem Sturz Assads, als syrische und arabische Journalisten bereits begonnen hatten, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen? Und wenn die Geschichte von Sakina al-Jabawi so zutreffend ist – und es gibt keinen Grund, an ihr zu zweifeln –, dann wurde ihre Tochter 2018 in dem SOS-Kinderdorf untergebracht und verblieb dort bis 2021. Es gibt unzählige Hinweise darauf, dass es sich dabei keineswegs um einen Einzelfall handelte.

Israa Alrfae recherchierte derweil weiter. In einem Gespräch, das wir in Damaskus führen konnten, zeigte sie sich erstaunt und entsetzt darüber, dass dieser Skandal, der nicht nur die Brutalität des Assad-Regimes unterstreicht, sondern auch demonstriert, dass dieses Regime bewusst (internationale) Hilfsorganisationen in seine Verbrechen einbezog, in Deutschland und Österreich nicht aufgegriffen wird. Die folgende Geschichte über Sakina wurde zuerst von der syrischen Seite Horrya auf Arabisch publiziert:

Sakinas Geschichte: »Wie mein Kind in ein Kinderdorf verschleppt wurde«

Die Geschichte begann am 8. August 2018 in Barqa, einem Dorf nordwestlich von Dar’a, wo es zu dieser Zeit Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und der Armee gab. Truppen des Assad-Regimes umstellten das Haus von Sakina al-Jabawi und verhafteten sie zusammen mit ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter Heba; ihre älteste Tochter entging der Verhaftung, weil sie nicht zu Hause war. Sie alle wurden gemeinsam mit vier anderen Familien zum Luftwaffenstützpunkt in Mezzeh gebracht.

Sakina und ihre Tochter wurden gegen ein Uhr in eine Zelle eingesperrt, nachdem sie fotografiert und ihre Identitäten aufgenommen worden waren: »Die Zelle hatte weder Fenster noch Licht, und die Kinder waren verängstigt und weinten. Die Gefängniswärter schlugen gegen die Tür und schimpften, wir sollten unsere Kinder zum Schweigen bringen.«

In der Zelle waren waren über sechs Frauen und das Essen habe gerade einmal für eine Person gereicht, erzählt Sakina. »Ich war schwanger und musste meiner Tochter Essen geben, so blieb ich ohne Nahrung. Sie ließen uns nur dreimal am Tag die Toilette benutzen, aber die Kinder konnten nicht so lange warten, deshalb fingen wir an, Essgeschirr zu benutzen, damit sich unsere Kinder erleichtern konnten, und wir leerten sie in der Zeit, die für den Toilettengang vorgesehen war.«

Trennung von Kindern und Eltern

Zwanzig Tage nach Sakinas Verhaftung begannen die Gefängniswärter, an die Türen der Zellen zu schlagen und von den Frauen die Übergabe der Kinder zu verlangen. Sie drohten mit härtesten Strafen für jede, die gegen den Befehl verstieß oder sich ihm widersetzte. Den Häftlingen wurde mitgeteilt, die Kinder würden in SOS-Kinderdörfern untergebracht, die von einer deutschen Organisation betreut werden. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis könnten sie ihre Kinder dort wieder abholen.

»Eine der Frauen in der Zelle neben mir hielt ihren Sohn fest. Die Wärter schlugen sie, zerrten sie aus der Zelle – und sie kamen nie wieder zurück«, erinnert sich Sakina. So erging es jenen, deren Mutterliebe stärker war als der Überlebenstrieb. In Syrien kamen Zehntausende »nicht wieder zurück« – viele findet man nun in Massengräbern.

Sakina wurde sechs Monate später aus dem Gefängnis entlassen. Seit dieser Zeit litt sie unter sozialer Phobie und Panikattacken, wenn sie ein Mitglied des Regimes sah: »Ich hatte Angst, das Haus zu verlassen, Angst, dass sie zurückkommen und mich mitnehmen würden, wenn sie mich sehen.« Kurze Zeit nach ihrer Entlassung gebar Sakina im Haus ihrer Familie ihren Sohn Mohammed.

Foto eines Kleinkindes in einer Zelle im Sednaya-Gefängnis
Foto eines Kleinkindes in einer Zelle im Sednaya(Quelle: Thomas v. der Osten-Sacken)

Zwei Monate nach ihrer Freilassung begann sie mit der Suche nach ihrer Tochter Heba und bat auch ihren Bruder Ahmed, in Waisenhäusern in Damaskus nach ihrer Tochter zu suchen. »Was ist mit diesem Namen?«, war die einzige Antwort, die Ahmed, Student an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Damaskus, bei seinen Besuchen in den vielen Waisenhäusern regelmäßig erhielt. Er war auch mehrmals im SOS-Kinderdorf, in dem die Verantwortlichen jedoch eine Politik der Vertuschung betrieben, die darauf abzielte, jede Spur der Kindern von Gefangenen zu tilgen.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, Heba zu finden, traf Sakina eine der Familien, die mit ihr in Haft genommen worden waren, und erfuhr, dass sie einen Antrag an jene Stelle richten müsse, von der sie verhaftet worden war. Dann müsse sie mit diesem Antrag zum Zehnten Richter des Terrorismusgerichts gehen, der anschließend die Unschuld der Mutter bestätigen würde. Schließlich, nach Absolvierung dieser langwierigen Behördengänge, überstellte der Sicherheitsdienst der Luftwaffe Heba an ihre Familie. Dies ging allerdings mit der Anordnung einher, dass Sakina keinerlei Details über den Aufenthaltsort ihrer Tochter erfahren dürfe.

Vertuschungsversuch

Heba war drei Jahre lang von ihrer Mutter getrennt gewesen. Auf ihrem Körper fand Sakina Brandflecken am unteren Rücken und an den Füßen. Auch litt sie unter schweren psychischen Störungen: »Es dauerte mehr als ein Jahr, bis ich das Gefühl hatte, es wieder mit der alten Heba zu tun zu haben. Aber wann immer ich sie auf ihren Aufenthalt im Waisenhaus anspreche, beginnt sie zu weinen oder versucht, sich zu verstecken.«

Die Mutter wies darauf hin, dass Hebas Behauptung, sie könne sich an die Geschehnisse der letzten drei Jahre nicht erinnern, wohl der Versuch sei, sich diesen Erinnerungen zu verschließen, denn bei ihrer Rückkehr habe sie sofort »Mama« gesagt und nach ihrer älteren Schwester Nour gefragt, was bedeute, dass ihr Gedächtnis länger zurückreichte.

Sakina meinte im Gespräch, dass alles, was über Waisenhäuser in Syrien bislang gesagt worden sei, wohl stimme. Seit dem Sturz der Diktatur haben verschiedene Aktivisten, die der Sache nachgegangen sind, schwere Vorwürfe gegen diese Waisenhäuser erhoben. Auch bestätigte sie, dass die Identitäten der Kinder geändert wurden. Ihr Kind sei im Waisenhaus unter derselben Nummer wie sie im Gefängnis registriert worden, aber nicht unter seinem richtigen Namen. Sakina hatte die Nummer 9530; Heba im Kinderdorf die Nummer 9530/1. Viele Mütter hatten jedoch nicht das Glück wie Sakina, ihre Kinder wiederzusehen – sie bleiben verschwunden.

Auf die Frage, wie sie sich nach dem Sturz des Regimes gefühlt habe und ob die Angst aus ihrem Herzen gewichen sei, antwortete Sakina: »Bis heute habe ich Angst und ich vergesse nicht, was passiert ist. Es ist wahr, dass ich froh war, dass das Regime gefallen ist, aber ich bin nicht in der Lage, normal zu leben.«

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