Die Schauspielerin und Autorin Adriana Altaras über jüdische Identität, stereotype Rollenbilder im deutschen Fernsehen, das Schweigen nach dem 7. Oktober 2023 – und warum Schreiben nicht heilt, aber hilft.
Adriana Altaras ist vieles: Schauspielerin, Regisseurin, Autorin, Tochter jüdischer Partisanen. Im Video-Interview mit Maya Zehden erzählt sie von ihrer Kindheit zwischen Exil und Neuanfang, der Vereinnahmung jüdischer Rollen im Kulturbetrieb und ihrer Arbeit für die Shoah Foundation. Lesen Sie hier die wichtigsten Passagen.
Maya Zehden (MZ): Sie sind Tochter jüdischer Partisanen, in Zagreb geboren, lebten als Kind in Italien und kamen später nach Deutschland. Welche Rolle spielte die jüdische Gemeinde in Gießen für Ihre persönliche Entwicklung?
Adriana Altaras (AA): Meine Eltern waren überzeugte Kommunisten. Religion spielte in unserem Alltag kaum eine Rolle. Das änderte sich 1978 mit der Gründung der jüdischen Gemeinde in Gießen, an der meine Eltern maßgeblich beteiligt waren. Plötzlich wurde das Judentum Teil unseres Lebens – nicht im religiösen Sinn, sondern als kulturelle und politische Identität. Ich war dreizehn oder vierzehn Jahre alt und wurde zu Festen mitgenommen, hörte Gespräche über den Bau einer eigenen Synagoge und die Suche nach Fördermitteln. Das hat mein Selbstverständnis als Jüdin entscheidend geprägt, aber es war auch anstrengend.
MZ: Sie wurden im deutschen Fernsehen lange auf stereotype Rollen reduziert. Was hat das mit Ihnen gemacht?
AA: Ich wurde über Jahre hinweg für bestimmte Rollen besetzt: Putzfrauen, Kleinkriminelle, nach 9/11 sogar Terroristinnen. Ich habe das eine Zeitlang akzeptiert, auch, weil es gut bezahlt war. Aber irgendwann habe ich gemerkt, das geht so nicht weiter. Ich wollte kein Bild vermitteln, das junge Schauspielerinnen mit Migrationshintergrund entmutigt. Heute bekomme ich andere Angebote: Richterinnen, Ärztinnen, komplexe Figuren. Das liegt nicht nur an meinem Widerstand, sondern auch daran, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein langsam verändert hat.
MZ: Sie haben für die Shoah Foundation Holocaust-Überlebende interviewt, unter ihnen auch meine Mutter. Wie haben Sie diese Begegnungen erlebt?
AA: Wir wurden intensiv vorbereitet, drei Tage lang. Eine der zentralen Regeln lautete: respektvoll fragen, aber auch nachhaken – und dann die Antworten stehenlassen. Das Interview mit Ihrer Mutter war besonders beeindruckend. Ich fragte sie, ob sie sich an den Namen ihres Vaters erinnern könne, eine unbedacht formulierte Frage, die sie sofort zu Tränen rührte. Sie schilderte später den Abtransport aus ihrem Heimatort in erschütternder Detailgenauigkeit. Ich habe ihre Aussagen mit historischen Quellen abgeglichen, sie stimmten exakt. Diese Begegnung hat mir erneut gezeigt, wie wichtig persönliche Erinnerung für das historische Gedächtnis ist.
Auffälliges Schweigen
MZ: Nach dem Massaker am Nova-Festival am 7. Oktober 2023 blieb die Reaktion vieler Kulturschaffender zunächst aus. Wie haben Sie das erlebt?
AA: Zunächst herrschte auffälliges Schweigen. Erst als eine Berliner Buchhandlung einen Newsletter mit Solidaritätsbekundungen für jüdische Autorinnen und Autoren verschickte, wurde mir bewusst, wie sehr solche Zeichen fehlten. Ich bedankte mich und schrieb daraufhin einen persönlichen Text über meine Erfahrungen in Schöneberg. In der Folge gab es Gespräche, etwa in der Deutschen Filmakademie, bei denen jüdische und palästinensische Künstlerinnen miteinander ins Gespräch kamen.
Doch mit dem weiteren Verlauf des Kriegs im Gazastreifen kippte die Stimmung erneut. Kritik richtete sich nicht mehr nur gegen Israels Regierung, sondern zunehmend pauschal auch gegen jüdische Kulturschaffende. Ich selbst wurde bislang nicht angefeindet, aber ob ich vielleicht stillschweigend aus Projekten herausgehalten werde, das weiß man nie. Besonders belastend ist, dass ich inzwischen bei fast jedem öffentlichen Auftritt auf Israel angesprochen werde – unabhängig vom eigentlichen Thema. Ich bemühe mich dann um Differenzierung, um Deeskalation. Aber so schnell, wie sich die Lage verändert, kommt man mit dem Einordnen kaum hinterher.
MZ: Ihre Bücher sind oft autobiografisch. Ist Schreiben für Sie ein Weg, mit der Welt umzugehen?
AA: Schreiben hilft mir, Dinge zu ordnen, Zusammenhänge zu verstehen. Es ersetzt keine Therapie, aber es verdichtet die Gedanken. Manche fragen, ob es mir danach besser geht – nein. Aber ich fühle mich weniger ohnmächtig. Der jüdische Humor, den ich pflege, ist Teil meiner Erziehung. Bei uns zu Hause war es wichtiger, witzig zu sein, als sich korrekt zu benehmen. Das hat mir bis heute geholfen, auch schwierige Themen mit Leichtigkeit zu erzählen, ohne sie zu verharmlosen.