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Gewalt am Tempelberg: Eine kleine Medienschau

Muslimische Betende vor der Al-Aksa-Moschee am Tempelberg am Mittwoch. (© imago images/Xinhua)
Muslimische Betende vor der Al-Aksa-Moschee am Tempelberg am Mittwoch. (© imago images/Xinhua)

Wie berichteten österreichische Medien über die jüngsten Ereignisse am Tempelberg? Erstaunliches hatte vor allem der ORF zu bieten.

Immer, wenn in Israel etwas passiert, verfolgen wir mit großem Interesse, wie Medien über die Geschehnisse berichten. Wie werden die Ereignisse geschildert? Welcher zeitliche Ablauf wird den Lesern vermittelt? Wer wird als handelnd, wer als reagierend dargestellt? Werden Schuldzuweisungen vorgenommen? Worauf stützen sich die Berichte? Sind sie ausgewogen oder einseitig? Enthalten sie grobe Fehler?

Mit diesen und anderen Fragen im Kopf haben wir uns selbstverständlich auch die Berichterstattung über die jüngsten Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften am Tempelberg in Jerusalem und den darauffolgenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen angesehen, auf den Israel mit Angriffen auf Ziele der Hamas im Gazastreifen reagiert hat. Sehen wir uns drei Beispiele an.

Großteils ausgewogen: Die Presse

In der Presse berichtete Israel-Korrespondentin Mareike Enghuisen über die jüngsten Ereignisse. Mit den gewalttätigen Zusammenstößen am Tempelberg sei eingetroffen, was viele Beobachter befürchtet hätten: Im muslimischen Fastenmonat Ramadan zeichne sich eine Eskalation der Gewalt ab.

Die Zusammenstöße am Tempelberg schilderte Enghuisen aus zwei Perspektiven. Laut der israelischen Polizei hätten sich rund 400 Männer in der Al-Aksa-Moschee verbarrikadiert und Polizisten mit Feuerwerkskörpern und Steinen attackiert. Diese hätten zunächst versucht, mit den verbarrikadierten Palästinensern zu verhandeln, dann aber Tränengas, Blendgranaten sowie Gummigeschosse eingesetzt und mehr als 350 Menschen festgenommen.

Die Palästinensische Autonomiebehörde sprach im Gegensatz dazu von einem »brutalen Krieg gegen das palästinensische Volk«, der die »Region in Flammen stecken« werde. Anschließend schilderte Enghuisen den Beschuss Israels aus dem Gazastreifen mit zehn Raketen und die Gegenschläge der israelischen Armee.

Um die Ereignisse zu kontextualisieren, verwies Enguisen darauf, dass die Lage während des Ramadans schon in früheren Jahren immer wieder eskaliert sei, »im Frühling vor zwei Jahren sogar bis hin zu einer elftägigen militärischen Auseinandersetzung zwischen der Hamas und der israelischen Armee«. Dann ging sie auf die innerisraelischen Spannungen rund um die von der Regierung vorgesehene Justizreform, die Unruhe im israelischen Sicherheitsapparat nach der angekündigten Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Galant und die Konflikte zwischen dem rechtsextremen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und der Polizei ein.

Auffällig an Enguisens Bericht ist, dass Palästinenser als handelnde Akteure darin fast keine Rolle spielen. Ihre Ursachenforschung bezog sich ausschließlich auf die israelische Seite des Konflikts, die palästinensische kam darin praktisch nicht vor. Warum Palästinenser ein Interesse daran haben könnten, die Lage zu eskalieren, indem sie gewalttätige Auseinandersetzungen am Tempelberg verursachen, blieb deswegen komplett ausgeblendet.

Das Gegenbeispiel: Der Standard

Von Ausgewogenheit kann im Gegensatz zur Presse beim Standard keine Rede sein. Er widmete in seiner Printausgabe am Donnerstag dem Aufflackern der Gewalt am Tempelberg keinen ausführlicheren Bericht, wohl aber auf der Titelseite einen kurzen Text mit einem symbolhaften Foto. Zu sehen ist darauf eine in die Kamera blickende, wie fürs Gebet am Boden knieende und bis auf Gesicht und Hände verhüllte Muslima, im Hintergrund sind, leicht verschwommen, mit Helmen und Schutzausrüstung gekleidete israelische Sicherheitskräfte.

Der Text darunter ist gleichermaßen kurz wie einseitig: Auf dem Tempelberg sei es zu »Zusammenstößen zwischen Muslimen und der israelischen Polizei gekommen. Beamte hätten das Gotteshaus gestürmt und Gläubige angegriffen«, lautet die Schilderung unter Bezug auf die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa. Im abschließenden Satz ging es um die Raketen aus Gaza und Israels Reaktion in Form von »Luftangriffen auf den Gazastreifen«.

Wer mit der Nachrichtenagentur Wafa auch nur einigermaßen vertraut und an der Vermittlung zutreffender Informationen interessiert ist, würde sich kaum auf deren Schilderung eines solchen Vorfalls verlassen, und schon gar nicht, ohne zumindest noch eine andere Quelle heranzuziehen. So fand sich auf der Standard-Titelseite jedenfalls nur die eine, schon auf den ersten Blick unglaubwürdige Darstellung der Ereignisse. Soll man wirklich glauben, dass israelische Sicherheitskräfte in einer so sensiblen Zeit grundlos die Al-Aksa-Moschee stürmen und einfach so »Gläubige angreifen« würden?

Unpräzise war auch der dünne Rest der Meldung: Israel griff als Reaktion auf den Raketenbeschuss nicht »den Gazastreifen« an, sondern gezielt einige Stellungen der Hamas.

Man lernt nie aus: Der ORF

Die ORF-Hauptnachrichtensendung ZiB1 vom Mittwochabend begann gleich mit einer handfesten Überraschung. In Israel stünden »die Zeichen immer stärker auf Eskalation«, nachdem israelische Sicherheitskräfte die Al-Aksa-Moschee gestürmt hätten, »weil sich gewaltbereite Palästinenser dort verschanzt haben«. Der Tempelberg, so ging die Anmoderation des Beitrags weiter, sei »drei Weltreligionen heilig, den Christen, den Muslimen und den Juden«. Dass der Tempelberg ihnen heilig sei, muss für rund 2,5 Milliarden Christen auf der Welt eine unerwartete Neuigkeit gewesen sein.

Sodann wärmte ZiB1-Moderator Tobias Pötzelsberger eine alte Geschichte auf: Immer wieder habe sich der israelisch-palästinensische Konflikt am Tempelberg »entzündet«, so auch im Jahr 2000, als Ariel Sharon den Hügel besucht hat. »Muslime haben sich davon provoziert gefühlt, und die Folge war die zweite Intifada, ein jahrelanger gewaltsamer Konflikt.« Tatsächlich hatte Jassir Arafat den als »zweite Intifada« verharmlosten Terrorkrieg schon seit Monaten geplant, Sharons Besuch des Tempelbergs war lediglich ein passender Anlass zum Losschlagen.

Der eigentliche ORF-Bericht über die Gewalt am Tempelberg sprach dann von Palästinensern, die sich gewaltsam in der Al-Aksa-Moschee verbarrikadiert hätten, »so jedenfalls der Vorwurf von Israels Polizei, die die Mosche stürmt«. Viele Muslime empfänden den »Sturm der Moschee (als) eine massive Provokation«, »militante Palästinenser« hätten daraufhin Raketen auf Israel abgefeuert.

Schon seit Monaten hätten sich die Spannungen »aufgeschaukelt«, wurde versucht, die Ereignisse zu kontextualisieren. »Anschläge von Palästinensern und Einsätze israelischer Sicherheitskräfte haben seit Jahresbeginn viele Tote gefordert, darunter 14 Israelis und 91 Palästinenser.« Dass es sich bei den Israelis um Zivilisten gehandelt hat, die absichtlich von palästinensischen Terroristen ermordet wurden, bei den 91 Palästinensern dagegen zum großen Teil um Terroristen, die im Zuge von Gefechten bei israelischen Antiterroreinsätzen getötet wurden, wurde nicht erwähnt.

Das folgende Interview mit Israel-Korrespondent Tim Cupal war insofern bemerkenswert, als er zum einen weiter ausholte und den Beginn der Eskalation schon mit »einer palästinensischen Terrorserie im vergangenen Jahr« und darauffolgenden israelischen Antiterroreinsätzen festmachte, und Cupal zum anderen auch darauf einging, dass die Terrororganisation Hamas »natürlich auch ein Interesse hat an einer Eskalation«. Israel sei gespalten, und auch »die Palästinenserregierung eher schwach«. Deshalb »freut sich [die Hamas] auch darüber, wenn es eine Eskalation gibt«.

Davon, auch die Beweggründe der Palästinenser in Betracht zu ziehen, hielt ZiB-Moderatorin Susanne Högerl im Gegensatz zu Cupal offenbar wenig. Ihre Auftaktfrage an den ORF-Kollegen in Tel Aviv: »Ist es die Religion, die die Lage derzeit so gefährlich werden lässt, oder doch die Politik, also die radikale israelische Regierung?« Wer so fragt, für den scheinen keine Fragen mehr offen, sondern das Urteil längst gefällt zu sein.

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