Nach zehn Jahren werden die Verträge, die Hamburg mit muslimischen Organisationen geschlossen hatte, neu bewertet und kritisch beleuchtet.
Jan Vahlenkamp
Vor zehn Jahren schloss die Freie Hansestadt Hamburg als erstes deutsches Bundesland einen Staatsvertrag mit den ansässigen islamischen Verbänden ab. Konkret waren dies der DİTİB-Landesverband Hamburg, der Schura-Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und der Verband der Islamischen Kulturzentren. Ein separater Vertrag wurde seinerzeit mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. geschlossen.
In dem Vertrag werden u. a. Fragen des Bestattungs- und Rundfunkwesens, des Religionsunterrichts und der religiösen Betreuung in öffentlichen Einrichtungen geklärt. Das Ganze geschah unter der Regierung des heutigen Bundeskanzlers und damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz.
Auch wenn der Staatsvertrag kein Auslaufdatum beinhaltet, so sieht er dennoch eine Evaluierung nach zehn Jahren vor. Und das öffentliche Interesse daran ist hoch, nicht zuletzt, da eine Institution der Schura in den letzten Jahren besonders häufig negativ auffiel: das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das den Behörden als Außenposten der Islamischen Republik Iran gilt.
Das American Jewish Committee gab vor zwei Jahren eine eigene Broschüre zu dem Zentrum heraus. Darin wird das IZH als »antisemitisch, antidemokratisch und islamistisch« bezeichnet. Eine Einschätzung, die auch das Landesamt für Verfassungsschutz teilt. Eine besonders aktuelle Brisanz bekommt das IZH noch zusätzlich durch die im Juni bekannt gewordene Ausweisungsverfügung gegen den stellvertretenden IZH-Leiter Seyed Soliman Mousavifar, dem eine Nähe zur Hisbollah nachgewiesen werden konnte.
Kritische Bestandsaufnahme
Um bei der Debatte um den Staatsvertrag auch die Stimmen der säkularen Muslime hörbar zu machen, hatten der Verein Säkularer Islam, die Kulturbrücke Hamburg, das Mideast Freedom Forum Berlin und die International Women in Power Ende Juni zu einer kritischen Bestandsaufnahme im Hamburger Tschaikowskysaal aufgerufen. Unterstützt wurden sie dabei von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Rund 120 Menschen erschienen und lauschten den Panels unter der Moderation von Hourvash Pourkian und Ulrike Becker. Die Soziologin Necla Kelek forderte in ihrem Eingangsreferat eine ernsthafte Evaluierung des Vertrags unter Einbeziehung aller Muslime. Bei den Vertragspartnern sei fraglich, ob es sich überhaupt um Religionsgemeinschaften oder um politische Vereine handle.
Sie beklagte, dass die Nicht-Berufstätigkeit unter Frauen in den Moscheegemeinden dramatisch hoch sei, worum die Gemeinden sich aber nicht kümmerten. Stattdessen würden sie Antisemitismus dulden und hätten auch Ausreisen von Muslimen in den Islamischen Staat nicht verhindert. Der Staatsvertrag sei eine einseitige Verpflichtungserklärung des Staates, während die beteiligten Islamverbände zu nichts verpflichtet seien. Dies wäre vergleichbar mit dem Erhalt eines Führerscheins, indem man unterschreibt, sich an die StVO zu halten.
In der anschließenden Diskussion machte Michael Gwosdz von der grünen Bürgerschaftsfraktion deutlich, dass der Staatsvertrag einen symbolischen Charakter habe, der einer konfrontativen Religionsausübung entgegenwirken soll. Die Staatsverträge mit den Kirchen, die in Hamburg erst 2005 geschlossen wurden, hätten die Grünen noch abgelehnt. Wenn es aber Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften gäbe, dann müssten solche mit allen gemacht werden.
Die Ausweisung des IZH-Vizes wertete Gwosdz als ein wichtiges Zeichen, das klar mache, dass das IZH keine Immunität besäße. »Ohne uns würde es die Staatsverträge nicht geben«, fügte Eckard Grage von der CDU-Bürgerschaftsfraktion hinzu. Er erinnerte daran, dass die Vorbereitungen zu besagten Verträgen noch unter Bürgermeister Ole von Beust stattgefunden hatten. Ziel sei die Integration von Zuwanderern gewesen.
Somit sei die CDU nicht gegen den Staatsvertrag, es müsse aber sichergestellt sein, dass die Vertragspartner auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Auf die Frage, warum die CDU das Verhältnis zum Islam stets auf der Grundlage des Staatskirchenrechts zu regeln versuchte, wusste Grage keine Antwort.
Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime sprach sich dafür aus, Religion zur strikten Privatsache zu erklären. Mit Religion könne man keine Menschen integrieren und mit dem Islam schon gar nicht. Sie sei auch gegen öffentliche Muezzin-Rufe, da ihr Ehemann unter dem Ruf des Muezzins hingerichtet worden sei. Sie wünsche sich stattdessen ein Gesetz, welches klarstellt, dass Frauen zuhause nicht unterdrückt werden und diese den Islam verlassen dürfen.
Das sei auch die Haltung der CDU, aber wie komme man dahin, fragte Eckard Grage. Mit den Islamverbänden käme man da sicherlich nicht weiter, mahnte Mina Ahadi, worauf Michael Gwosdz einwarf, eine Abschaffung des Vertrags brächte auch keinen Fortschritt. Nach Ansicht von Necla Kelek hätte die »Appeasement-Politik« aber wiederum auch gezeigt, dass sie nicht funktionieren würde.
Missstände zur Sprache bringen
Zu Beginn des zweiten Panels erklärte der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände Ali Ertan Toprak, dass es in Zeiten von steigendem Israel- und Judenhass angebracht sei, Dinge, die nicht in Ordnung sind, lauter zur Sprache zu bringen. Die Kritik säkularer Muslime werde durch die progressive Gesellschaft ignoriert, während das IZH weiterhin Teil der Schura sei.
Man könne nicht so tun, als sei es normal, mit extremistischen Organisationen Verträge zu schließen. Die Religionsgemeinschaften könnten nicht immer mehr Platz im öffentlichen Raum beanspruchen und sich gleichzeitig jegliche Kritik verbitten. Toprak beklagte sich außerdem darüber, dass alle Menschen aus muslimischen Ländern zu Muslimen gemacht würden.
Auch in der anschließenden Diskussion beklagte der Hamburger Antisemitismus-Beauftragte Stefan Hensel, dass ein Teil der Vertragspartner Verfassungsfeinde seien und das IZH als Zentrum der europäischen Hisbollah gelte. Das Problem des Antisemitismus müsse in den Vertrag einfließen. Die jetzt laut gewordene Kritik wertete er als Erfolg der Zivilgesellschaft und der Menschen, die regelmäßig vor der Imam-Ali-Moschee, dem Sitz des IZH, demonstrieren.
Der Journalist Daniel Killy merkte an, dass der besagte Staatsvertrag der einzige sei, der nicht mit Körperschaften des öffentlichen Rechts abgeschlossen wurde. Auch er bezweifelte die Eigenschaft der Vertragspartner als Religionsgemeinschaften, insbesondere in den Fällen IZH und DİTİB.
Dagegen stellte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ekkehard Wysocki klar, dass man keinen Staatsvertrag mit dem IZH habe, sondern einen mit der Schura. Die Erkenntnisse des Landeamtes für Verfassungsschutz hätten keinerlei strafrechtliche Relevanz und der Einfluss des IZH innerhalb der Schura sei gesunken.
Dem widersprach seine Bürgerschaftskollegin Anna von Treuenfels von der FDP. Das IZH habe nach wie vor eine wichtige Rolle innerhalb der Schura und der Staatsvertrag legitimiere letztlich alle Vertragspartner. Dies geschehe, obwohl man schon immer gewusst habe, mit wem man es zu tun hat.
Sie mahnte außerdem an, dass die Evaluierung des Staatsvertrags nicht nur zwischen Politik und Islamverbänden stattfinden dürfe. Es müsse einmal geklärt werden, wie viele Muslime sich durch die Verbände überhaupt vertreten sehen.
Ali Ertan Toprak stellte klar, dass eine Zusammenarbeit mit DİTİB und dem IZH keine Integration befördere, sondern eher einer Selbstaufgabe gleichkäme. Dass die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes keinerlei strafrechtliche Relevanz hätten, erkannte er nicht als Argument an. »Warum muss es erst knallen?«, fragte er. So ginge man mit Nazis schließlich auch nicht um.
Auch im Publikum kam die Frage auf, wann die Politik nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber den Islamverbänden zu einer »Zeitenwende« finden würde und Probleme anerkenne, die angeblich vorher niemand habe sehen können. Toprak empfahl, liberale Muslime statt vom Ausland gesteuerte extremistische Verbände zu unterstützen. In Flugblättern hatte zuvor bereits eine Gruppe Respekt und Klarheit innerhalb der Hamburger Grünen erklärt, dass es an der Zeit sei, DİTİB und IZH die »Rote Karte« zu zeigen. Die Hamburger Morgenpost titelte am darauffolgenden Tag mit »Die Wut der liberalen Muslime«.
Neue Distanz zum IZH
Zu einer Podiumsdiskussion mit den Vertragspartnern hatte rund zwei Wochen darauf die evangelische Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde eingeladen. »Uns ist das Thema Religion sehr wichtig«, hieß es in der Begrüßung. Bischöfin Kirsten Fehrs schwärmte in ihrer Rede von ihrer Arbeit im Interreligiösen Forum Hamburg. Die Religionsgemeinschaften sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, und der Staatsvertrag sorge dafür, dass man miteinander im Dialog bleibe und Parallelgesellschaften verhindere. Der in Hamburg praktizierte »Religionsunterricht für alle« würde die Vielfalt und Verschiedenheit würdigen.
Jan Pörksen, seines Zeichens Staatsrat und Chef der Hamburger Senatskanzlei, beschrieb den Staatsvertrag als Bekräftigung der Freiheit der Religionsausübung. Es gelte zwar eine Trennung zwischen Staat und Religion, gleichzeitig sei Hamburg aber auch eine Stadt des religiösen Miteinanders. Die offizielle Anerkennung zivilgesellschaftlicher Akteure sei als integrationspolitische Maßnahme zu verstehen und diene auch der Extremismusprävention. Er räumte aber ein, dass die Aktionen des IZH eine Belastung darstellten. Das Evaluierungsverfahren werde mit den Behörden und den Vertragspartnern gemeinsam vorbereitet.
Yilmaz Cevik vom Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) sah allerdings schon den Begriff Evaluation kritisch. Dieser suggeriere schließlich eine buchhalterische Bilanz, der Staatsvertrag kenne aber kein Verfallsdatum, und größere Probleme wie der Islamismus ließen sich über den Vertrag sowieso nicht lösen. Zufrieden zeigte er sich aber über die legitimierende Wirkung als Ansprechpartner des Staates, die der Vertrag geschaffen habe.
Tahsin Cem von der DİTİB befand, dass natürlich an der Schule jeder gerne gemäß der eigenen Konfession unterrichtet werden würde, man habe sich nun aber dazu durchgerungen, erstmal dem Religionsunterricht für alle zuzustimmen und würde damit Geschichte schreiben. Es gehe außerdem darum, Islamfeindlichkeit zu bekämpfen. So würden Lehrer gelegentlich abwertende Kommentare über Fastende machen. Damit müsse Schluss sein, stattdessen bräuchten alle Schüler eine Gelegenheit zum Verrichten der Gebete in der Schule.
Özlem Naz von der Schura freute sich darüber, dass der Staatsvertrag einen »strukturierten Dialog« statt eines »Dialogs der Beliebigkeit« gefördert habe. Die Zugehörigkeit der Muslime zu Deutschland würde so gestärkt werden. Der Staatsvertrag stelle außerdem klar, dass keine Benachteiligung durch das Tragen von Kopftüchern stattfinden dürfe, frohlockte sie.
Auf die Rückfrage aus dem Publikum, wie denn nun eigentlich das Verhältnis der DİTİB zum türkischen Staat sei, antwortete deren Vertreter mit Plattitüden. Er habe Herrn Erdogan nie persönlich kennengelernt und habe auch nicht dessen Telefonnummer. Man sei schließlich ein deutscher Verein, in den niemand hineinrede.
Dass das so nicht stimmt, stellte die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Gudrun Schittek klar, die im Publikum saß. Immerhin untersteht DİTİB dem staatlichen türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) und ihre Imame werden aus Erdogans Staatskasse bezahlt.
Was ist mit Nicht-Religiösen?
Eine weitere Zuhörerin äußerte sich zum Religionsunterricht mit den Worten: »Ich bin nicht religiös. Ich fühle mich ausgegrenzt. Der Religionsunterricht für alle holt Kinder aus nicht-religiösen Haushalten nicht ab.« Hintergrund ist, dass im Unterschied zu anderen Bundesländern, wo Religionsunterricht nach Konfessionen und Religionen getrennt erteilt wird, in Hamburg zumeist alle Schüler einer Klasse gemeinsam den Religionsunterricht besuchen.
Seit 2012 wurde dieses Modell so weiterentwickelt, dass der Religionsunterricht nicht mehr nur von der evangelischen Kirche, sondern auch von anderen Religionsgemeinschaften verantwortet werden kann. Bischöfin Fehrs berief sich hier auf den Grundgesetzartikel 7, wonach ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht zu gewährleisten sei. Unklar bleibt, wie Konfessionslose, die in Hamburg über fünfzig Prozent der Bevölkerung stellen, im Modell von »Religionsunterricht für alle« repräsentiert werden.
Ein häufiges Thema bei den Fragen aus dem Publikum betraf natürlich das IZH. Bischöfin Fehrs erklärte, es gehe nicht an, in Deutschland das Existenzrecht Israels zu leugnen. Das IZH sei zeitweise zurückhaltender geworden und sie könne nicht verstehen, warum sich das jetzt wieder geändert habe. Die Schura-Vertreterin erklärte in ungewohnter Deutlichkeit, dass, gäbe es noch einmal eine Teilnahme von IZH-Vertretern am Berliner Al-Quds-Marsch, dies zum Ausschluss aus der Schura führen werde.
Zwar ist unklar, ob es in Zukunft überhaupt noch Al-Quds-Märsche in Berlin geben wird, nachdem der diesjährige zum dritten Mal in Folge vom Veranstalter abgesagt wurde. Dennoch ist die spürbare Distanz des Schura-Vorstands gegenüber dem IZH etwas Neues, nachdem dieser das IZH sonst stets in Schutz genommen hatte.
Der Ausgang eines Gerichtsverfahrens, welches derzeit vor dem Hamburger Verwaltungsgericht verhandelt wird, könnte hier ebenfalls ein Signal setzen. Dort klagt das IZH dagegen, dass es in den Berichten des Verfassungsschutzes regelmäßig als extremistische islamistische Organisation geführt wird. Sollte das Gericht die islamistischen Bestrebungen des IZH feststellen, ist denkbar, dass dies von der Schura als Trennungsgrund benannt wird. Für die Schura hätte es den willkommenen Effekt, die in den letzten Jahren laut gewordenen kritischen Stimmen in der Politik beruhigen zu können.
Evaluation im Herbst
Im Herbst wird die Bürgerschaft über die Evaluation des Staatsvertrags beraten. Ob neben der IZH-Kritik auch die Frage der Nähe der DİTİB zum türkischen Staat eine Rolle spielen wird, ist fraglich. Eine Erörterung der grundsätzlichen Frage, ob es im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist, Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften zu unterhalten, wird im Rahmen der geplanten Evaluation ohnehin nicht zu erwarten sein.