Hat die Fatah Israel anerkannt?

Unter Arafat hat die PLO Israel anerkannt, nicht aber die Fatah, mit deren Jugendorganisation die deutschen Jusos weiter kooperieren wollen. (© imago images/ZUMA Wire)
Unter Arafat hat die PLO Israel anerkannt, nicht aber die Fatah, mit deren Jugendorganisation die deutschen Jusos weiter kooperieren wollen. (© imago images/ZUMA Wire)

Israel sei längst durch die Fatah anerkannt worden, behaupten die deutschen Jusos. Die Realität sieht anders aus.

Vor rund einem Monat sorgte die Jugendorganisation der SPD für Aufsehen: Auf ihrem Bundeskongress verabschiedete sie ein Papier, in dem sie ihre Ansichten zum palästinensisch-israelischen Konflikt ausführt.

Ein Jahr zuvor hatten sich die Jusos gegen die einseitigen Verurteilungen Israels durch die Vereinten Nationen und für Solidarität mit Israel ausgesprochen – und damit offenbar ihre palästinensischen Partner sowie den israelfeindlichen Teil der eigenen Organisation erbost. Nun galt es, diesen „Fehler“ zu beheben und, wie es im Parteideutsch heißt, den „Internationalismus wieder mit Leben (zu) füllen“.

„Hoch die internationale Solidarität!“

Das bedeutet u.a., dass in Zukunft keine Anträge mehr beschlossen werden sollen, die „nicht im Vorhinein mit unseren Partner*innen abgestimmt sind“. Den „progressiven“ Kräften vor Ort, mit denen die Jungsozialdemokraten zusammenarbeiten wollen, räumen sie ein „Veto (…) bezüglich inhaltlicher Positionierung zum Konflikt“ ein: „Wir erkennen die roten Linien unserer Partner*innen an und respektieren diese.“

Für Wirbel sorgte dies, weil zu den angeblich progressiven Partnern der Jusos auch die Fatah-Jugend gehört, also die Jugendorganisation jener palästinensischen Partei, die bereits in den 1950er Jahren gegründet worden war, um auf dem Wege des bewaffneten Kampfes den zionistischen Erzfeind zu zerstören, und mit ihren Terrorangriffen bereits begonnen hatte, bevor Israel im Zuge des Sechstagekriegs im Juni 1967 überhaupt erst zur „Besatzungsmacht“ wurde.

An den ursprünglichen Zielen, so führte die Jüdische Allgemeine aus, habe sich seit damals nichts geändert:

„Im Logo des Fatah-Nachwuchsverbands ist das Land Israel komplett in den palästinensischen Farben eingefärbt. (…) 2018 veranstaltete die Fatah-Jugend im Westjordanland eine Demonstration, bei der einige Mitglieder Sprengstoffgürtelattrappen trugen und gegen Israel hetzten.“

Die Jusos wollen davon nichts wissen: In ihren Augen ist die Fatah-Jugend eine „moderate“ Gruppierung, die auf den „friedlichen Kampf“ setze. Und überhaupt, so war in sozialen Medien vielfach zu lesen, nachdem der jüngste Juso-Beschluss auf scharfe Kritik gestoßen war, habe die Fatah Israel doch schon längst anerkannt und strebe keineswegs die Vernichtung des jüdischen Staates an. Doch stimmt das? Genauer gefragt: Wer hat wann wen anerkannt?

Oslo-Friedensprozess

Die Anerkennung Israels durch die palästinensische Führung war eine Vorbedingung für die Unterzeichnung des sogenannten Oslo-Abkommens im Herbst 1993. Sie erfolgte formell am 9. September in Form eines Briefes von PLO-Chef Jassir Arafat an den israelischen Premierminister Jitzchak Rabin.

Arafat gelobte darin u.a. die Anerkennung des „Rechts des Staates Israel, in Frieden und Sicherheit zu existieren“ sowie die Abkehr von Terror und Gewalt. In einem Antwortschreiben Rabins an Arafat anerkannte Israel im Gegenzug dazu die PLO als die „Vertreterin des palästinensischen Volkes“ und erklärte Israels Absicht, im Rahmen des Friedensprozesses mit der PLO zu verhandeln.

Wenige Tage später wurde in einer Zeremonie auf dem Rasen des Weißen Hauses in Washington unter der Schirmherrschaft von US-Präsident Clinton die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ unterzeichnet, die gemeinhin als Oslo-Abkommen bezeichnet wird.

Haben die Jusos also recht, wenn sie behaupten, die Fatah, die Mutterpartei ihrer palästinensischen Partnerorganisation, habe Israel doch schon längst anerkannt? Leider nein, denn die Sache hat einige Haken.

Doppelstrategie

Erstens wurde die Anerkennung Israels durch Arafat nicht im Namen der Fatah ausgesprochen, sondern im Namen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die Fatah gehört zwar diesem Dachverband an und ist seit jeher dessen größtes und einflussreichstes Mitglied, aber sie ist nicht mit ihm identisch. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass beide stets in Personalunion von einer Person geführt wurden: zuerst von Arafat, danach von Mahmud Abbas.

Auf der palästinensischen politischen Bühne haben derartige Unterscheidungen eine lange Tradition und dienen seit den 1960er Jahren nicht zuletzt dazu, eine Doppelstrategie von Terror und Diplomatie verfolgen zu können: Während PLO-Mitgliedsgruppierungen wie die Volkfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) oder eben auch die Fatah blutige Terroranschläge gegen Israel unternahmen, bestritt die PLO jede Verantwortung für die Gewalttaten ihrer Mitglieder und behauptete darüber hinaus sogar, ihre Stärkung durch die internationale Gemeinschaft sei das beste Mittel, um dem Terror Einhalt zu gebieten.

Diese Trennung war zwar stets gelogen, funktionierte aber bestens. Und das Muster wurde auch beibehalten, nachdem Arafat sich im Zuge des Friedensprozesses in den 1990er Jahren als vom Guerillakämpfer zum verantwortungsvollen Staatsmann gereifter Politiker präsentierte: Während er in seiner Funktion als PLO-Chef bzw. als Vorsitzender der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wenigstens eine Zeitlang als Verhandlungspartner Israels auftrat, baute seine Fatah in den Gebieten, aus denen sich Israel sukzessive zurückgezogen hatte, eine umfangreiche Terrorinfrastruktur auf.

Aktiviert wurde diese, nachdem Arafat im Sommer 2000 die Friedensverhandlungen mit Israel platzen ließ und die sogenannte zweite Intifada vom Zaun brach. In dem von Arafat angezettelten Terrorkrieg waren es die zur Fatah gehörigen Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die mehr Selbstmordattentate begingen als die islamistischen Konkurrenten von der Hamas.

Die PLO und die PA dienten gleichermaßen als Vertretung nach außen wie als Feigenblatt: Mussten unpopuläre, unbequeme oder unerwünschte Schritte (wie die Anerkennung Israels) unternommen werden, so geschah das im Namen von PLO oder PA – aber eben nicht in Namen der Fatah, die auf diesem Weg an ihrer extremistischen Gesinnung festhalten konnte, in deren Zentrum nach wie vor die „vollständige Befreiung Palästinas und die Auslöschung der zionistischen ökonomischen, politischen, militärischen und kulturellen Existenz“ (Artikel 12 der Fatah-Verfassung von 1964) sowie die Vergötterung der Gewalt in Form des „bewaffneten Kampfes“ stehen.

Dass die Unterscheidung zwischen der Fatah und der PLO insbesondere auch die Frage der Anerkennung Israels betrifft, strich vor wenigen Jahren noch einmal Azzam al-Ahmed hervor, ein Mitglied des Fatah-Zentralkomitees und enger Vertrauter von Mahmud Abbas: Die Fatah, so bekräftigte er auf Verratsvorwürfe der Hamas, habe Israel nicht anerkannt und werde das auch niemals tun.

Das Gezerre um die PLO-Charta

Die Behauptung der Jusos, dass die Fatah Israel schon längst anerkannt habe, ist daher schlicht und ergreifend falsch. Und auch die Anerkennung Israels durch die PLO ist kaum das Papier wert, auf dem Arafat sie einst proklamiert hat.

Denn in dem bereits zitierten Brief an Premier Rabin erklärte Arafat zwar im Namen der PLO all jene Artikel von deren Grundsatzprogramm für „nicht mehr operativ und nicht mehr gültig“, die mit der Anerkennung Israels und dem Bekenntnis zum Friedensprozess im Widerspruch standen. Deshalb, so war in dem Schreiben abschließend zu lesen, werde die PLO dem Palästinensischen Nationalrat die notwendigen Änderungen des Grundsatzprogramms vorlegen und von diesem bestätigen lassen. In einem weiteren Brief ein dreiviertel Jahr später versprach Arafat erneut, „beim nächsten Treffen des Palästinensischen Nationalrats die notwendigen Änderungen (…) zur Bestätigung vorzulegen“.

Doch diese Versprechen blieben reine Lippenbekenntnisse, sie wurden nicht umgesetzt, eine Änderung der PLO-Charta niemals beschlossen. Stattdessen verabschiedete der Palästinensische Nationalrat im April 1996 eine Resolution, derzufolge das PLO-Grundsatzprogramm insofern „geändert“ worden sei, als dass „die Artikel gestrichen werden, die im Widerspruch zum Briefwechsel zwischen der PLO und der Regierung Israels vom 9. und 10. September 1993 stehen“.

Eine neue Fassung der Charta wurde freilich weder vorgelegt noch beschlossen – und das ist alles andere als überraschend, wenn man sich die Analyse der PLO-Charta von Yehoshafat Harkabi vor Augen führt:

„Das Palästinensische Manifest erklärt die Nichtanerkennung der Existenz des Staates Israel zum zentralen Anliegen (…). Die Forderung, Israel dürfe nicht existieren, ist in nahezu der Hälfte der 33 Artikel, einschließlich jener, die nur als Definitionen oder Forderungen formuliert sind, enthalten. In dieser Auslegung wird die Forderung, Israel müsse ausgelöscht werden, zu einer unvermeidbaren Notwendigkeit, gleichsam zu einer Art wissenschaftlicher Wahrheit.

Israel darf nicht weiter existieren, weil die Palästinenser ein Interesse daran haben, dass es verschwindet, nein mehr noch, weil eben die Definition des Palästinensertums sowohl als Volk wie als Staat dieses Verschwinden bedingt. (…) Diese Auffassung wird noch abgerundet durch eine Theorie, nach die Juden per Definition keine Nation sind und somit prinzipiell weder Anspruch auf einen eigenen Staat haben noch als Nicht-Nation einen Staat behalten dürften. (…)

Die PLO polarisiert und verengt jede Wahlmöglichkeit auf ausschließlich zwei Möglichkeiten: entweder die Liquidierung Israels oder die Liquidierung der Palästinafrage in Form eines Todesurteils für die Palästinenser als Volk. Dieser Ansatz schaltet einen Kompromiss zum Erreichen eines Teilziels aus. Jede Übereinkunft, die selbst in begrenztem Ausmaß die Existenz Israels bestätigt, schafft gemäß der PLO-Auslegung eine völlige Niederlage für die Palästinenser und trägt zu deren nationalen Ruin bei.“

Kurz gesagt: Würden alle Passagen aus der PLO-Charta gestrichen, die der Anerkennung Israels und dem Friedensprozess widersprechen, bliebe von ihr nicht mehr viel übrig. Wohl auch deshalb hat die Palästinensische Befreiungsorganisation weder die angekündigten Änderungen ihres Programms vorgenommen, noch – im Gegensatz zu Israel – die Oslo-Abkommen jemals offiziell ratifiziert.

Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass sich weder bei Wiedergabe der Charta auf der Internetseite der „Palästinensischen Mission in Deutschland“, noch beim Überblick über die Geschichte der PLO auf der Seite der „Vertretung des Staates Palästina in Österreich“ auch nur der leiseste Hinweis darauf finden lässt, dass die PLO Israel anerkannt habe oder ihr Grundsatzprogramm je geändert worden wäre.

Nicht mehr an Abkommen gebunden

Und selbst wenn eine solche Änderung einmal durchgeführt worden wäre, ist fraglich, ob sie heute noch irgendeine Bedeutung hätte. Denn nach der Ankündigung des umstrittenen israelischen Plans, seine Souveränität auf Teile des Westjordanlands auszuweiten, hat Mahmud Abbas im Mai vergangenen Jahres alle Vereinbarungen zwischen den Palästinensern und Israel für null und nichtig erklärt. In einer Rede vor hochrangigen Vertretern der Palästinenser in Ramallah sagte er:

„Die Palästinensische Befreiungsorganisation und der Staat Palästina sind mit dem heutigen Tag von allen Vereinbarungen und Absprachen mit der amerikanischen und israelischen Regierung und von allen Verpflichtungen, die auf diesen Vereinbarungen und Absprachen basieren, entbunden“.

Ob diese Verlautbarung tatsächlich rechtliche Wirkung hat und Abbas im Alleingang einen so weitreichenden Beschluss überhaupt fassen kann, sei dahingestellt. Klar ist aber, was er – der wie zuvor Arafat in Personalunion Chef der Fatah sowie Vorsitzender der PLO und der PA ist – von Verpflichtungen hält, die die palästinensische Seite gegenüber Israel eingegangen ist: nichts. Das beinhaltet selbstverständlich auch die Anerkennung Israels.

Fazit

Was die deutschen Jusos betrifft, bleibt festzuhalten: Nein, die Fatah, die Mutterpartei ihrer palästinensischen Partnerorganisation, hat Israel nie anerkannt. Wenn die Jungsozialisten in ihrem Bemühen um „internationale Solidarität“ das Gegenteil behaupten, sind sie entweder schlecht informiert, sagen absichtlich die Unwahrheit oder verwechseln dummerweise die Fatah mit der PLO.

In deren Namen hat Arafat zwar Israel anerkannt, aber das Oslo-Abkommen wurde von der palästinensischen Seite weder offiziell ratifiziert, noch wurde die eindeutig auf die Vernichtung Israels abzielende Charta der PLO je so abgeändert, wie Arafat es zum Beginn des Friedensprozesses versprochen hat.

Wenn die Jusos in „Palästina“ einen moderaten Partner suchen, der Israel anerkennt und sich ausschließlich friedlichen Mitteln verschrieben hat, dann sollten sie ihre bisherige Zusammenarbeit überdenken: Bei der Fatah-Jugend sind sie an der falschen Adresse.

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