Ideologischer Tunnelblick auf das „Feindbild Islam“

1071 schlagen die Seldschuken bei Manzikert ein byzantinisches Heer (O. Mustafin/CC0 1.0)
1071 schlagen die Seldschuken bei Manzikert ein byzantinisches Heer (O. Mustafin/CC0 1.0)

Mit „Feindbild Islam: Über die Salonfähigkeit von Rassismus“ hat der Politikwissenschaftler Farid Hafez ein ideologisch gefärbtes Buch vorgelegt, das vor allem durch historische Fehler und Auslassungen auffällt.

Heiko Heinisch

Wenn man glaubt, eine große, alles erklärende Theorie gefunden zu haben, läuft man Gefahr, die Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Fakten werden durch den Filter dieser Theorie wahrgenommen, aussortiert wird alles, was dieser nicht entspricht, aufgewertet alles, was diese zu stützen scheint. Um ein Karl Kraus zugeschriebenes Zitat zu verwenden: Das Ergebnis ist dann oft so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig ist.

Ein paar einfache Tricks

Das neue Buch des österreichischen Politikwissenschaftlers Farid Hafez trägt den Titel „Feindbild Islam: Über die Salonfähigkeit von Rassismus“ und liefert hierfür ein gutes Beispiel. Seine Theorie baut auf einigen kleinen Taschenspielertricks auf: Zunächst wird, wie schon im Titel des Buches angedeutet, die Ablehnung einer Religion oder Weltanschauung mit Rassismus gleichgesetzt. Ginge es Hafez tatsächlich um Rassismus und um Diskriminierung von Muslimen, was in der Tat ein wichtiges Thema wäre, und nicht um den Schutz des Islam, müsste es heißen: „Feindbild Muslim“.

Das religiöse Bekenntnis behandelt Hafez konsequent als unveränderliches Merkmal einer Person und stellt es damit auf dieselbe Ebene wie angeborene Merkmale. Um das Religionsbekenntnis, in diesem Fall das islamische, in seine Rassismustheorie hereinzuholen, greift er zu einer analytischen Vernebelung, indem er religiöse Kopfbedeckungen und Hautfarbe gleichermaßen unter dem Begriff „äußerliche Eigenschaften“ einer Person subsumiert (Seite 120), als handele es sich um Merkmale derselben Kategorie.

Der nächste Trick besteht darin, Antisemitismus und „Islamophobie“ zu Formen des Rassismus zu erklären, um daraus dann den Schluss ziehen zu können, „Islamophobie“ sei so etwas wie der neue Antisemitismus und Muslime seien die neuen Juden. Lassen wir die Kritik dieser Formel noch einen Moment beiseite und sehen uns zur Veranschaulichung die Analysen und Beispiele des Autors an, die von diesen Annahmen geleitet werden.

Den eigenen Vorurteilen aufgesessen

Um die Gleichsetzung von Antisemitismus und „Islamophobie“ zu argumentieren, erklärt Hafez, dass die Bilder des Anderen (Jude, Muslim, Schwarzer…) konstruierte Bilder seien, Imaginationen, die nur bedingt etwas mit der Realität zu tun hätten. Bis hierher mag man ihm noch folgen. Nun aber führt er aus, dass diese Stereotype gerade deshalb tragfähig seien, weil sie „partiell an die Realität anknüpfen.“ So knüpfe etwa, so der Autor, „das antisemitische Stereotyp, Juden würden über das Bankwesen die Welt regieren, an existierende Familien mit jüdischem Hintergrund wie die Rothschilds oder die Rockefellers an, die im Bankwesen tätig waren.“ (Seite 14 f.) Nun wird Rockefeller zwar immer wieder auf antisemitischen, verschwörungstheoretischen Websites jeglicher Provenienz als Jude bezeichnet, allein, er war weder Jude noch Bankier, und es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob hier ein Wissenschaftler den eigenen Vorurteilen so sehr aufsaß, dass er auf den Faktencheck verzichtete?

In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass Hafez, der hier aus Rockefeller umstandslos den reichen Juden macht, sein Postulat, Stereotype würden partiell an der Realität anknüpfen, beispielhaft nur beim Antisemitismus ausführt – und dabei auch noch grundsätzlich irrt: Zuerst war das antisemitische Vorurteil, dann erst kam „der reiche Jude“.

Die religiöse Wurzel des Antisemitismus

Das Stereotyp des „geldgierigen Juden“ ist wesentlich älter als die Familie Rothschild. Der semantische und ideologische Konnex zwischen Jude und Geld wurde bereits in der gleichnishaft-anschaulichen Welt der Evangelien angedeutet und später in den mittelalterlichen Passionsspielen versinnbildlicht. Vor allem das Judasmotiv entwickelte sich zum Allgemeingut des antisemitischen Diskurses, von seinen religiösen Anfängen über den Nationalsozialismus bis heute. Abgeleitet vom skrupellos erworbenen Reichtum des Judas erschien der Reichtum jedes Juden von fragwürdiger Natur. Das antisemitische Motiv der mit Geld die Welt regierenden Juden gründet eben nicht auf realen Fakten, sondern auf einer erfundenen Geschichte. Nur so erklärt sich auch, warum reiche Juden zum Stereotyp werden konnten, nicht aber reiche christliche Kaufleute oder Bankiers. Noch offensichtlicher fiele der fehlende Realitätsbezug des Antisemitismus ins Auge, hätte der Autor weitere gängige antisemitische Vorurteile in seine Betrachtungen einbezogen, die über Jahrhunderte hinweg tragfähig waren: Juden haben in der Vergangenheit weder Hostien geschändet, noch Ritualmorde begangen oder Brunnen vergiftet. Antisemitismus ist eben tatsächlich „das Gerücht über die Juden“ (Adorno).

Es ist genau diese religiöse Wurzel, die den wesentlichen Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus markiert: Antisemitismus gründet in der frühchristlichen Auseinandersetzung mit dem Judentum. Seit der Abspaltung der frühen Christen vom Judentum war das Weiterbestehen der jüdischen Religion die gelebte Infragestellung christlicher Heilsvorstellung. Darin liegt die Ursache dafür, dass Juden im christlichen Diskurs von Beginn an Gegenstand der Auseinandersetzung und exponiertes Feindbild waren.

Wir finden ähnliche Prozesse auch in der Frühgeschichte des Islam, der sich ebenfalls von den vor ihm bestehenden Religionen des Juden- und des Christentum absetzen musste, aus denen er sich entwickelte. Der Vorurteilskorpus des christlichen Antisemitismus, dessen Kern der sogenannte Gottesmord, die den Juden zu Last gelegte Kreuzigung bildet, war im 13. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen. Er zeichnet sich gegenüber dem Rassismus vor allem dadurch aus, dass er nicht auf andere Gruppen übertragbar ist. Denn es ist dieser religiöse Kern des Antisemitismus, der Juden erstmals jene dunkle Macht zuschrieb, mittels derer sie im Hintergrund die Welt lenken würden – zum Schaden aller anderen. Ohne die religiöse Judenfeindschaft und die mit ihr verbundene Wahrnehmung der Juden als besondere, dem Christentum feindliche Gruppe ist der moderne Antisemitismus nicht denkbar.

Immunisierung gegen Kritik

Während Antisemitismus sich ganz klar gegen Juden, also gegen Menschen richtet, ist mit den vom Autor synonym verwendeten Begriffen „Islamophobie“, „Islamfeindlichkeit“ oder „antimuslimischer Rassismus“ nicht nur eine gegen Muslime als Menschen gerichtete Feindschaft gemeint. Und hier liegt das wesentliche Unterscheidungskriterium zum Rassismus. Mit dem Begriff „Islamophobie“ wird versucht, zwei unterschiedliche Phänomene zu fassen, beziehungsweise bewusst miteinander zu vermischen: Feindschaft gegenüber Muslimen und Religionskritik. So sind nicht Ressentiment und Feindschaft gegenüber Muslimen im Zentrum der Aufmerksamkeit des Autors, sondern – analog zum Titel „Feindbild Islam“ – Kritik am Islam, ja selbst an politisch-islamischen Strömungen und ihren Protagonisten und an Problemen innerhalb mancher muslimischer Communitys. Diese Kritik denunziert er umstandslos als Rassismus, um sie aus dem Diskurs zu verdrängen. Mit seinem Buch schließt Hafez an den von ihm herausgegebenen European Islamophobia Report an, in dem Wissenschaftler/innen und Journalist/innen, unter ihnen auch kritische Muslime, undifferenziert neben rechtsradikale Rassisten gestellt werden.

Die zentrale These des Buches, „Islamophobie“ sei ebenso wie Antisemitismus eine Grundkonstante der europäischen Geschichte, versucht Hafez mit einer Tour durch dieselbe zu belegen. In seinen historischen Beispielen lässt er jedoch konsequent den Kontext außer Acht. Vor allem ignoriert der Autor in allen von ihm aufgezählten Beispielen die jeweiligen Machtkonstellationen, die ihm für seine Theorie ansonsten so wichtig sind. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war nicht „der Westen“ die dominierende Weltmacht, sondern zunächst ein arabisches, dann ein persisches und zuletzt ein osmanisches Reich.

Ein Blick zurück – mit bemerkenswerten Auslassungen

Hafez beklagt beispielsweise, die Kreuzzugsliteratur würde den Islam dämonisieren, Muslime erschienen als die „Diener des Satans“ und die Moschee als „Teufelshaus“ (29). Der fehlende historische Kontext: Nachdem das Byzantinische Reich bereits in den ersten Jahrzehnten der arabischen Eroberungen im 7. Jahrhundert rund zwei Drittel seines Gebietes eingebüßt hatte, wurden neuerliche Eroberungszüge im 11. Jahrhundert existenzbedrohend für das Reich. Reiterheere der Seldschuken drangen erstmals tief nach Anatolien vor. 1071 schlugen sie ein byzantinisches Heer bei Manzikert vernichtend, 1077 fiel Nicäa (das heutige Iznik) und 15 Jahre später war beinahe ganz Anatolien in die Hände der muslimischen Eroberer gefallen; das islamische Heer stand am Bosporus. Byzanz war seines Kernlandes beraubt. Sollten die Bedrohten und Eroberten freundliche Worte für die Aggressoren finden? Der erste Kreuzzug war eine Reaktion auf diese für Byzanz äußert bedrohliche Situation. Dass kriegerische Auseinandersetzungen mit gegenseitigen Polemiken einhergehen, sollte nicht verwundern. Wir finden sie auch auf islamischer Seite.

Im 12. und 13. Jahrhundert werde, so Hafez, das „Bild des muslimischen Anderen immer kohärenter“ (27). Der Islam sei als häretische und falsche Religion gezeichnet worden. Das ist zwar richtig, sollte aber historisch eingeordnet werden. Christliche Länder jener Zeit waren mit einem Islam konfrontiert, der als kriegerische Streitmacht auftrat, die eroberte, versklavte und zwangskonvertierte. Es wäre erklärungsbedürftig, wäre die Reaktion darauf keine abwehrende, feindliche gewesen. Die beinahe gekränkte Reaktion des Autors auf die polemische Darstellung des Islam in mittelalterlichen Quellen verwundert allerdings umso mehr im Angesicht der Tatsache, dass im Koran selbst Christentum und Judentum als verfälschte und damit falsche Religionen ausgewiesen werden.

Nur an wenigen Stellen nimmt der Autor die Realität jener vergangenen Epoche, über die er gerade schreibt, auch wahr: „Das in der frühen Neuzeit entstehende Islambild im Zeichen der Türkengefahr zeigt sich etwa in den Werken von Martin Luther“, so Hafez (29). Ja, so ist es, möchte man dem Autor zurufen, der nicht in der Lage ist, diesen historischen Hintergrund, die Bedrohung von Teilen Europas durch türkische Heere, zu veranschaulichen und in seine Bewertung einzubeziehen. Denn anders als Luthers Judenfeindschaft, die auf keiner realen Gefahr basierte – Juden waren weder Invasoren noch Aggressoren –, sondern alleine das Produkt eines allgemeinen Wahns war, war die Gefahr real, die von islamischen Heeren ausging.

Die erste Belagerung Wiens durch die Osmanen 1529 erschütterte Europa in seinen Grundfesten. Weiter im Westen und Norden war man sich durchaus bewusst, was der Fall Wiens bedeuten würde: Die Osmanen wären auf ihrem Eroberungszug wenig später zunächst vor den Toren Passaus gestanden, der Weg nach Westen wäre frei gewesen. Ist es wirklich verwunderlich, dass in einer solchen Situation polemische Schmähschriften und ein negatives Bild des Islam entstehen? Dennoch subsumiert Hafez solche und weitere Beispiele unter der Kapitelüberschrift „Ursprünge des antimuslimischen Rassismus“. Als was spricht Hafez hier? Als Gläubiger, der seinen Glauben verteidigen will, oder als Wissenschaftler? Als letzterer sollte er in der Lage sein, historische Fakten und Machtkonstellationen objektiv zu betrachten.

Aktivismus im Mantel der Wissenschaft

Von der Vergangenheit bis hinein in die heutige Zeit interpretiert Hafez alles, was den Islam nicht in freundlichem oder positivem Licht erscheinen lässt, als Ausdruck von „Islamophobie“. Daher zeigt er sich auch extrem misstrauisch gegenüber der Deradikalisierung potentieller oder tatsächlicher islamistischer Gewalttäter. Hafez spricht in Bezug auf islamistische Gewalttäter übrigens von „sogenannter Radikalisierung“. Die Deradikalisierungsmaßnahmen seien durch Programme ausgebaut worden, „die auf das Denken der Menschen abzielen.“ In diesen Programmen wittert Hafez offenbar eine Verschwörung, wenn er schreibt, hier würden „AkteurInnen“ versuchen, „insbesondere das Denken von MuslimInnen zu verändern.“ (71) Wer diese „AkteurInnen“ sein sollen, bleibt unerwähnt.

Das gesamte Buch besticht durch das Nicht-Erwähnte. So bezieht sich Hafez in einer längeren Passage (19 f.) auf den britischen Thinktank Runnymede Trust, der den Begriff „Islamophobie“ 1997 erstmals in einer wissenschaftlichen Studie verwendete („Islamophobia – A Challenge for all of us“) und damit in die Wissenschaft einbrachte. Aber er unterschlägt, dass der damalige Leiter des Runnymede Trust, Trevor Phillips, der eben jene Studie in Auftrag gegeben hatte, sich inzwischen von dem Begriff „Islamophobie“ distanziert hat. In einem Kommentar für die Times beklagte er 2016, dass der Begriff dazu geführt habe, eine offene Debatte über den Islam zu verhindern und Kritiker der Zuwanderungs- und Integrationspolitik zu stigmatisieren.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor die Leserinnen und Leser nicht nur an dieser Stelle an der Nase herumführen will. Hafez hat eine schwer lesbare, ideologische Arbeit vorgelegt, die ein politisches Konzept postuliert, während sie vorgibt, ein Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Oder anders gesagt: Hier gibt sich ein politischer Aktivist als Wissenschaftler aus.

(Heiko Heinisch, Historiker und Autor, forscht zu islamistischen Netzwerken. Zuletzt erschien das gemeinsam mit Nina Scholz verfasste Buch: Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert, Molden Verlag, Wien 2019.)

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