Mit Repression und Gewalt versucht die Hamas, ihre Autorität wiederherzustellen, nachdem sie die Kontrolle über Teile des Gazastreifens verloren hatte.
Mohammed Altlooli
In den letzten Tagen herrschte in den Straßen von Gaza eine beispiellose Spannung, so gingen Hamas-Kämpfer, die seit dem Inkrafttreten des Waffenstillstands mit Israel wieder öffentlich patrouillieren, nicht nur repressiv gegen Zivilisten, sondern schossen diesen auch gezielt in die Beine und führten öffentliche Hinrichtungen durch. Betroffenen der Repression und Augenzeugen beschreiben die Ereignisse als Machtdemonstration, mit der die Hamas ihre Kontrolle über den Gazastreifen wiederherstellen will, nachdem ihre Autorität und Legitimität zunehmend in Frage gestellt worden waren.
Während Beobachter die Maßnahmen also als Versuch der Hamas interpretieren, die Vorherrschaft wiederherzustellen, stellt die Terrororganisation selbst sie als notwendige Sicherheitsoperationen. Hamas-Anhänger und Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten die Autorität der Terrorgruppe wiederherstellen und Unruhen verhindern kann.
Berichte vor Ort deuten jedoch eher auf das Gegenteil hin: Jeder gewalttätige Vorfall verstärkt die Wut der Bevölkerung und isoliert die Hamas zum Teil sogar innerhalb ihrer traditionellen Unterstützerbasis. Der Aktivist Karim Joudeh etwa beschrieb eine »Welle der Empörung«, die sich unter der Bevölkerung ausbreite, und erklärte, dass »die Angst die Menschen nicht mehr so stark beherrscht wie früher« und dass »jeder neue Schusswechsel den Kreis der Ablehnung erweitert«.
Berichten zufolge kommt es im Osten des Gazastreifens auch immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften der Hamas und bewaffneten Mitgliedern verschiedener Clans. Lokale Quellen berichteten, dass bewaffnete Gruppen, darunter die mit dem Abu-Shabab- oder dem Al-Mansi-Clan verbundenen Fraktionen, auch Angriffe auf Stellungen der Hamas im Norden des Gazastreifens gestartet haben – etwa auf ein Gelände innerhalb des Al-Awda-Krankenhauses –, was eine deutliche Eskalation des Kampfes gegen die Autorität der Hamas darstellt.
Diese Konfrontationen finden statt, während die Hamas versucht, ihre totale Kontrolle wiederherzustellen, nachdem sie einen Teil ihres Einflusses an aufstrebende militante Gruppen wie die Abu-Shabab-Fraktion verloren hat. Während die Hamas nach einem gewaltsamen Konflikt mit der Fatah im Jahr 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen ergriff, scheinen sich heute die Ereignisse umzukehren: die Bewegung, die einst mit Gewalt an die Macht kam, sieht sich nun rivalisierenden Fraktionen gegenüber, die ihre Legitimität mit ähnlichen Mitteln in Frage stellen.
🚨BREAKING: Hamas militias have just announced they will carry out another round of public executions of a group of Palestinians tomorrow in Gaza City. pic.twitter.com/addUXrEWzp
— Ihab Hassan (@IhabHassane) October 13, 2025
Legitimitätskrise
Menschenrechtsquellen haben bestätigt, dass Hamas-Kräfte mehrere Hinrichtungen von Palästinensern durchgeführt haben, denen Zusammenarbeit mit Israel vorgeworfen wurde. Zur Abschreckung fanden die Exekutionen öffentlich statt, ohne rechtliche Verfahren oder faire Prozesse. Die Verbreitung von Filmmaterial der Vorfälle hat aufgrund ihrer Brutalität weitere Empörung ausgelöst und Vergleiche mit Szenen der Gesetzlosigkeit im irakischen Basra und oder dem syrischen Bürgerkrieg hervorgerufen.
Bewohner des Gazastreifens berichten, dass sie einen Funken Hoffnung verspürt hätten, als nach der Verkündung des Waffenstillstandsplans langsam wieder so etwas wie ein alltägliches Leben zurückkehrte. Die Märkte wurden wieder geöffnet und die Menschen versuchten, ihren durch den Krieg zerstörten Alltag wieder aufzubauen. Die Hoffnung schwand jedoch schnell. Die umfassenden Sicherheitskampagnen und Razzien, die nach Hamas-Angaben auf Kollaborateure und kriminelle Elemente abzielen, richten sich nicht nur gegen politische Rivalen, sondern auch gegen Zivilisten und nehmen den Bewohnern Gazas die erhoffte Chance, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen.
Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass die Hamas nur noch das Vertrauen eines geringen Teils der Bevölkerung von Gaza genießt und auf den niedrigsten Stand seit ihrer Machtübernahme gefallen ist. Analysten argumentieren deshalb, dass jeder Versuch, die Kontrolle durch Gewalt wiederherzustellen, nur vorübergehend sein wird, da das soziale Gefüge ein Regierungsmodell, das auf nichts außer revolutionären Parolen und Angst basiert, nicht länger tragen kann. Das Vertrauen der Bevölkerung ist zusammengebrochen, die bewaffnete Opposition wächst, und die Menschen in Gaza akzeptieren die Parolen, mit denen die Hamas einst ihre Herrschaft rechtfertigte, nicht mehr.
Die Hamas scheint an einem kritischen Punkt ihrer Herrschaft über den Gazastreifen angelangt ist: Entweder sie zieht sich zurück, um eine interne politische Aussöhnung zu ermöglichen, die den noch verbliebenen gesellschaftlichen Zusammenhalt im Gazastreifen bewahrt, oder sie setzt ihren Weg der Militarisierung, Unterdrückung und Gewalt fort, der die Spaltungen nur noch vertiefen wird. Bislang sieht es so aus, als würde sie den zweiten Weg wählen.
Mohammed Altlooli ist palästinensischer Bürgerrechtler und Gründer der Temporary Palestinian Civil Affairs (TPCA).
One photo captures 18 years of Hamas rule in Gaza: militants surrounding a man and savagely beating him with iron rods.
This isn’t something that began after October 7th. It has been happening since 2007. pic.twitter.com/a6GhP47Z8y
— Ihab Hassan (@IhabHassane) October 1, 2025






