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Kein Platz für Antisemitismus? Leider doch

Demonstration gegen den antisemitischen Sänger Roger Waters in Köln
Demonstration gegen den antisemitischen Sänger Roger Waters in Köln (Quelle: Alex Feuerherdt)

Der Sänger Roger Waters steht wegen antisemitischen und israelfeindlichen Äußerungen und seiner kruden Thesen zum russischen Angriffskrieg in der Kritik. Dennoch besuchen Zehntausende seine Konzerte in Deutschland, während nur einige wenige gegen ihn demonstrieren. 

Man muss es leider so klar sagen: Roger Waters hat gewonnen, und zwar deutlich. Er hat gewonnen, weil man ihn gewinnen ließ. Sechs Konzerte gibt er in diesen Tagen in Deutschland, und auch wenn es im Vorfeld in Medien und Politik viel Kritik an ihm und seinen Auftritten gegeben hat. Die Veranstaltungen werden alle stattfinden und der öffentliche Protest ist klein, sehr viel kleiner als die Zahl der Konzertbesucher.

In Hamburg kamen fast siebentausend Menschen, um dem 79-jährigen früheren Frontmann von Pink Floyd zuzuhören, der zuletzt vor allem wegen antisemitischer und israelfeindlicher Äußerungen sowie seiner kruden Ansichten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für Schlagzeilen gesorgt hat. Bevor das Konzert begann, rief Waters: »Ein Gericht in Frankfurt hat entschieden, dass ich kein Antisemit bin. Großartig.« Das stimmte zwar nicht – das Gericht war lediglich zu dem Schluss gekommen, dass bei den Auftritten des Sängers keine Verherrlichung oder Relativierung von NS-Gräueltaten zu erwarten sei; zu Waters’ Gesinnung hatte es keine Stellung bezogen.

Aber das Publikum bejubelte diese Äußerung trotzdem. Auch sonst gab es in Hamburg keine Proteste gegen Roger Waters, der erneut seinen berüchtigten Schweineballon aufsteigen ließ. Diesmal prangte zwar kein Davidstern darauf, dafür aber ein israelischer Rüstungskonzern – »besonders prominent platziert unter anderen Logos der internationalen Waffenindustrie«, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Von seiner Obsession mit dem jüdischen Staat mag Waters einfach nicht lassen, das ist auch im Spiegel-Interview Mitte März mehr als deutlich geworden.

Kölner Protestbündnis …

Kein Platz für Antisemitismus? Leider doch
Demonstration gegen den antisemitischen Sänger Roger Waters in Köln (Quelle: Alex Feuerherdt)

Das Gerichtsurteil in Frankfurt, auf das sich der Musiker zu Beginn seines Auftritts in Hamburg bezog, war Ende April ergangen. Mit ihm wurde der Beschluss der Stadt Frankfurt und des Bundeslandes Hessen gekippt, das Konzert in der Frankfurter Festhalle Ende Mai abzusagen. Mittlerweile haben Stadt und Land bekannt gegeben, die Verfügung zu akzeptieren, weil eine Beschwerde vor der nächsthöheren Instanz keine Aussicht auf Erfolg hätte. So spielt Waters nun an einem Ort, an dem 1938 mehr als dreitausend Juden zusammengetrieben, misshandelt und anschließend deportiert wurden.

In Köln hatte die Stadt gar nicht erst versucht, das Konzert zu untersagen. In den Vertrag zwischen dem Konzertveranstalter und der Betreibergesellschaft der Lanxess-Arena könne man nicht eingreifen, hieß es zur Begründung. Ersatzweise wurde dann eine Kundgebung am Vortag der Veranstaltung anberaumt, zu der ein breites Bündnis aufrief: die Stadtratsparteien Grüne, Linke, SPD, CDU, FDP und Volt, die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Deutsch-Israelische Gesellschaft, die Synagogengemeinde, die christlichen Kirchen sowie diverse Organisationen der Zivilgesellschaft.

Die Rednerinnen und Redner auf dem Roncalliplatz im Stadtzentrum waren durchwegs prominent: So sprachen beispielsweise der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, und der Grünen-Politiker Volker Beck sowie gleich zu Beginn die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. In Köln gebe es »keinen Platz für Antisemitismus«, und Köln mache nicht mit, sollte Waters zum Boykott Israels aufrufen, sagte sie.

… mit geringer Unterstützung

Andere Sprecher beschworen ebenfalls die Einigkeit der Kölner Stadtgesellschaft gegen Judenhass im Allgemeinen und Roger Waters im Besonderen. »Wish you were not here«, war das Motto der Kundgebung in Anspielung auf einen bekannten Song von Pink Floyd. Auf einem großen Transparent auf der Kundgebungsbühne stand die Forderung »Gegen jeden Antisemitismus!«. Bloß verloren sich auf dem großen Platz vor dem Kölner Dom gerade einmal 250 Menschen, die zuhörten und applaudierten. Waters’ Konzert in der Lanxess-Arena dagegen wollten mehr als 10.000 Menschen hören.

Dabei war das Wetter schön, die Uhrzeit günstig, die Kundgebung wochenlang überall in der Stadt gut sichtbar beworben worden. Trotzdem versammelte sich nur ein beschämend kleines Häuflein auf dem Roncalliplatz. Die Realität blamierte den Aufruf und die dahinter stehenden Parteien und Organisationen, die es nicht einmal geschafft hatten, die eigenen Mitglieder und Anhänger in einer nennenswerten Größenordnung zu mobilisieren.

Dabei sieht sich Roger Waters als Opfer einer »jüdischen Lobby«, die besonders in der Musikindustrie mächtig sei. Waters setzt Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleich, unterstützt die antisemitische BDS-Bewegung und bezeichnet den jüdischen Staat als »Experiment«, das »ein Fehler« gewesen sei. Zudem verbreitet er Kreml-Propaganda und behauptet, der russische Einmarsch in die Ukraine sei provoziert worden. Verantwortlich für den Krieg seien vor allem die NATO und ukrainische Nationalisten, während der russische Präsident hingegen mit einer »Spezialoperation« einen Völkermord gegen die russischsprachige Bevölkerung im Donbass verhindern wolle.

Werbung der Stadt Köln für Waters-Konzert

Wegen seiner Äußerungen zur Ukraine wurden zwei geplante Tour-Auftritte von Waters in Polen bereits im September 2022 abgesagt. In Deutschland hingegen jubelt ihm sein Publikum zu, und nur wenige zieht es gegen ihn auf die Straße. In Köln muss sich die Stadt zudem fragen lassen, wie ernst es ihr tatsächlich mit ihrem Protest war: Während die Oberbürgermeisterin auf der Kundgebung sprach, warb die Köln-Tourismus GmbH, ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der Stadt, im Internet weiterhin unverdrossen für das Waters-Konzert, wie das Portal report-K.de recherchiert hat.

Und während die Vorsitzenden der Kölner Stadtratsfraktionen von Grünen, CDU, SPD, FDP und Volt in einem gemeinsamen offenen Brief im Februar ihre »Ablehnung des geplanten Konzerts von Roger Waters in der Lanxess-Arena« betonten, veröffentlichte das städtische Unternehmen Köln-Tourismus einen klassischen Werbetext, in dem die »bemerkenswerte Karriere« von Roger Waters hervorgehoben wird. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Köln-Tourismus GmbH ist gleichzeitig stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kölner Rat – und auch die Grünen hatten sich ja kritisch zum Auftritt von Waters positioniert.

Sieg von Waters – und dem Antisemitismus 

Kein Platz für Antisemitismus? Leider doch
Demonstration gegen den antisemitischen Sänger Roger Waters in Köln (Quelle: Alex Feuerherdt)

»Warum unterstützt ein mit öffentlichen Mitteln subventioniertes städtisches Unternehmen werblich das Roger-Waters-Konzert? Und warum fällt dies dem obersten Kontrolleur, also dem Aufsichtsratschef, nicht auf?«, fragt report-K.de deshalb zu Recht. Die Antworten stehen weiterhin aus. Roger Waters wird sich jedenfalls ins Fäustchen gelacht haben und sich bestätigt fühlen – leider völlig zu Recht. 

Nicht nur in Köln gibt es nämlich sehr wohl Platz für Antisemitismus, vor allem in dessen israelbezogener Variante. Nur eine kleine Zahl an Menschen geht gegen einen Mann auf die Straße, der aus seinen diesbezüglichen Positionen keinen Hehl macht. Mögen auch viele Parteien und Organisationen den Aufruf zum Protest gegen ihn getragen haben, es fehlte – wie so oft, wenn es um das Thema Antisemitismus geht – selbst in den eigenen Reihen der Aufrufenden die Bereitschaft, diesem Appell auch zu folgen.

Roger Waters hat gewonnen – und mit ihm der Antisemitismus, einmal mehr. Eine bittere Erkenntnis. 

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