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Iran: Reisen mit leeren Taschen

Das Nowruz-Fest nutzen die Iraner traditionellerweise für Ausflüge und Reisen
Das Nowruz-Fest nutzen die Iraner traditionellerweise für Ausflüge und Reisen (Imago Images / Middle East Images)

Das Verschwinden der Freizeit und des Urlaubs durch Armut und Misswirtschaft in der Islamischen Republik Iran.

Die Nowruz-Feiertage, einst eine Zeit der Erholung, des Reisens und des Wiedersehens mit geliebten Menschen, sind für Millionen iranischer Familien zu nichts anderem als einem Namen im Kalender geworden. Weit verbreitete Armut, gravierende Ungleichheit und chronische Misswirtschaft in der Sozial- und Wirtschaftspolitik haben Ausflüge und Urlaubseisen zu einem unerreichbaren Luxus gemacht.

Im Gegensatz zu den offiziellen Behauptungen und der staatlich geförderten Medienpropaganda sieht die Realität in der iranischen Gesellschaft so aus: Nicht nur die Zahl der Urlauber – nicht nur zum Nowruz-Fest – ist zurückgegangen, sondern auch die Qualität, der Zweck und die Bedeutung der Ausflüge und Reisen haben sich verschlechtert. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um eine tiefe, anhaltende Erosion der Idee des sozialen Wohlergehens.

Zweifelhafte Statistiken

In der Islamischen Republik ist eine der anhaltenden Herausforderungen bei der Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen des Landes die mangelnde Transparenz bei der Darstellung realer Daten. Oft werden überhaupt keine Informationen veröffentlicht, und wenn Statistiken doch einmal vorgelegt werden, sind sie in der Regel so ausgewählt bzw. verzerrt, dass sie den Propagandazielen des Regimes dienen.

Das gilt auch für die Nowruz-Reisestatistiken. Die vom Tourismusministerium und den staatlich kontrollierten Medien veröffentlichten Zahlen sind nicht nur höchst fragwürdig, sondern auch grundsätzlich unzuverlässig. Wenn die Behörden versuchen, ein positives Bild zu zeichnen, blähen sie die Zahlen unrealistisch auf und wann immer die Wahrheit ihrer Darstellung schaden könnte, minimieren sie die Zahlen so weit wie möglich.

Dieses Jahr etwa behauptete die Regierung, dass über dreißig Millionen Nowruz-Reisen unternommen worden seien, während in Wahrheit ein erheblicher Teil der Bevölkerung entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt und mit geringer Qualität Urlaub machen konnte. Der starke Kontrast zwischen den offiziellen Zahlen und der gelebten Erfahrung der Öffentlichkeit zeigt einmal mehr, wie unglaubwürdig die Statistiken des Regimes wirklich sind.

Unterkünfte minderer Qualität

Der Zustand der Unterkünfte für Urlauber während der diesjährigen Nowruz-Feiertage zeichnete ein schockierendes Bild von der Inkompetenz des Regimes und seiner Missachtung der Würde und des Wohlergehens seiner Bürger. Eines der erschreckendsten Beispiele war die Situation von Lehrern und Erziehern: Anstatt den Pädagogen während der Feiertage angemessene und würdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, verwies die Regierung sie zur Übernachtung in öffentliche Schulen und Klassenzimmer. Die zur Verfügung gestellten Gebäude befinden sich in vielen Fällen in einem beklagenswerten Zustand: es mangelt an sanitären Einrichtungen, Grundausstattung, Sauberkeit, angemessener Verpflegung und ausreichender Belüftung.

Wer diese sogenannten »Lehrerhotels« schon einmal aus der Nähe gesehen hat, kann sich nur schwer vorstellen, wie die Regierung Pädagogen, die das ganze Jahr über unter immensem Druck für magere Gehälter arbeiten, an solche unzumutbaren Orte verbannen kann. Die Situation ist nicht nur eine eklatante Beleidigung für den Lehrerberuf, sondern auch ein deutlicher Ausdruck der erniedrigenden und unmenschlichen Haltung des Regimes gegenüber einer der wichtigsten sozialen Schichten des Landes.

Kurze Reisen mit kaum Ausgaben

Ein Großteil der iranischen Familien, selbst, wenn sie es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft haben, während der diesjährigen Nowruz-Feiertage eine Reise zu unternehmen, waren gezwungen, sich mit Kurztrips in die nächstgelegenen Städte oder Dörfer zufrieden zu geben, da sie sich mehrtägige Fernreisen samt Aufenthalten in Hotels oder ordentlichen Unterkünften nicht mehr leisten können. Die galoppierende Inflation, die gestiegenen Kraftstoffpreise und die höheren Kosten für Unterkunft und Verpflegung haben es vielen Familien sogar unmöglich gemacht, sich auch nur kurze Reisen zu gönnen – ganz zu schweigen von ausgiebigen Erholungsurlauben.

Aus Reisen, die früher den Kauf von Souvenirs, die Unterstützung lokaler Märkte und einen Beitrag zur Wirtschaft der Zielstädte beinhalteten, sind heute nur noch Schaufensterbummel ohne Konsumation geworden. Viele Reisende, die mit erheblichen finanziellen Engpässen zu kämpfen hatten, kauften überhaupt nichts und konnten sich nicht einmal Mahlzeiten in Restaurants leisten. Mit dem Nötigsten an Proviant versuchten die meisten Menschen einfach, ein paar Stunden außerhalb ihrer Häuser zu verbringen. Anstatt des freudigen Entkommens aus dem Alltag sind Nowruz-Reisen zu einer Übung in Ausdauer und Entbehrung geworden.

Reisen als Privileg

Reisen – einst als grundlegendes soziales Recht der Arbeiter- und Mittelschicht angesehen – ist heute zu einem Luxusgut geworden, der nur der wohlhabenden Elite und Personen mit Verbindungen zu staatlichen Institutionen vorbehalten ist. Allmählich entwickelt sich das Reisen zu einem klassenbasierten Privileg ähnlich wie der Zugang zu hochwertiger Bildung, angemessener Gesundheitsversorgung oder nahrhaften Lebensmitteln. Ungeachtet dessen wirbt die Regierungspropaganda weiterhin für »verstärktes Reisen« und eine »boomende Tourismusindustrie«, während sie die Ausmaße der Krise ignoriert.

Das diesjährige Nowruz-Fest war mehr als je zuvor ein Symbol für die tiefen wirtschaftlichen Gräben und für das völlige Scheitern der Wohlfahrtspolitik der Islamischen Republik. Das einst im Iran so beliebte Reisen ist für die Mittel- und Arbeiterschicht unter der heutigen ungerechten Gesellschaftsstruktur zu einem Albtraum geworden.

Die Wiederherstellung der Möglichkeit von Freizeit, Urlaub und Reisen ist keine Gefälligkeit der Regierung, es ist eine menschliche und soziale Notwendigkeit. Aber in einem Land, in dem die Machthaber mehr damit beschäftigt sind, eigennützige Propaganda zu verbreiten und ausländische Terrororganisationen zu finanzieren, als sich mit den tatsächlichen Lebensbedingungen der Bevölkerung zu befassen, bleibt eine solche Forderung kaum mehr als ein ferner Traum.

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