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Israel zerstört syrische Chemiewaffenproduktion

Soldaten der israelischen Eliteeinheit Shaldag auf der syrischen Seite der Golanhöhe
Soldaten der israelischen Eliteeinheit Shaldag auf der syrischen Seite der Golanhöhen (Quelle: JNS)

Berichten zufolge hat Israel in den letzten Tagen entschlossen gehandelt, um Syriens konventionelle und unkonventionelle militärische Ressourcen systematisch zu vernichten.

Yaakov Lappin

Berichten zufolge hat Israel in den letzten Tagen, insbesondere in der Nacht zum Montag, entschlossen gehandelt, um Syriens konventionelle und unkonventionelle militärische Ressourcen systematisch zu zerstören, während das vom Iran unterstützte Regime in Damaskus zerfiel und sunnitische Rebellengruppen die Macht übernahmen.

Der internationale Sprecher der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Nadav Shoshani, sagte am Dienstag vor Journalisten: »Wir handeln, um zu verhindern, dass tödliche strategische Waffen in feindliche Hände fallen. Wir tun dies seit Jahren auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Situationen, und wir tun es auch jetzt gerade. Unser Generalstabschef [Herzi Halevi] sagte, dass der Hauptfokus auf der Beobachtung der Bewegungen und Interessen des Irans liegt und unser sekundärer Fokus auf lokalen Fraktionen liegt, die die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Wir bewerten ihre Handlungen, ihr Verhalten und ihr Abschreckungsniveau und stellen sicher, dass sie ihre Handlungen nicht versehentlich gegen uns richten.«

Shoshani fügte hinzu, Israel mache seine »Arbeit, um sicherzustellen, dass strategische Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Ich denke, dass dies für viele Mächte in der Region wichtig sein sollte, nicht nur für Israel, um sicherzustellen, dass es in dieser Region keine strategischen Probleme gibt.«

Verschiedene Medienberichte beschreiben eine außergewöhnlich umfangreiche Luftangriffskampagne gegen etwa dreihundert syrische Ziele im ganzen Land. Dazu gehören den Berichten zufolge Stützpunkte und Geschwader der syrischen Luftwaffe, Depots für fortschrittliche Raketen und unbemannte Luftfahrzeuge bzw. Drohnen, Forschungszentren wie das mit Chemiewaffenstandorten in Verbindung stehende Zentrum für wissenschaftliche Studien und Forschung (CERS), Luftverteidigungsanlagen und große Lagerbestände an strategischen Waffen. Die Angriffe erstreckten bis zu einem Flughafen in Qamischli im Nordosten Syriens, so die Nachrichtenagentur Reuters, und nahmen auch Schiffe der syrischen Marine im Hafen von Latakia ins Visier. Beobachter und Medien berichteten von schweren Explosionen in Damaskus und Umgebung.

Aggressives Vorgehen

Der ehemalige Kommandeur der Einheit 8200 im Militärischen Nachrichtendienst der IDF, Hanan Geffen, sagte am Dienstag gegenüber Jewish News Syndicate, dass »die Kräfte, die in Syrien die Macht übernommen haben, alle überrascht haben, meiner Meinung nach auch die Rebellen selbst«. Geffen fügte hinzu, dass »der rasante Zerfall der syrischen Armee, die ich seit fast fünfzig Jahren beobachte, alle auf erstaunliche Weise überrascht hat« und ein »beispielloses strategisches Vakuum« geschaffen hat.

Er könne sich an keine Zeit in der Geschichte erinnern, »in der wir in der Region mit einem ähnlichen Fall konfrontiert waren«. Es habe zwar niemand mit einem so vollständigen und raschen Zusammenbruch gerechnet, der israelische Geheimdienst jedoch verfüge über eine genaue Karte der syrischen Ressourcen. »Es gab ein sehr genaues Bild davon, was in Syrien vor sich ging.«

Die syrischen Chemiewaffen, meinte Geffen, seien ein internationales Anliegen. In den vergangenen Jahren sei man allgemein davon ausgegangen, dass das Assad-Regime keine unkonventionellen Waffen gegen Israel einsetzen würde, weswegen Israel und andere Staaten die Chemiewaffenanlagen in Syrien bisher weitgehend in Ruhe gelassen haben. Jetzt, da Assads Regime gestürzt ist, herrscht jedoch nur noch Unsicherheit: »Diesmal ging [die israelische Luftwaffe] viel aggressiver vor, auch gegen die Lagerbestände. Es scheint, als hätte die IAF wirklich durchschlagende Sprengköpfe und alles, was sie im Arsenal hatten, eingesetzt, um die syrischen Lagerbestände zu zerstören, einschließlich der Produktionsanlagen im Bereich der Chemiewaffen.«

Berichten zufolge sind auch die Luftabwehr, reguläre Waffenlager und Marineeinrichtungen angegriffen worden. Laut Geffen waren diese Ziele dem israelischen Geheimdienst seit Jahrzehnten bekannt. »Ich muss sagen, dass man denjenigen, der diese Entscheidung getroffen hat, Respekt zollen sollte«, betonte er und fügte hinzu, dass es abgesehen von iranischen Beschwerden nur minimale internationale Gegenreaktionen gegeben habe.

Unklare Zukunft

Laut der Expertin für den Nahen Osten und radikale islamische Bewegungen Dina Lisnyansky, die an den Universitäten Tel Aviv und Reichman sowie am Shalem College lehrt, sind »die Rebellen in gewisser Weise eine Art Blackbox; wir wissen wirklich nicht, was wir von ihnen zu erwarten haben«, und das ist es, was Israel Berichten zufolge dazu veranlasst hat, die oben genannten Maßnahmen zu ergreifen.

Der als Abu Mohammad al-Julani bekannte Anführer der mächtigsten Rebellengruppe Hayat Tahri Al-Sham (HTS) Ahmed Hussein al-Shar’a leitete in der Vergangenheit einen Zweig von Al-Qaida im Nordwesten Syriens, obwohl sich seine Gruppe heute nicht mehr dieser Ideologie anschließt, wie Lisnyansky anmerkte. Dennoch seien die ideologischen salafistischen Wurzeln einiger Rebellen denen von Al-Qaida ähnlich, warnte die Expertin.

»Die Art und Weise, wie sie den Aufstand anführten, und ihre Rhetorik in den sozialen Medien waren ganz klar salafistisch«, erläuterte Lisnyansky. »Sie verstehen das, was sie in Syrien tun, ganz klar als islamische Anweisung, als religiöse Anweisung, einen Tyrannen zu stürzen, der die Schwachen unterjocht. Die Tatsache, dass dieser Tyrann [Bashar al-Assad] kein Sunnit, sondern ein Alawit ist und von den Rebellen als Schiit angesehen wird, macht dies zu einer doppelt überzeugenderen religiösen Richtlinie.«

Daher, so Lisnyansky, blieben die Rebellen trotz einiger positiver Anzeichen unberechenbar. Eines dieser positiven Anzeichen war etwa al-Julanis Erklärung, das neue Syrien sei bereit, mit allen seinen Nachbarn zusammenzuarbeiten, auch mit Israel, das er explizit namentlich erwähnte. Dennoch, so fügte die Expertin hinzu, wissen man »nicht genau, was ihre Absichten sind«. Während bestimmte Aussagen der Rebellen auf einen geordneten Übergang und sogar auf regionale Ruhe hindeuteten, betonte Lisnyansky, dass »Israel kein Risiko eingehen dürfe« und sich entschlossen habe, dies auch nicht zu tun.

Bisher gibt es seitens der HTS keine Anzeichen für eine Unterdrückung der syrischen Minderheiten oder für Massengewalt gegen Personen, die dem syrischen Regime angehörten. Der Einfluss der Türkei und anderer externer Akteure erhöhe aber die Unsicherheit, fuhr Lisnyansky fort und erklärte: »Wenn die Türkei [über Rebellengruppen unter ihrer Kontrolle] eine gemeinsame Grenze mit Israel schaffen wollte, könnte dies Israel schaden, und auch dies ist etwas, das berücksichtigt werden muss.«

Aufgrund dieser Unsicherheiten, so Lisnyansy, habe Israel beschlossen, zu verhindern, dass strategische und unkonventionelle Waffen in unbekannte Hände fallen.

Der Vizerektor der Universität Tel Aviv und Inhaber des Yona-und-Dina-Ettinger-Lehrstuhls für Zeitgeschichte des Nahen Ostens, Eyal Zisser, erklärte, der Grund für den israelischem Schritt sei die Sorge vor dem Unbekannten. Besonders das Szenario, dass sich die neuen Machthaber Syriens »als Islamisten erweisen, die eine Gefahr für Israel darstellen, und daher der Wunsch, ihnen militärische Ressourcen zu verweigern«, habe ein Rolle beim Vorgehen der IDF in den vergangenen Tagen gespielt.

Das Chaos in Syrien könnte dazu führen, dass Waffen in den Besitz bewaffneter Banden fallen, die ihre Waffen gegen Israel richten könnten, warnte er. »Ich befürchte jedoch, dass wir ein wenig übertrieben haben und uns mit einem sehr aggressiven Schritt unnötigerweise in die Turbulenzen hineinmanövriert haben«, schränkte Zisser ein. »Jetzt schauen alle auf uns. Ansonsten wären wir nicht auf der syrischen Tagesordnung und niemand wäre an uns interessiert, und niemand wäre uns gegenüber besonders feindselig eingestellt.«

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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