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Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Der IStGH erließ Haftbefehle gegen Israel Premier Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Gallant
Der IStGH erließ Haftbefehle gegen Israel Premier Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Gallant (© Imago Images / Nur Photo)

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat gegen den israelischen Premierminister und den ehemaligen Verteidigungsminister Haftbefehle wegen mutmaßlicher »Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen« im Gazastreifen erlassen.

Akiva Van Koningsveld / Joshua Marks

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen, wie das Tribunal in Den Haag am Donnerstagnachmittag bekannt gab. Die Vorverfahrenskammer I des Gerichts hat »Haftbefehle gegen zwei Personen, Benjamin Netanjahu und Yoav Gallant, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erlassen, die mindestens vom 8. Oktober 2023 bis zum 20. Mai 2024, dem Tag, an dem die Staatsanwaltschaft die Anträge auf Haftbefehle gestellt hat, begangen wurden«, bestätigte sie in einer Erklärung.

In einer separaten Erklärung ordnete das Gericht die Verhaftung von Mohammed Deif an, dem Oberbefehlshaber des militärischen Arms der Hamas, der nach Angaben der israelischen Streitkräfte am 13. Juli bei einem Luftangriff getötet wurde.

Juristischer Taschenspielertrick

Das Gericht gab an, hinreichende Gründe für die Annahme gefunden zu haben, dass Netanjahu und Gallant »jeweils die strafrechtliche Verantwortung für die folgenden Verbrechen als Mittäter tragen, die sie gemeinsam mit anderen begangen haben: das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung und die gegen die Menschlichkeit gerichteten Verbrechen des Mordes, der Verfolgung und weitere unmenschlicher Handlungen.« Die Kammer erklärte, es gebe auch »hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu und Gallant die Verantwortung für das Kriegsverbrechen tragen, vorsätzlich Angriffe gegen die Zivilbevölkerung zu leiten«, obwohl sie feststellte, dass der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, nur Informationen über zwei Vorfälle vorgelegt habe, die laut Gericht gegen Zivilisten gerichtet waren.

Den Haag wies die Einwände Jerusalems bezüglich der Zuständigkeit zurück, weil Israel kein IStGH-Mitglied ist. In seiner Antwort erklärte das Gericht, es könne seine Autorität auf der Grundlage der Mitgliedschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde ausüben. Zugleich entschied es, dass Länder nicht berechtigt seien, die Zuständigkeit des IStGH vor der Ausstellung von Haftbefehlen anzufechten.

Der IStGH hat keine Gerichtsbarkeit über Israel, da Jerusalem das Römische Statut, das den Gerichtshof ins Leben gerufen hatte, nicht unterzeichnet hat. Aber in einem juristischen Taschenspielertrick hat das Gericht seine Zuständigkeit geltend gemacht, indem es 2015 »Palästina« als Unterzeichner akzeptierte, obwohl ein solcher Staat nach internationalem Recht nicht anerkannt ist. Die 123 Länder, die das Römische Statut unterzeichnet haben, sind verpflichtet, jedem vom IStGH ausgestellten Haftbefehl nachzukommen, was die Möglichkeit eröffnet, dass Netanjahu und Gallant bei einem Besuch dieser Staaten verhaftet werden könnten.

In Bezug auf Mohammed Deif erklärte das Gericht, es habe »vernünftige Gründe zu der Annahme, dass hochrangige Hamas-Führer, darunter zumindest Mohammed Deif, Yahya Sinwar und Ismail Haniyeh, vereinbart hatten, die Operation vom 7. Oktober 2023 gemeinsam durchzuführen«. Chefankläger Khan hatte zunächst Haftbefehle gegen den politischen Führer der Hamas, Haniyeh, und den Hamas-Terrorchef in Gaza, Sinwar, beantragt, die rechtlichen Verfahren jedoch nach deren Tod am 31. Juli bzw. 16. Oktober eingestellt. Am 7. Oktober 2023 wurden etwa 1.200 Zivilisten von Hamas-Terroristen ermordet. Tausende weitere wurden verwundet und 251 in den Gazastreifen verschleppt.

Geopolitische Bombe

»Das ist eine geopolitische Bombe. Es ist das erste Mal, dass das Gericht Haftbefehle gegen ein westliches Land erlässt, und auch das erste Mal, dass es Haftbefehle erlässt, obwohl es in diesem Fall keine Gerichtsbarkeit gibt, sondern sie sich diese selbst ausgedacht haben«, sagte die Rechtsberaterin von NGO Monitor Anne Herzberg gegenüber dem Jewish News Syndicate und fügte hinzu, diese Vorgehensweise sei »empörend«. NGO Monitor ist ein Forschungsinstitut mit Sitz in Jerusalem, das Nichtregierungsorganisationen, die behaupten, sich für die Menschenrechte einzusetzen, tatsächlich aber antiisraelische Propaganda betreiben, unter die Lupe nimmt.

Laut Herzberg sollte die Entscheidung des IStGH angesichts der Ergebnisse der jüngsten US-Wahlen, bei denen die Republikaner die Exekutive und Legislative der Regierung übernahmen, in einen politischen Kontext gestellt werden. »Ich bin davon überzeugt, dass das Gericht gehandelt hat, weil es weiß, dass die Trump-Regierung in wenigen Wochen antritt und eine sehr feindselige Haltung gegenüber dem Gericht einnehmen wird«, meinte sie und wies darauf hin, dass die Senatsvorsitzenden am Mittwoch eine Erklärung abgegeben hatten, in der sie Sanktionen gegen den IStGH in Betracht zogen.

Sie sei sich sicher, »dass sie versuchen, so viel wie möglich zu erledigen, bevor Trump übernimmt. Ich denke, wir müssen das aus dieser Perspektive betrachten«, so die Rechtsexpertin, die im Zuge der Anträge des Chefanklägers gegen Netanjahu und Gallant eine Amicus-Curiae-Stellungnahme für den IStGH verfasst hat.

Auch im Hinblick auf ihre möglichen Folgen für die 101 Geiseln, die noch immer von der Hamas festgehalten werden, müsse die Entscheidung geprüft werden. »Wird ein Geiseldeal jetzt noch unwahrscheinlicher? Denn wieder einmal wird der ganze Druck auf Israel ausgeübt, es gibt keinen Druck auf die andere Seite, es gibt keinen Druck auf den Iran. Diesen Ländern, dem Iran, Katar, passiert nichts, obwohl sie die Hamas unterstützen. Und sie schieben die ganze Schuld auf Israel. Wieder einmal sehen wir, dass diese internationalen Institutionen im Grunde einen Terrorkrieg gegen Israel ermöglichen.«

Herzberg betonte zwar, es sei unwahrscheinlich, dass Netanjahu und Gallant tatsächlich verhaftet würden, die Haftbefehle hätten jedoch schwerwiegende Folgen, da die beiden Männer aus Furcht vor einer Verhaftung nicht mehr nach Europa reisen könnten. »Dies ist nicht nur für die nationale Sicherheit [Israels] von Bedeutung, sondern auch für die NATO, da persönliche Treffen derzeit nicht möglich sind. Und selbst wenn diese Länder Netanjahu hassen und gegen Israel eingestellt sind, müssen sie anfangen, über die Auswirkungen nachzudenken, die es auf ihre eigenen Kampagnen gegen Russland oder China hat, wenn sie keine persönliche Zusammenarbeit mit der israelischen Sicherheitsbehörde haben können.«

Die andere große Auswirkung der IStGH-Entscheidung sei, erklärte Herzberg weiter, »dass auch andere bei der israelischen Regierung oder den israelischen Streitkräften tätige Personen jetzt nur noch eingeschränkt reisen können, weil oft Haftbefehle beantragt werden, die nicht im Voraus veröffentlicht werden. Es könnte also durchaus sein, dass es andere Personen gibt, die der Staatsanwalt angeklagt hat, und wir wissen jetzt nicht, wie das Ergebnis ausfällt oder welche anderen Personen in Betracht gezogen werden. Dies beeinträchtigt nicht nur die nationalen Sicherheitsinteressen Israels, sondern auch die nationale Sicherheit der gesamten westlichen Welt.«

Aggressive Strategie gefordert

Eugene Kontorovich, Professor an der George Mason University Scalia Law School und Direktor der Abteilung für internationales Recht am Kohelet Policy Forum, einer Denkfabrik in Jerusalem, sagte gegenüber dem Jewish News Syndicate, ein illegitimes, weil für Israel unzuständiges Gericht habe im Namen eines inexistenten Staates Haftbefehle wegen erfundener Verbrechen auf der Grundlage unbegründeter Berichte erlassen. »Um den Anschein von ›Unparteilichkeit‹ zu erwecken, erließ das Gericht einen Haftbefehl gegen einen Erzterroristen, der bereits vor vier Monaten eliminiert wurde. Es ist an der Zeit, dass Israel ein Gesetz verabschiedet, das jegliche Zusammenarbeit mit dem IStGH verbietet und israelische Organisationen sanktioniert, die Informationen an den Gerichtshof weitergeben. Israels Verbündete sollten dieses illegitime Gericht sanktionieren.«

Der Juraprofessor an der Universität von San Diego und der Bar-Ilan-Universität Avi Bell sagte gegenüber dem Jewish News Syndicate, die aktuelle Entscheidung sei »der Höhepunkt eines fünfzehnjährigen Prozesses, einer Zusammenarbeit zwischen dem IStGH und der PLO [Palästinensische Befreiungsorganisation], um Israelis mit falschen Anschuldigungen zu überhäufen. Und der einzige Grund, warum ich zögere, das Wort ›Höhepunkt‹ auszusprechen, ist die Tatsache, dass dies nicht das Ende gewesen sein wird. Sie werden weitermachen und im Laufe der Zeit immer weitere Anklagen gegen immer mehr Israelis erheben.«

Dieser Prozess habe nichts mit rechtlichen Entwicklungen zu tun, sondern nur mit politischen, das heißt, das Gericht will »jüdische israelische Angeklagte« produzieren, sagte Bell, der darauf hinwies, dass der Zeitpunkt des Gerichts insofern merkwürdig sei, da der IStGH-Chefankläger wegen sexuellen Fehlverhaltens angeklagt sei und versuche, diese Vorwürfe im Keim zu ersticken. Darüber hinaus stelle Israel die Unparteilichkeit eines neuen Richters im Gremium infrage, der just aus dem Büro des Chefanklägers stamme.

Bell vermutete ebenfalls, dass die Entscheidung, die Anklageerhebung voranzutreiben, mit dem Sieg von Donald Trump als neuer US-Präsident zu tun haben könnte, oder damit, dass der IStGH unbedingt unparteiisch erscheinen möchte und weiß, dass es nur einen begrenzten Zeitraum gibt, in dem er Deif als Feigenblatt benutzen kann, da dieser tot ist. Bell wies darauf hin, dass selbst die Hamas im Sommer zugegeben hat, dass Deif zwei Wochen zuvor gestorben sei.

Was Israel tun könne, so Bell, sei eine Strategie der vollständigen Nichtzusammenarbeit. Einer der Gründe, warum es sich in »diesem Schlamassel« befinde, sei, dass es diese Strategie nicht verfolgt habe. Israel müsse ein Äquivalent zum amerikanischen Gesetz zum Schutz von Einsatzkräften verabschieden. »Mit anderen Worten: Israel sollte nicht nur die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verbieten, sondern auch damit drohen, ›wenn nötig, jeden Israeli zu befreien, der gewaltsam in Gewahrsam genommen wird‹, und die Zusammenarbeit mit dem IStGH als Zusammenarbeit bei versuchter Entführung definieren ›und strafrechtlich verfolgen‹. Israel sollte bei seinen Schritten gegen den Gerichtshof sehr aggressiv vorgehen. Es hätte schon vor Jahren sehr aggressiv vorgehen sollen.«

Laut einer JNS-Umfrage sind 84 Prozent der Israelis der Meinung, dass der IStGH ein politisches und kein rechtliches Organ ist. Zwölf Prozent waren anderer Meinung, während fünf Prozent keine Meinung hatten.

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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