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Die »jüdische Nakba« (Teil 6): Der Libanon, Syrien und die Ritualmordlegende zwischen 1840 und heute

Wandmalerei aus der antiken Synagoge von Dura Europos im Osten Syriens. (© imago images/UIG)
Wandmalerei aus der antiken Synagoge von Dura Europos im Osten Syriens. (© imago images/UIG)

In Syrien und im Libanon gab es 2000 Jahre alte jüdische Gemeinden, von denen heute fast nichts mehr übrig geblieben ist.

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

Jüdische Gemeinden in Syrien und dem Libanon

Juden haben in Syrien und Libanon haben eine mehr als 2000jährige Geschichte. Die jüdische Gemeinde in Syrien geht mindestens auf die Römerzeit zurück, höchstwahrscheinlich sogar noch auf die Zeit davor. Größere jüdische Gemeinden gab es vor allem in Aleppo und Damaskus. Am Vorabend der Gründung Israel lebten rund 30.000 Juden im Land.

Im heutigen Libanon ließen sich Juden nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes durch die Römer im Jahr 132 u. Z. nieder, aber die jüdische Gemeinde war zahlenmäßig stets viel kleiner als jene im Nachbarland Syrien. 1948 haben rund 5.000 Juden im Libanon gelebt.

Die Ritualmordverleumdung von 1840

1840 wurden im Zuge der Ritualmordbeschuldigung von Damaskus mehrere Würdenträger der jüdischen Gemeinde verhaftet, nachdem sie beschuldigt wurden, einen christlichen Mönch und seinen muslimischen Diener getötet zu haben, um deren Blut zum Backen der Mazzot zu verwenden, dem ungesäuerten Fladenbrot, das beim jüdischen Pessach-Fest gegessenen wird.

Die christliche Seite wurde bei den Anschuldigungen vom französischen Konsul in Damaskus und notorischem Antisemiten, Ulysse de Ratti-Menton, unterstützt. Er ordnete eine Untersuchung im Judenviertel der Stadt an, wo die beiden Männer angeblich zuletzt gesehen worden waren, und ermutigte den ägyptischen Gouverneur von Damaskus, die Beschuldigten gefangen zu nehmen und durch Folter Geständnisse zu erzwingen. Zwei Juden starben unter der Tortur, einer trat zum Islam über, um sein Leben zu retten.

Christliche und muslimische Übergriffe waren die Folge der Affäre, die internationale Aufmerksamkeit erlangte, insbesondere in jüdischen Kreisen. Nach einer Intervention des britischen Unternehmers Sir Moses Montefiore, der als Vordenker des Zionismus gilt, und des Rechtsanwalts und Politikers Adolphe Crémieux, der Repräsentant des Consistoire central israélite war, entließ Muhammed Ali, der Herrscher Ägyptens, die überlebenden Gefangenen ohne formellen Freispruch aus der Haft.

Die so genannte Damaskus-Affäre gilt als der Beginn der Ära des modernen Antisemitismus in der arabischen/islamischen Welt. An der Verbreitung der Ritualmordlegende konnte auch der Umstand nichts ändern, dass der osmanische Sultan in einem Edikt ausdrücklich festhielt, dass die Beschuldigungen gegen die Damaszener Juden unbegründet gewesen waren.

Obwohl es für den aus der christlichen Welt stammenden Ritualmordvorwurf in er islamischen Tradition kein Pendant gegeben hatte, fiel auf fruchtbaren Boden und stand innerhalb kürzester Zeit in nahezu allen Provinzen des Osmanischen Reiches auf der Tagesordnung. Bernard Lewis zählt in seinem Buch Die Juden in der islamischen Welt einige Beispiele auf:

»Für den Rest des 19. Jahrhunderts bis weit in das zwanzigste hinein wird die Ritualmordbeschuldigung in osmanischen Landen nahezu alltäglich, wie zum Beispiel in Aleppo (1810, 1850, 1875), Antiochia (1826), Damaskus (1840, 1848, 1890), Tripoli (1834), Beirut (1862, 1874), Dayr al-Qamar (1847), Jerusalem (1847), Kairo (1844, 1890, 1901-1902), Mansourah (1877), Alexandria (1870, 1882, 1901-1902), Port Said (1903, 1908), Damanhur (1871, 1873, 1877, 1892), Istanbul (1870, 1874), Büyükdere (1864), Kuzguncuk (1866), Eyyub (1868), Edirne (1875), Izmir (1872, 1874) und noch öfter in den griechischen und Balkanprovinzen.«

Sowohl die Ritualmordgeschichte, als auch die später entstandene Verschwörungstheorie der Protokolle der Weisen von Zion erfreuen sich bis heute weiter Verbreitung in der arabischen Welt. Vom Verlag des ehemaligen syrischen Verteidigungsminister Mustafa Tlas etwa wird mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Niederschrift durch russische Geheimagenten eine Neuauflage der Protokolle herausgegeben, und noch 1983 veröffentlichte er ein antisemitisches Buch namens Matza von Zion, das eine affirmative Beschreibung der Damaskus-Affäre von 1840 enthält. Darin wurde erneut die mittelalterliche Ritualmordlegende verbreitet, wonach Juden zum Backen der Matze das Blut christlicher Kinder verwendeten.

Mandatszeit und Unabhängigkeit

1918 kamen Syrien und der Libanon unter französische Mandatsverwaltung, was das Land nicht daran hinderte, 1930 unter dem Einfluss der Propaganda des nazifreundlichen Muftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, antijüdische Gesetze zu erlassen.

Während zwischen 1945 und 1950 die Mehrheit der 15.000 Juden aus dem Land flüchtete, wurde im Januar 1947 in Damaskus die antisemitische Baath-Partei gegründet. Im selben Jahr kam es in der Wirtschaftsmetropole Aleppo zu einem Pogrom. Alle Synagogen, fünf Schulen, 150 Geschäfte und jüdische Institutionen wurden zerstört, 76 Juden getötet, Hunderte verletzt und mehrere Hundert verhaftet. Danach verließ die Hälfte der jüdischen Bevölkerung die Stadt.

In Damaskus wurden 1947 dreizehn Juden getötet und auch in Beirut und Tripoli kamen im November 1948 Juden bei Ausschreitungen ums Leben. 1949 wurden dann die Bankkonten von Juden in Syrien eingefroren und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Im selben Jahr wurden bei einem Handgranatenanschlag auf die al-Menashe Synagoge dreizehn Juden getötet, 32 wurden verwundet.

Währen 1950 in Syrien nur noch 5.700 Juden verblieben waren, wurde deren Eigentum gesetzlich beschlagnahmt und palästinensische Flüchtlinge zogen in das jüdische Viertel von Damaskus. In Damaskus, Aleppo und Qamishli ereigneten sich Angriffe auf Juden. Zwischen 1958 und 1962 verließen weitere 2.800 Juden gegen die Zahlung von Bestechungsgelder Syrien, danach wurde ein Ausreiseverbot für Juden aus dem Land verfügt, bevor 1963 die antisemitische Baath-Partei endgültig an die Macht gelangte.

Libanon wurde 1971 der jüdische Gemeindepräsident Albert Elkia entführt und ermordet, drei Jahre später wurden in Syrien vier jüdische Mädchen ermordet. Mit Beginn des Bürgerkrieges im Libanon Mitte der 1970er Jahre verließen nahezu alle Juden das Land, dreißig der Zurückbleibenden Juden wurden im Laufe des Krieges ermordet.

Jüngste Vergangenheit

1992 erlaubte der syrische Präsident Hafiz al-Assad, der Vater des heute regierenden Bashar, im Rahmen des syrischen Beitritts zur amerikanischen Golfkriegsallianz rund 2.800 Juden unter Verzicht auf ihr Eigentum, das Land zu verlassen.

Im Herbst 2003 lief auf Al-Manar, dem Fernsehsender der Hisbolla,h in Syrien und im Iran die Vorabendserie Asch-Schatat, die erneut die antisemitische Geschichte von den Protokollen der Weisen von Zion sowie die Ritualmordlegende für Kinder aufbereitete. Eine Folge zeigte, wie zwei Rabbiner einen christlichen Jungen gefangen nehmen, ihm die Kehle durchschneiden, sein Blut auffangen und zum Backen von verwenden.

2017 verbleiben in jedem der beiden Länder weniger als 15 Juden.

Empfohlene weitergehende Literatur:

In der Reihe erschienen:

Die »jüdische Nakba« wird verschwiegen
Die »jüdische Nakba« (Teil 2): Geschichte der muslimischen Judenfeindschaft
Die »jüdische Nakba« (Teil 3): Die Vertreibung aus Ägypten 
Die »jüdische Nakba« (Teil 4): Das Ende der jüdischen Gemeinde im Irak 
Die »jüdische Nakba« (Teil 5): Das Verschwinden der jüdischen Gemeinde in Marokko
Die »jüdische Nakba« (Teil 6): Der Libanon, Syrien und die Ritualmordlegende zwischen 1840 und heute
Die »jüdische Nakba« (Teil 7): Die Juden des Jemen
Die »jüdische Nakba« (Teil 8): Die Flucht der Juden aus Algerien, Tunesien und Libyen
Die »jüdische Nakba« (Teil 9): Die Verfolgung der Juden im Iran
Die »jüdische Nakba« (Teil 10): Abschließende Zusammenfassung

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