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Harvard University übernimmt IHRA-Antisemitismusdefinition, der New York Times gefällt das nicht

Harvard University übernimmt IHRA-Antisemitismusdefinition
Harvard University übernimmt IHRA-Antisemitismusdefinition (Imago Images / Cavan Images)

Die US-Elite-Universität übernimmt nach einem gerichtlichen Vergleich, der nach zwei Klagen wegen Diskriminierung jüdischer Studenten geschlossen wurde, die allgemein anerkannte IHRA-Antisemitismusdefinition.

Die Harvard University hat sich bereit erklärt, die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) umzusetzen. Harvard sicherte zudem zu, zusätzliche akademische Ressourcen in die Erforschung des Antisemitismus zu investieren und eine weitere Partnerschaft mit einer Universität in Israel einzugehen, zusätzlich zu den Programmen, welche die Hochschule derzeit mit israelischen Universitäten unterhält.

Dies geschieht im Rahmen eines Vergleichs für zwei Klagen nach dem Bürgerrechtsgesetz, welche die Universität vor einem Bundesgericht in Boston beigelegt hat. Seit Oktober 2023 hatte die Eliteuniversität als Schauplatz von Antisemitismus Schlagzeilen gemacht.

Title VI des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 verbietet Diskriminierung aufgrund der Ethnie, Hautfarbe oder nationalen Herkunft. Vor rund einem Jahr hatten sechs jüdische Studenten der Universität Harvard Klage gegen ihre Alma Mater eingereicht. Sie warfen Harvard vor, die Bürgerrechte jüdischer Studenten verletzt zu haben: die Universität toleriere, dass jüdische Studenten belästigt, angegriffen und eingeschüchtert würden – Missstände, die sich seit den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 noch verstärkt hätten.

Eine zweite Klage wurde im Mai vom Louis D. Brandeis Center for Human Rights Under Law und Jewish Americans for Fairness in Education angestrengt. Darin wurde behauptet, dass seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 Studenten und Lehrkräfte auf dem Campus zu Gewalt gegen Juden aufgerufen und den Terrorismus der Hamas gefeiert hätten, während die Universität Schikanen – darunter auch einen körperlichen Angriff – gegen jüdische Studenten ignoriert habe.

Im November fasste ein Richter die beiden Klagen zu einer gemeinsamen zusammen, nachdem Harvard erfolglos beantragt hatte, beide Klagen abzuweisen.

Ebenfalls Teil des Vergleichs ist die Zusage Harvards, für die nächsten fünf Jahre einen öffentlichen Jahresbericht zu erstellen, der die Reaktion der Hochschule auf Verstöße gegen Title VI des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 abdeckt. Die Universität erklärte sich außerdem bereit, auf ihrer Website klarzustellen, dass für jüdische und israelische Studenten die bestehenden Antidiskriminierungs- und Anti-Mobbing-Richtlinien Harvards gelten.

Seit ihrer Verabschiedung im Mai 2016 wurde die IHRA-Antisemitismusdefinition von fast tausend Institutionen, Staaten und anderen Körperschaften angenommen, darunter auch Deutschland und Österreich. Keine der alternativen Definitionsversuche, die teils in direkter Abgrenzung zur IHRA-Definition formuliert wurden, hat bisher eine solche Akzeptanz und Wirkung erzielen können.

Eigenwilliger Bericht

Recht grotesk ist, wie die New York Times über diesen Sachverhalt berichtete. Die Schlagzeile lautete: »Harvard übernimmt Definition von Antisemitismus für Disziplinarverfahren.« War für die vier Buchstaben »IHRA« kein Platz? Im Vorspann wird die Organisation ebenfalls nicht erwähnt. Da heißt es vage: »Viele Universitäten zögern, eine Definition zu übernehmen, die unter anderem bestimmte Kritikpunkte an Israel als antisemitisch betrachtet. Die Entscheidung der Universität war Teil eines Vergleichs in einem Rechtsstreit.«

Im ersten Absatz steht: »Die Harvard University wird bei der Untersuchung von Disziplinarfällen eine Definition des Antisemitismus übernehmen.« Immer noch kein Wort also davon, dass es um die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance geht.

Dann wird es konkreter, die IHRA aber weiterhin beharrlich verschwiegen: »Die Definition enthält einige Kritikpunkte an Israel als Beispiele für Antisemitismus, darunter das Bezeichnen der Existenz Israels als ›rassistisches Unterfangen‹.« Im fünften Absatz geht es um Kritik an der Definition: »Die von Harvard verwendete Definition wurde kritisiert, weil sie die Grenze zwischen Antisemitismus und Argumenten gegen Israel und Zionismus verwische.« Immer noch kein Wort über die IHRA.

Erst im zehnten Absatz wird erwähnt, dass es sich um die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance handelt – nachdem sechsmal bloß von »der Definition« die Rede war. Journalisten pflegen die wichtigsten Informationen stets an den Anfang eines Beitrags zu stellen; dass Harvard die IHRA-Definition übernimmt, hätte in die Überschrift oder den Vorspann gehört, spätestens aber da erwähnt werden müssen, wo es im Haupttext zum ersten Mal um die Definition geht.

Es fällt schwer, hier an einen handwerklichen Fehler der Redaktion der New York Times zu glauben. Der Eindruck, der beim Leser entsteht, ist jedenfalls der, dass es sich um eine obskure Definition handle, von der der Autor Vimal Patel noch nie etwas gehört hat und die offenbar auch sonst niemand kennt oder kennen sollte. Das führt dazu, der von Patel angeführten Kritik an der Definition mehr Gewicht zu verleihen, als das der Fall wäre, würde dem Leser erklärt, dass die IHRA-Definition weltweit breite Akzeptanz genießt.

Zionisten ausschließen?

Patel zitiert Kenneth Stern, den Direktor des Bard Center for the Study of Hate, mit den Worten, es wäre ihm lieber, machten alle Universitäten klar, »dass niemand, aus welchen Gründen auch immer, belästigt werden darf«. Die IHRA-Definition könne eine »offene Debatte über den Nahen Osten ersticken«, glaubt Stern, der als »Experte für Antisemitismus« gilt. Seit Jahren behauptet er immer wieder, »rechte Juden« würden die IHRA-Definition »missbrauchen, um die Redefreiheit zu unterdrücken«. Im September 2022 veröffentlichte er einen Beitrag, in dem er argumentierte, Hochschulgruppen an US-Universitäten hätten das »Recht, Zionisten auszuschließen«.

Die Definition selbst sei »unumstritten«, schreibt Times-Autor Patel: »Sie definiert Antisemitismus als ›eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass‹ ihnen gegenüber äußern kann.« »Umstritten« hingegen seien die angeführten Beispiele für Antisemitismus, »wie etwa das Messen mit zweierlei Maß gegenüber Israel oder die Beschreibung der Gründung Israels als ›rassistisches Unterfangen‹«. Beides ist laut dem Journalisten also kein Antisemitismus.

Noch einmal kommt Stern zu Wort. Harvard, sagt dieser, »öffnet eine Büchse der Pandora«, indem es Studenten ein »Werkzeug« in die Hand gebe, um Beschwerden über Professoren einzureichen. »Wenn Sie Fakultätsmitglied sind, wissen Sie, dass die Leute nach Dingen suchen«, so Stern. So, als gäbe es kein gravierendes Antisemitismusproblem, sondern als bestünde in erster Linie die Gefahr, Antisemitismus würde dort entdeckt werden, wo in Wahrheit gar keiner ist.

Globalisierung der Intifada

Shabbos Kestenbaum, einer der Kläger, beschreibt seine Erfahrungen in Harvard so: »Als jüdischer Student an der Harvard University wurde mein Unterricht von Studenten unterbrochen, die eine Globalisierung der Intifada forderten. Ich saß direkt neben Kommilitonen, welche die Terrorgruppen Hamas, Hisbollah und die Huthi lobten. Ich hörte, wie 34 Studentengruppen die Juden selbst für das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust verantwortlich machten.«

Er habe zahllose Morddrohungen erhalten. Vielleicht am schlimmsten sei aber gewesen, als die Universitätspräsidentin Claudine Gay gesagt hatte, ob Aufrufe zum Völkermord an den Juden gegen Harvards Regeln verstießen, sei »vom Kontext abhängig«.

Gleich nach dem 7. Oktober 2023 hatte die besagte Koalition von 34 Studentenorganisationen der Harvard University als Reaktion auf das Massaker der Hamas erklärt, dass sie »das israelische Regime für alle sich entfaltende Gewalt« nach der jahrzehntelangen Besetzung des Gazastreifens »voll verantwortlich machen«. Sie dämonisierten Israel als ein »Apartheid-Regime« und bezeichneten das Land als »den einzigen Schuldigen«. Im Februar 2024 postete ein Harvard-Professor im Internet eine antisemitische Karikatur, die eine Hand mit Davidstern als den Henker von Schwarzen zeigte.

In einem von der republikanischen Mehrheit im Bildungs- und Arbeitskräfteausschuss des Repräsentantenhauses veröffentlichten Internetdossier mit dem Titel Antisemitismus auf dem Hochschulcampus entlarvt wird Harvard insbesondere dafür gerügt, dass die Hamas-Unterstützer und sonstigen Anti-Israel-Demonstranten für ihre Taten, darunter Besetzungen von Gebäuden und Plätzen, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden: »Das Komitee stellte fest, dass Harvard es grob versäumt hatte, seine Regeln durchzusetzen, als es nach dem Anschlag vom 7. Oktober [2023] mit einer Flut von antisemitischen Verhaltensverstößen konfrontiert war.«

Wie in Columbia hätten auch in Harvard »widerspenstige Lehrkräfte, die Disziplinarmaßnahmen ablehnen«, eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die Täter straflos blieben, geltende Regeln nicht durchgesetzt und besetzte Plätze und Gebäude nicht geräumt wurden.

Harvard-Standard

Der nunmehr erzielte Vergleich sei »ein großer Fortschritt für die Studenten der Harvard University«, sagte Ken Marcus, Gründer des Brandeis Center, gegenüber dem Onlinemagazin Jewish Insider:»Wir erwarten, dass er außerordentliche Auswirkungen auf Colleges und Universitäten im ganzen Land haben wird. Es gibt nun einen Harvard-Standard, den andere Colleges anstreben müssen.«

Marcus betonte, Harvards Zustimmung, die IHRA-Definition zu übernehmen und sie explizit in der Antidiskriminierungspolitik zu verwenden, sei von höchster Bedeutung. »Harvard ist nicht die erste Universität in den USA, die dem zugestimmt hat, aber sicherlich die prominenteste«, so Marcus, der erwartet, dass diesem Beispiel nun auch anderswo gefolgt werde. »Wir hören regelmäßig von schlecht informierten Universitätsadministratoren, dass sie einen starken Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus machen«, sagte Marcus. »Tatsache ist, dass Regeln gegen Zionisten Regeln gegen Juden sind. Das ist ein Kampf, den wir im ganzen Land führen, [und] die Unterstützung durch Harvards neue Politik wird uns auch in dieser Hinsicht helfen.«

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