Kann Israel den Kreis der Abraham-Abkommen erweitern?

Was bedeutet die von China vermittelte Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran für das Abraham-Abkommen
Was bedeutet die von China vermittelte Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran für das Abraham-Abkommen (© Imago Images / Xinhua)

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass Israels Regierung mit vier Staaten verhandelt, die Interesse an einem Beitritt zu den Abraham-Abkommen zeigen. Das wäre ein enormer internationaler Durchbruch, der erneut auf das Konto von Benjamin Netanjahu ginge. Nur wenige Tage später wurde dem in Aussicht stehenden Erfolg von anderen Spielern im Nahen Osten ein massiver Rückschlag versetzt.

Im September 2020 stand Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vor dem Weißen Haus in Washington stolz an der Seite von Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und des Königreichs Bahrain. Ihm war vergönnt, als Repräsentant des Staates Israel die Abraham-Abkommen zu unterzeichnen, die eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und diesen arabischen Staaten am Persischen Golf einleiteten.

Nicht vergönnt war ihm hingegen, als Premier des jüdischen Staates an der Einweihung der israelischen Botschaft in Abu Dhabi teilzunehmen. Nach der Wahl im März 2021 fand er sich in der Opposition wieder. Infolgedessen wurde Israels damaliger Außenminister Yair Lapid (Zukunftspartei) der erste offizielle Vertreter des Staates Israel, der eine Reise in die VAE absolvierte. Lapid meinte damals zu Recht, dass es »ein historischer Moment« sei und fügte explizit hinzu, dass man dafür dem ehemaligen Ministerpräsidenten Netanjahu »als Architekt der Abraham-Abkommen« zu danken habe.

Reise weiter unter schlechtem Stern

Anfang Januar 2023, nur wenige Tage, nachdem Netanjahu im Zuge einer weiteren Wahl erneut ins Premieramt zurückgekehrt war, gab sein Büro bekannt, dass er nun endlich eine offizielle Reise in die VAE antreten werde. Der für Mitte Januar geplante Trip fand allerdings nicht statt. Bei dem neuen israelischen Friedenspartner wuchs wegen der Koalitionspartner zu Netanjahus Rechten das Unbehagen, sodass man sich Zurückhaltung erbat. Doch auch neu angesetzte Besuchstermine wurden, kaum angedacht, immer wieder verschoben. Für die Absage einer im März geplanten Reise gab das israelische Ministerpräsidentenbüro erst kürzlich »logistische Gründe«  an.

Seitens der VAE steht eine andere Begründung im Raum: die Befürchtung, eine solche Reise könnte regionale Spannungen auslösen. Nicht vor dem Hintergrund der neuesten Ereignisse in Israel, in deren Zusammenhang u. a. Bemerkungen von Finanzminister Bezalel Smotrich (Religiöse Zionisten) einen internationalen Sturm der Entrüstung auslösten und ihn zur Persona non grata in den USA werden ließen. Auch nicht in Zusammenhang mit den neuesten Maßnahmen von Itamar Ben-Gvir, der als Minister für nationale Sicherheit gerade erst zum wiederholten Mal eine für Israel ungewöhnliche politische Linie vorgab: Die fortgesetzte Zerstörung der Wohnhäuser von palästinensischen Attentätern während des muslimischen Fastenmonats Ramadan. Von den VAE war vielmehr zu hören, dass man von einem Netanjahu-Besuch ein weiteres Mal Abstand nimmt, weil sie befürchten, er könnte sich über den Iran auslassen.

Trotz allem auf Erfolgskurs

Mit seiner Vereidigung Ende Dezember 2022 verkündete Israels neuer Alt-Premier, eines der wichtigsten Regierungsziele sei der dramatische Ausbau des »Friedenskreises«. Zwar wurde nur drei Wochen später vor allem aus den USA in Anspielung auf die Proteste gegen die Justizreform und das Machtgerangel in den Reihen der Koalition gestachelt, dass großartige Pläne nicht umsetzbar seien, wenn der eigene Hinterhof brenne. Und doch: Netanjahu stellte unter Beweis, dass er auf dem internationalen Parkett weiter seinem Ruf als virtuoser Politiker gerecht wird. Schließlich schmiedete er beispielsweise an den Abraham-Abkommen, als andere noch nicht einmal in diese Richtung über den Tellerrand dachten.

Wie die israelischen Medien in den letzten Tagen meldeten, unterhält Israel unter Netanjahus Leitung und umgesetzt durch seinen Außenminister Eli Cohen mit gleich vier Staaten mehr oder weniger fortgeschrittene Verhandlungen über deren Betritt zu den Abraham-Abkommen. Bei diesen vier Staaten handelt es sich um Indonesien, Mauretanien, den Niger und Somalia. Involviert ist laut Presseangaben erneut das amerikanische Außenministerium. Nicht nur Außenminister Anthony Blinken soll in diese Verhandlungen eingebunden sein, sondern auch der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, der gerade zu Gesprächen in Israel war, und Amos Hochstein, der zuletzt als Vermittler des israelisch-libanesischen Abkommens zu den maritimen Grenzen wirkte.

Stand der Verhandlungen

Bislang haben sich den Abraham-Abkommen zwei weitere Staaten angeschlossen, im Dezember 2020 zunächst Marokko und in Schritten auch der SudanNetanjahus Außenminister Cohen konnte erst vor wenigen Wochen weitere Fortschritte der israelischen Beziehungen zum Sudan bekannt geben. Zu beiden Ländern unterhielt Israel bereits in der Vergangenheit Kontakte, sodass gerade die nunmehr aufgenommenen Verhandlungen mit Somalia und dem Niger noch bedeutungsvoller sind. Israel unterhielt in seiner 75-jährigen Geschichte nämlich niemals diplomatische Beziehungen zu diesen beiden muslimisch-sunnitischen Staaten des afrikanischen Kontinents.

Mauretanien hingegen blickt auf diplomatische Kontakte zu Israel, denn immerhin war dieses Land nach Ägypten und Jordanien das dritte Mitglied der Arabischen Liga, das 1999 Israel als souveränen Staat anerkannte. Mauretanien, das zu jenen Ländern gehörte, die Israel mit seiner Unabhängigkeitserklärung 1948 den Krieg erklärten, brach die Beziehungen jedoch infolge des Gaza-Konflikts 2008/2009 wieder ab. Jetzt sollen sich die Verhandlungen bezüglich des Beitritts von Mauretanien zu den Abraham-Abkommen bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befinden.

Wohl am meisten Aufsehen erregte die Erwähnung von Indonesien in der Liste der vier Staaten, mit denen Israel verhandelt. Immerhin rangiert Indonesien nicht nur auf dem vierten Platz der bevölkerungsreichsten Länder und gilt zudem als größter Inselstaat der Welt, sondern ist darüber hinaus jenes Land, das weltweit die meisten muslimischen Bürger zählt; rund 230 von 274 Millionen der Einwohner.

Da die indonesische Verfassung explizit den Kolonialismus ablehnt, nimmt nicht nur der Staat von Israel Abstand, dem er vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts ebensolchen Kolonialismus vorwirft; sondern Experten schätzen auch die Bevölkerung als mehrheitlich eine Israel-feindliche Haltung einnehmend ein. Dennoch bestehen ganz im Stillen seit einiger Zeit inoffizielle Kontakte in den Bereichen Handel, Technologie und Tourismus, die immer wieder dazu führten, dass Experten eine Erweiterung der Mitglieder der Abraham-Abkommen gerade in Richtung Indonesien vermuteten.

Wie gewonnen, so zerronnen

Die bloße Tatsache, dass Israel mit diesem Staatenquartett verhandelt, wurde als weiterer außenpolitischer Erfolg des israelischen Premiers gewertet. Einen ebenfalls bedeutsamen Pluspunkt verbuchte Netanjahu erst kurz zuvor. Obwohl er 2018 den Oman besucht hatte und infolgedessen Hoffnungen aufgekommen waren, das Golf-Sultanat könnte sich ebenfalls den Abraham-Abkommen anschließen, vollzog Haitham bin Tariq al Said, der 2020 die Nachfolge seines Vaters als Herrscher des Landes antrat, eine Kehrtwende. Anfang 2023 stellte er in seinem Land alle Kontakte und Interaktionen mit der »zionistischen Entität« unter Strafe. Premier Netanjahu gelang es dennoch, dass für israelische Fluggesellschaften langerhoffte Überflugrecht über den Oman zu erwirken.

Diese Entwicklungen bestätigten viele in der Ansicht, dass Netanjahu auf internationalem Parkett nicht wegen der politisch instabilen Lage im seinen Land gelähmt ist; im Gegenteil, verfolgt er seine außenpolitische Strategie weiter wie eh und je, und das sogar recht erfolgreich. Dazu gehört auch sein Traum, Saudi-Arabien an Bord der Abraham-Abkommen zu holen. Israels Experten wie auch Medien ergehen sich immer wieder über die längst klammheimlich aufgebauten Kontakte zwischen Israel und Saudi-Arabien. Erst vor zwei Monaten drang das Thema der noch enger werdenden Beziehungen wieder einmal in die israelischen Schlagzeilen; eine weitere Errungenschaft, die exklusiv Netanjahu zugeschrieben wurde.

Doch zu dem, was einige als zukünftige Krönung der Netanjahu-Strategie im Nahen Osten porträtierten, wird es wohl so bald nicht mehr kommen. Nur wenige Tage nachdem Israels anstehender Durchbruch bei der Erweiterung der Abraham-Abkommen bekannt wurde, ging eine Eilmeldung um die Welt: Unter Chinas Vermittlung hatten Saudi-Arabien und der Iran vereinbart, ihre seit Jahren brachliegenden diplomatischen Beziehungen innerhalb weniger Monate zu erneuern. 

Wenngleich einige Experten schnell mit der Meinung zur Stelle waren, diese neue Entwicklung tue den Abraham-Abkommen keinen Abbruch, steht dennoch außer Frage, dass sie für Premier Netanjahu ein Schlag unter die Gürtellinie war. Für ganz Israel sind das schlechte Neuigkeiten, mit denen sich die Politiker des Landes zunächst jedoch kaum beschäftigten. Für sie stand vielmehr in den Stunden nach Bekanntwerden der saudisch-iranischen Annäherung etwas anders im Fokus: sich gegenseitig die Schuld für diese geopolitische Veränderung mit massivem Schmetterlingseffekt zuzuschieben.

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