Der Waffenschmuggel der Hamas durch die Tunnel unterhalb der Grenze des Gazastreifens zum Sinai wurde von korrupten ägyptischen Beamten unterstützt.
David Isaac
Israel hat 180 Tunnel unter dem Philadelphi-Korridor, der strategischen Grenze des Gazastreifens zum Sinai, freigelegt. Beobachtern zufolge dienten diese Tunnel als Waffennachschublinien für die Hamas, und zwar nicht nur unter den wachsamen Augen Ägyptens, sondern mit dessen bereitwilliger Unterstützung. Die Enthüllung der ägyptischen Komplizenschaft wirft beunruhigende Fragen über Israels vermeintlichen Verbündeten auf. »In Jerusalem hat man jetzt das Gefühl, dass Ägypten undankbar ist«, sagte der Analyst für den Nahen Osten beim Jerusalem Center for Security and Foreign Affairs (JCFA) Yoni Ben Menachem in dem Zusammenhang.
Israel hat Ägypten bei seinem Kampf gegen den Islamischen Staat auf dem Sinai unterstützt. Es gestattete Kairo, seine Streitkräfte auf der Halbinsel zu verdoppeln und damit weit mehr Soldaten zu stationieren, als im israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979 festgehalten ist. Israel führte auf Ersuchen Ägyptens sogar Bombenangriffe gegen den Islamischen Staat durch und intervenierte im Jahr 2014 im Namen Ägyptens bei den USA, um die Fortsetzung der amerikanischen Militärhilfe sicherzustellen.
»Und jetzt stellt sich heraus, dass die Ägypter ein doppeltes Spiel gespielt haben«, sagte Ben Menachem. »Sie haben der Hamas viele Jahre lang erlaubt, Waffen zu schmuggeln, insbesondere nachdem [der ägyptische Präsident] Abdel-Fattah el-Sisi vor über zehn Jahren an die Macht kam.« Der Schmuggel erfolge nicht nur über die Tunnel, sondern dank der Bestechung hoher ägyptischer Beamter auch über den Grenzübergang Rafah.
Großes Geschäft
Der Schmuggel ist ein großes Geschäft für die Ägypter und eine Multimilliarden-Dollar-Industrie. Mahmoud el-Sisi, der Sohn des Präsidenten und stellvertretender Leiter des ägyptischen Nachrichtendienstes, ist stark involviert und hat sich mit dem Geschäftsmann Ibrahim al-Organi zusammengetan. Einem Bericht von Le Monde vom Mai zufolge kontrolliert al-Organi seit einem Jahrzehnt die Ein- und Ausreise über die Grenze, was ihm den Spitznamen »König des Grenzübergangs Rafah« eingebracht hat.
Zu Beginn seiner Amtszeit bekämpfte Präsident el-Sisi den Schmuggel, da er die Hamas als Bedrohung ansah. Die Terrorgruppe, ein Ableger der in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft, hatte Ägypten damals ins Visier genommen und ihre Mitglieder in den Sinai geschickt, um Terroristen des Islamischen Staates auszubilden. Auch war sie an Terroranschlägen in Ägypten beteiligt, so an der Ermordung des Generalstaatsanwalts Hisham Barakat im Jahr 2015, ein gemeinsamer Anschlag mit der Muslimbruderschaft und dem Islamischen Staat, so Ben Menachem.
Als jedoch der nunmehr oberste Hamas-Führer Yahya Sinwar im Jahr 2017 zum Gaza-Chef der Organisation gewählt wurde, sah Kairo seine Chance gekommen. Der ägyptische Geheimdienstchef Abbas Kamel besuchte den Gazastreifen und schloss ein Abkommen mit der Hamas. Letztere erklärte sich bereit, Ägypten nicht mehr anzugreifen, wenn dieses im Gegenzug den Grenzübergang Rafah rund um die Uhr öffne. »Ägypten hat ihnen die arabische Welt geöffnet«, stellte Ben Menachem fest.
Einer der Gründe, weshalb die Ägypter der Hamas bei der Forderung, Israel solle den Philadelphi-Korridor verlassen, zur Seite stehen, sei die Befürchtung, dass sich die Hamas wieder der Muslimbruderschaft und dem Islamischen Staat anschließen könnte, vermutet Ben Menachem.
Nicht einmal eine Mücke
»Das unterstreicht nur, dass Israel sich nur auf Israel verlassen kann und auf niemanden sonst, um die Grenze zu sichern«, sagte der Mitbegründer und Vorsitzende des Israelischen Verteidigungs- und Sicherheitsforums (IDSF) Amir Avivi. Avivi befehligte zwei Jahre lang die Truppen an der ägyptischen Grenze zwischen Gaza und Eilat, an der jede Nacht Schmuggelversuche stattfinden. Die Grenze zum Gazastreifen ist mit vierzehn Kilometern ein relativ kurzer Abschnitt davon.
Avivi erklärte, dass er heute nur mit dem Caracal-Bataillon, einer gemischten Infanterieeinheit aus Männern und Frauen, die damals unter seinem Kommando stand, die Grenze zum Gazastreifen so sichern könnte, dass »nicht einmal eine Mücke durchkäme. Die Ägypter hätten den Philadelphi-Korridor relativ leicht sichern können. Aber sie haben dazu nicht die Motivation, ganz im Gegenteil. Die Ägypter wissen ganz genau, was sie tun und wie sie die Hamas als Waffe einsetzen, um die Sicherheit Israels zu untergraben.«
Noch beunruhigender sei, dass Kairo Kriegsübungen durchführe, die eindeutig darauf abzielen, Israel anzugreifen. Ägypten baut außerdem eine riesige Armee auf, »die mächtigste in unserer Umgebung«, so Avivi, aber auch Tunnel, die unter dem Suezkanal hindurch in den Sinai führen. Außerdem wurden dreißig Brücken über den Kanal errichtet. »Die Ägypter haben bereits eine große Anzahl von Panzern in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen stationiert, was völlig gegen das Friedensabkommen verstößt«, kritisiert Avivi, dem Ben Menachem zustimmt: »Sie können in einer Nacht die gesamte Aufstellung der ägyptischen Armee im Sinai ändern und sich auf einen Krieg mit Israel vorbereiten, sodass sie Israel überraschen. Das ist sehr beunruhigend.«
Beide Experten sind sich einig, dass Israel seine Beziehungen zu Ägypten neu bewerten muss. »Vor der großen Überraschung, die wir am 7. Oktober erlebten, lebten wir mit der Vorstellung, dass die Abschreckung gegenüber Hamas funktionierte. Jetzt müssen wir unsere Meinung ändern und dürfen nicht mit der Vorstellung leben, dass mit Ägypten Frieden herrscht, denn die Fakten vor Ort zeigen etwas anderes«, analysiert Menachem.
Israel sollte »besser aufwachen und verstehen, dass wir in Zukunft vor einer Herausforderung stehen könnten. Wir müssen wachsam sein und an dieser Beziehung arbeiten und uns auf eine mögliche strategische Veränderung in der Zukunft vorbereiten«, meinte auch Avivi.
Kalter Friede
Das israelisch-ägyptische Friedensabkommen, das zwischen Präsident Anwar Sadat und Premierminister Menachem Begin unterzeichnet wurde, hat nie ganz gehalten, was es versprochen hatte. Es gab zwar keinen Krieg, aber der Inhalt der rund fünfzig Nebenvereinbarungen wurde nie öffentlich gemacht. So hat das israelische Außenministerium lediglich acht dieser Abkommen veröffentlicht, die sehr ins Detail gingen.
In einem Agrarabkommen bestätigten Ägypten und Israel, »gemeinsame Forschungsprojekte in Bereichen von großem Interesse durchzuführen, einschließlich des Austauschs von Wissenschaftlern, gemeinsamer Seminare und Symposien und des Austauschs von Forschungsinformationen«. Ein Kulturabkommen sah »Kontakte und den Austausch von Experten in den Bereichen Kultur, Kunst, Technik, Wissenschaft und Medizin« vor. Dieses Abkommen war in den Augen Israels besonders wichtig, da es sich mit dem Wandel der ägyptischen Haltung befasste.
Die Entwicklung schien sich in die richtige Richtung zu bewegen, bis Israel im April 1982 seinen dreijährigen schrittweisen Rückzug aus dem Sinai beendet hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Beziehungen eingefroren. König Hassan II. von Marokko gab einen Einblick in die Gründe dafür, als er 1984 meinte, Sadats Nachfolger Hosni Mubarak habe ihm mitgeteilt, der Vertrag sei gehaltlos, da »Kairo aus ihm herausgeholt habe, was es konnte«.
»Zu glauben, wie viele Israelis dies tun, dass die Tatsache, dass die Ägypter mit uns Frieden geschlossen haben, ausreichen würde, halte ich für dumm. Wir sollen uns damit zufriedengeben, dass sie uns nicht töten. Ich sage, dass wir ein anderes Niveau der Beziehungen fordern sollten«, meinte der ehemalige Brigadegeneral Avivi.
Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)