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Israelische Siedlungen: Was für den Schritt der USA spricht

Israelische Bautätigkeit in Pisgat Zeev, einem Vorort von Jerusalem im Westjordanland
Israelische Bautätigkeit in Pisgat Zeev, einem Vorort von Jerusalem im Westjordanland (© Imago Images / ZUMA Press)

Für die USA sind die israelischen Siedlungen im Westjordanland nicht länger per se ein Verstoß gegen internationales Recht. Diese Entscheidung ist beileibe nicht so abwegig, wie man in Europa glaubt. Sowohl rechtlich als auch politisch gibt es gute Argumente für sie.

Ein kleines gedankliches Experiment zu Beginn: Was geschähe wohl, wenn Israel seine Ortschaften und Wohneinheiten im Westjordanland und in Ostjerusalem auflöste und die mehr als 600.000 Bewohnerinnen und Bewohner sich neue Wohnungen und Häuser suchen müssten, etwa im israelischen Kernland? Könnte dann der jüdische Staat in trauter Harmonie mit seinen Nachbarn leben? Würde er endlich von diesen anerkannt? Entstünde ein zivilisierter Staat Palästina? Käme gar der Frieden im Nahen Osten? Oder nähmen die politischen Führungen der Palästinenser diesen Schritt zum Anlass, ihrer antisemitischen Forderung nach der „Befreiung ganz Palästinas“ – von den Juden nämlich – weiteren Nachdruck zu verleihen? Vielleicht so, wie die Hamas es tat, als Israel sich im Jahr 2005 aus dem Gazastreifen zurückzog? Also mit Tausenden von Raketen?

Alle Angebote ausgeschlagen

Die letztgenannte Option dürfte ganz erheblich realistischer sein, zumal die palästinensische Seite selbst in Zeiten intensivster Verhandlungen noch das weitestgehende israelische Angebot ausschlug: Im Jahr 2000 bot der israelische Premierminister Ehud Barak in Camp David bekanntlich an, zahlreiche Siedlungen zu räumen; zudem wollte er die nahe der „Grünen Linie“ liegenden Siedlungsblöcke, in denen die große Mehrheit der Siedler lebt, ins israelische Staatsgebiet eingliedern und diese Maßnahme durch einen territorialen Austausch mit den Palästinensern abgelten. Yassir Arafat lehnte ab und blies stattdessen zur zweiten Intifada mit ihren zahlreichen Selbstmordattentaten. Arafats Nachfolger Mahmud Abbas wies im Jahr 2008 ein für die Palästinenser noch besseres Angebot von Ehud Olmert ebenfalls zurück.

Weder die Fatah noch die Hamas würde sich mit einem Abzug der Siedler zufriedengeben, für beide ist der gesamte jüdische Staat eine einzige illegale Siedlung. Ihr Ziel ist nicht eine Zweistaaten-, sondern eine Kein-Staat-Israel-Lösung, ihnen geht es nicht nur um das Westjordanland, sondern auch um Tel Aviv, Haifa, Akko – und ganz Jerusalem. Das darf man nicht ausblenden, wenn es um das Reizthema „Siedlungen“ geht. Es wird aber gerne ausgeblendet, sobald die Rede darauf kommt. Auch jetzt wieder, nachdem der amerikanische Außenminister Mike Pompeo verkündete, dass die US-Regierung ihre Haltung in dieser Frage geändert habe: Israelische Siedlungen im Westjordanland stünden „nicht per se“ im Widerspruch zu internationalem Recht.

Der mediale Aufschrei war zu erwarten

Das sorgte für den zu erwartenden Aufschrei, vor allem in den Medien. In den Tagesthemen der ARD etwa kommentierte Christian Nitsche, die USA hätten sich nunmehr als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern disqualifiziert und Ersteren nicht einmal einen Gefallen getan, schließlich bedeute ihr Schritt „weiterhin Raketenterror, weiterhin Vernichtungsziel anderer Staaten zu sein“. Ganz so, als hätten das israelische Angebot in Camp David und der Abzug aus Gaza nicht gezeigt, dass ein Entgegenkommen nicht zu Kompromissbereitschaft, sondern erst recht zu Terror führt – was die Israelis, anders als Nitsche, nicht vergessen haben.

In der Süddeutschen Zeitung kam Alexandra Föderl-Schmid zu dem Schluss: „Trump bestimmt, was Recht ist.“ Wenig später klagt sie: „Dass die Europäer die Siedlungen weiter für illegal halten, kümmert weder die Siedler noch die politisch Verantwortlichen in Israel.“ Einmal abgesehen davon, dass es tatsächlich gute Gründe für die Israelis gibt, bei Belehrungen aus Europa auf Durchzug zu stellen: Der SZ-Korrespondentin fällt offenbar gar nicht auf, dass sie hier, wenn man die tendenziöse Wortwahl einmal vernachlässigt, selbst deutlich gemacht hat, dass internationales Recht kein Naturgesetz ist, sondern etwas, wozu es in Demokratien ganz offensichtlich unterschiedliche Ansichten und unterschiedliche Auslegungen geben kann.

Welchen Status hat das Westjordanland?

Der Behauptung, dass die israelischen Siedlungen völkerrechtswidrig sind, liegt die Übernahme der palästinensischen Position zugrunde, der zufolge das Westjordanland ausschließlich arabisches Land sei – und Ostjerusalem ebenso. Dabei befand sich weder das eine noch das andere Territorium zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte unter arabisch-palästinensischer Souveränität. Die jordanische Herrschaft von 1948 bis 1967 beruhte bekanntlich auf einer Annexion, die außer von Großbritannien und Pakistan von niemandem anerkannt wurde.

Der amerikanische Rechtswissenschaftler Eugene V. Rostow, jahrelang Dekan der Yale Law School und während des Sechstagekrieges 1967 Staatssekretär für politische Angelegenheiten unter US-Präsident Lyndon B. Johnson, argumentierte deshalb, dass das Westjordanland, das einst Teil des Osmanischen Reiches war, als „nicht zugeteiltes Territorium“ betrachtet werden sollte. Unter diesem Aspekt ist Israel nicht einfach eine „kriegerische Besatzungsmacht“, sondern hat den Status eines „Anspruchsberechtigten auf das Territorium“. In Übereinstimmung mit dieser Einschätzung bezeichnet Israel das Westjordanland meist als „umstrittenes Gebiet“.

Gegen die israelischen Siedlungen wird vor allem die Vierte Genfer Konvention von 1949 in Anschlag gebracht, das erste internationale Abkommen, das speziell auf den Schutz der Zivilbevölkerung während des Krieges ausgerichtet ist. Dessen sechster und letzter Absatz lautet: „Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.“ Das wird von den Kritikern so interpretiert, dass nicht nur erzwungene Ansiedlungen von Israelis im Westjordanland – die es nicht gibt –verboten sind, sondern auch auf freiwilliger Basis erfolgende.

Doch der erste Absatz des Artikels 49 lässt diese Einschätzung als zweifelhaft erscheinen, denn dort heißt es: „Zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlungen sowie Deportationen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besetzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetzten oder unbesetzten Staates sind ohne Rücksicht auf ihren Beweggrund verboten.“ Hier bezieht sich das entsprechende Verbot so eindeutig ausschließlich auf gewaltsame Umsiedlungen, dass seine Gültigkeit auch für freiwillige Umsiedlungen im letzten Abschnitt kaum vorstellbar scheint, erst recht nicht ohne explizite Nennung.

Worauf Artikel 49 der Genfer Konvention abstellt

Dass der Artikel 49 nicht auch auf freiwillige Umzüge abstellt, wird noch deutlicher, wenn man weiß, vor welchem historischen Hintergrund er entstanden ist: Er wurde unter dem Eindruck des wenige Jahre zuvor zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieges formuliert, sein Inhalt orientierte sich vor allem am Bestreben, gegen eine Besatzungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik wie jene der Nationalsozialisten auch rechtlich eine Handhabe zu besitzen. Beim sechsten Absatz dachte man nicht zuletzt an die Deportation deutscher Juden in die Vernichtungslager in Polen und anderen von den Deutschen besetzten Ländern, beim ersten Absatz beispielsweise an die Deportation von Juden aus Polen, Ungarn oder Italien in die Gaskammern der Nationalsozialisten in Osteuropa.

Der britische Rechtstheoretiker Julius Stone hob deshalb hervor, dass das Wort „Umsiedlung“ – auf Englisch „transfer“ – in dem Artikel ausschließlich als staatliche Zwangsmaßnahme zu verstehen sei und nicht auch als freiwillige Entscheidung. Es sei somit „eine Ironie, die ans Absurde grenzt“, wenn man den Artikel 49 auf die israelischen Siedlungen beziehe und so auszulegen versuche, dass er „der israelischen Regierung die Pflicht auferlegt, zu verhindern, dass sich eine jüdische Person freiwillig in diesem Gebiet niederlässt“.

Außerdem sei es grotesk, eine Rechtsvorschrift, die darauf abziele, eine Wiederholung der nationalsozialistischen Vernichtung der Juden zu verhindern, nun so zu interpretieren, dass das Westjordanland „judenrein“ bleiben oder gemacht werden müsse.

Es gebe, so hat es David M. Phillips im Dezember 2009 in der amerikanischen Zeitschrift Commentary ausgeführt, „einfach keinen Vergleich zwischen der Errichtung und der Besiedlung israelischer Siedlungen und den nationalsozialistischen Gräueltaten, die zur Genfer Konvention geführt haben“. Die Siedlungen seien auch „weit entfernt von der Politik der Sowjetunion in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren, die darauf abzielte, die ethnische Zusammensetzung der baltischen Staaten zu verändern, indem man Hunderttausende von Menschen deportierte und die russische Einwanderung förderte“.

Sie könnten zudem nicht mit dem Bestreben Chinas verglichen werden, „die ethnische Zusammensetzung Tibets zu verändern, indem es dessen einheimische Bevölkerung gewaltsam verjagt und Chinesen auf tibetischem Territorium ansiedelt“. Die Siedlungspolitik Israels sei überdies nicht vergleichbar mit der Kampagne Marokkos, die ethnische Zusammensetzung der Westsahara zu verändern, und auch nicht „mit der Vielfalt der Bevölkerungsverschiebungen, die in den verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawien stattfanden“.

Besetzt oder umstritten?

Man könnte auch argumentieren, dass es sich beim Westjordanland und Ostjerusalem nicht um besetzte palästinensische, sondern um umstrittene Gebiete handelt. Denn als Israel diese Territorien 1967 unter seine Kontrolle brachte, waren sie zuvor von Jordanien – völkerrechtswidrig – annektiert worden. Davor gehörten sie zum britischen Mandatsgebiet, wiederum davor zum Osmanischen Reich. Teil eines palästinensischen Staates waren sie nie. Der UN-Teilungsplan vom November 1947 sah die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staates in Palästina vor, die Araber reagierten darauf bekanntlich mit Krieg.

So entstanden einerseits Israel und andererseits Gebiete, die von Ägypten (der Gazastreifen) respektive Jordanien (das Westjordanland) besetzt wurden. 1967 haben also vormals palästinensische Juden Gebiete erobert, die von palästinensischen Arabern bewohnt waren. Hat Israel damit fremdes staatliches Territorium erobert? Seit 1948 hat jedenfalls weder das Westjordanland noch der Gazastreifen rechtmäßig einem Souverän gehört. Somit kann man in Zweifel ziehen, dass die Genfer Konvention hier hinsichtlich der Fragen nach Besatzung und Umsiedlung überhaupt greift. Das ist der Hauptgrund, warum etwa die israelische Regierung von „umstrittenen Gebieten“ spricht.

Der israelische Historiker Yaacov Lozowick brachte es in seinem Buch „Israels Existenzkampf“ auf den Punkt: Seit 1967 übe Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, und sein Verhalten sei in vielerlei Hinsicht kritikwürdig, schrieb er. Und weiter: „Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufriedengeben würden.“ Wenn die Palästinenser jemals die Herrschaft über die Juden erlangten, werde Palästina, so Lozowick, „ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall“.

Die Kritik an den Siedlungen ist oft nur ein Vorwand

Israel habe früher lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser blockiert, die palästinensische Seite hingegen bedrohe die nackte Existenz der Juden. Damit wies Lozowick in aller Deutlichkeit auf die Konsequenz hin, die sich aus der geradezu rituell wiederholten Forderung nach einem Stopp und Abbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland ergibt. Denn jenseits der Grenzen Israels verschwendet kaum jemand einen Gedanken daran, was die Gründung eines palästinensischen Staates für die auf seinem Territorium lebenden Juden bedeuten würde.

Von Israel wird selbstverständlich verlangt, ein multinationaler Staat zu sein, in dem Araber als gleichberechtigte Bürger ihren Platz haben. Fast niemand hingegen erhebt die nicht minder selbstverständliche Forderung, dass in einem zukünftigen Palästina auch Juden leben können müssen, wenn sie es wollen, und zwar nicht bloß als geduldete „Dhimmis“, also als Schutzbefohlene unter islamischer Herrschaft.

Auch deshalb geht es fehl, die israelischen Siedlungen als Haupthindernis für eine Friedenslösung im Nahen Osten zu betrachten. Die Ungerechtigkeiten, die den Palästinensern durch die israelische Politik im Westjordanland widerfahren, werden oft nur als Vorwand genommen, um den irrationalen Antisemitismus zu rationalisieren.

Mit ihrem Beschluss, die Siedlungen nicht mehr als prinzipiell völkerrechtswidrig anzusehen, hätten die USA die Realität anerkannt, sagte Mike Pompeo. Außerdem habe die bisherige Haltung einen Frieden nicht näher gebracht. Mit ganz ähnlichen Argumenten hatte die amerikanische Regierung zuvor schon die Verlegung ihrer Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und die Anerkennung der Zugehörigkeit der Golanhöhen zu Israel begründet. Für diejenigen, die dem jüdischen Staat lieber heute als morgen den Garaus bereiten würden, waren das schlechte Nachrichten. Und das ist, bei Lichte betrachtet, eine gute Nachricht.

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