Latest News

Iranisches Bildungssystem im freien Fall 

Das iranische Bildungssystem befindet sich in einer schweren Krise
Das iranische Bildungssystem befindet sich in einer schweren Krise (© Imago Images / Depositphotos)

Das sinkende Qualitätsniveau und die Einführung von Quotensystemen und Privatschulen haben die Krise des iranischen Bildungssystem massiv verschärft.

Farzad Amini

In den vergangenen Jahren stand das iranische Bildungssystem vor grundlegenden Herausforderungen, die sich sowohl auf die Qualität der Bildung als auch auf die Grundsätze von Fairness und Chancengleichheit stark ausgewirkt haben. Das sinkende Niveau, die sich verschärfenden Ungleichheiten und die negativen Auswirkungen weitreichender politischer Maßnahmen wie der Privatisierung oder der Einführung von Quotensystemen haben die Kluft zwischen den sozialen und ökonomischen Gruppen innerhalb der Bevölkerung vergrößert und den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und den Möglichkeiten persönlicher und sozialer Entfaltung untergraben. 

Sinkende Qualität und Privatisierung

Jüngsten Berichten zufolge ist der Notendurchschnitt der Schüler auf unter elf von zwanzig Punkten gesunken, was auf einen deutlichen Rückgang der Bildungsqualität an allen Schulen hindeutet; bei den Studenten rutschte er im akademischen Jahr 2024 auf 10,98, was erhebliche Bedenken hinsichtlich der Zukunft aufwirft. 

Dieser Abwärtstrend spiegelt nicht nur die Schwächen der Bildungsprogramme und Lehrpläne wider, sondern ist auch auf den schlechten Status der Lehrkräfte, die begrenzten finanziellen Ressourcen und die unzureichenden schulischen Rahmenbedingungen, insbesondere in benachteiligten Regionen, zurückzuführen.

Eine zentrale Herausforderung stellt der starke Fokus auf standardisierte Tests und gewinnorientierte Bildungsprogramme anstelle der Förderung konzeptionellen Lernens und individueller Fähigkeiten dar. Die Privatisierung und die Ausrichtung auf die Vorbereitung der Schüler für Aufnahmeprüfungen haben das Bildungswesen kommerzialisiert und die Notwendigkeit einer Rentabilität von Bildungseinrichtungen und gemeinnützigen Schulen in den Vordergrund gerückt. 

Dieser Ansatz zwingt die Schüler eher zum Auswendiglernen als zur Entwicklung von kritischem Denken und Lebenskompetenzen, was dazu führt, dass eine ganze Generation wegen des Mangels an praktischen und beruflichen Fähigkeiten ungenügend auf den Arbeitsmarkt vorbereitet ist.

Hinzu kommen eine unzureichende Bildungsinfrastruktur, insbesondere in den benachteiligten Gebieten mit nationalen Minderheiten, desolate und schlecht ausgestattete Schulgebäude – viele von ihnen verfügen über keine angemessenen Heiz- und Kühlsysteme – und die geringe Entlohnung des Lehrpersonals, das trotz bescheidener Gehaltserhöhungen erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt ist, was sich negativ auf die berufliche Motivation und Produktivität auswirkt. Diese Situation wirkt sich nicht nur negativ auf die Qualität der Bildung aus, sondern untergräbt auch den sozialen Status und den beruflichen Respekt, den Lehrer genießen.

Ideologische Indoktrination 

Ein weiteres grundlegendes Problem im iranischen Bildungssystem ist die ideologische Indoktrination in Lehrbüchern und -plänen, was die Qualität der akademischen und pädagogischen Inhalte effektiv verschlechtert und die Vielfalt des Lernmaterials einschränkt. Anstatt Materialien anzubieten, die kritisches Denken und analytische Fähigkeiten fördern, konzentriert sich der Lehrplan auf Inhalte, die eher propagandistischer als pädagogischer Natur sind. 

Quotensysteme und ungerechte Strukturen bei der Zulassung zu Universitäten haben die Bildungschancen verzerrt und einkommensschwachen Studierenden den gleichberechtigten Zugang verwehrt. Bei den letzten Aufnahmeprüfungen wurde ein großer Anteil der Spitzenplätze von Jugendlichen aus den obersten drei Einkommensdezilen erreicht, während solche aus öffentlichen Schulen nur 2,5 Prozent dieser Spitzenpositionen belegten. Dies zeigt, wie sehr die Bildungsgerechtigkeit durch Quoten und die Monetarisierung der Bildung beeinträchtigt wird, wodurch bestehende soziale Ungleichheiten verstärkt werden anstatt Chancengleichheit zu schaffen.

Statistiken zeigen, dass Schüler von Privat- und Spezialschulen die Mehrheit der Spitzenpositionen bei den Aufnahmeprüfungen einnimmt. Im Gegensatz dazu belegen Schüler öffentlicher Schulen, die über 85 Prozent der Schülerpopulation ausmachen, nur einen kleinen Teil dieser Plätze. Dies deutet darauf hin, dass Bildung für wohlhabende Familien zu einem wertvollen Gut geworden ist, da Privatschulen hohe Studiengebühren verlangen und exklusive Einrichtungen bieten. Zugleich hat dieser Trend zu einer erheblichen Benachteiligung von Schülern öffentlicher Schulen geführt, die trotz ihrer Talente und Fähigkeiten im Bildungswettbewerb weit abgeschlagen sind und keine Aufstiegschancen haben.

Der sinkende Notendurchschnitt an öffentlichen Schulen im Vergleich zu jenen privater Einrichtungen ist ein weiterer Ausdruck der Ungerechtigkeit im iranischen Bildungssystem. Dieser Rückgang wirkt sich auch direkt auf die Aufnahmeprüfungen und die Zulassung zu Universitäten aus. 

Angesichts der Rolle des Notendurchschnitts bei den Ergebnissen der Aufnahmeprüfungen und der Vorteile, die Kindern an Privatschulen gewährt werden, haben Schüler aus einkommensschwachen Verhältnissen an öffentlichen Schulen nur begrenzte Möglichkeiten, sich mit ihren Mitschülern an Privatschulen zu messen.

Steigende Schulabbrecherquote

Trotz verschiedener Reformversprechen in den vergangenen Jahren hat sich die Bildungsqualität an den öffentlichen Schulen im Iran nicht wesentlich verbessert, was insbesondere in einkommensschwachen Gebieten zu einem Anstieg der Schulabbrecherquoten führt. 

Die wirtschaftliche Not hat viele Familien dazu gezwungen, ihre Kinder von der Schule zu nehmen. Dieser Trend hat zu einem Anstieg der Kinderarbeit und der Benachteiligung von Jugendlichen geführt, denen es an grundlegenden Lese-, Schreib- und Rechenkenntnissen mangelt, wodurch sich die Zyklen von Armut und sozialer Ungleichheit weiter verfestigen.

Aufgrund restriktiver Quotensysteme und der mit Privatunterricht verbundenen hohen Kosten stehen einkommensschwache Studierende vor erheblichen Hindernissen für eine universitäre Ausbildung. Der zunehmend wettbewerbsorientierte Charakter der Aufnahmeprüfungen für Universitäten führt zu Vorteilen für Kinder wohlhabenderer Familien mit Zugang zu besseren Ressourcen, darunter Privatlehrer und Vorbereitungskurse.

Die Bildungskrise im Iran verschärft sich weiter, wobei jede politische Wende und Reform die Bedingungen für Schüler, insbesondere aus einkommensschwachen Schichten, oft verschlechtert. Von sinkender Qualität und dem Fokus auf Prüfungsvorbereitung bis hin zu Infrastrukturproblemen und den Auswirkungen der Privatisierung – das System wird immer ungerechter, verschärft soziale Ungleichheiten und schränkt die Möglichkeiten für soziale Mobilität ein.

Ohne umfassende, zielgerichtete Reformen, die auf Gerechtigkeit, Qualität und Zugang für alle ausgerichtet sind, besteht die Gefahr, dass das Bildungssystem im Iran nicht nur künftige Generationen im Stich lässt, sondern auch die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des Landes untergräbt.

Eine effektive Bildungsreform muss den Schwerpunkt auf die Zugänglichkeit für alle Kinder legen, den Einfluss privater Interessen verringern und einen Lehrplan entwickeln, der sowohl kritisches Denken als auch praktische Fähigkeiten fördert. Nur wenn diese Kernprobleme angegangen werden, kann das Bildungssystem die Lücke schließen und jedem Kind, unabhängig von seinem wirtschaftlichen Hintergrund, sinnvolle Möglichkeiten bieten.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!