Zwei Aktivisten aus Gaza sprechen mit Mena-Watch über ihren Protest gegen die Hamas und Alternativen zur Terrororganisation.
Mohammed Altlooli
Angesichts der wachsenden Wut der Bevölkerung im Gazastreifen über die Politik der Hamas und angesichts fehlender politischer und humanitärer Perspektiven wird Mohammed Sawalmeh zu einer der prominentesten Stimmen der palästinensischen Opposition gegen die Hamas. Er fordert einen radikalen Wandel der politischen Struktur im Gazastreifen durch die Stärkung der Jugend und die Beendigung des von der Hamas beanspruchten Monopols auf Entscheidungsfindung.
Im Exklusivinterview mit Mena-Watch teilt al-Sawalmeh seine Vision für einen Gazastreifen nach der Hamas und diskutiert die Aussichten für Veränderungen und alternative Lösungen.
Mena-Watch (MW): Wann begann Ihre Opposition gegen die Hamas und was hat Sie dazu bewogen?
Mohammed al-Sawalmeh (MS): Meine Opposition begann, als ich erkannte, dass sich hinter der »Widerstandsrhetorik« der Hamas ein autoritäres und repressives Projekt verbirgt, das keine anderen Stimmen duldet. Ich stellte fest, dass Andersdenkende ausgeschlossen werden und die Menschen als Schutzschilde benutzt werden und keine Priorität haben.
MW: Wurden Sie wegen Ihrer Einstellung bedroht?
MS: Ja, ich habe mehrere Drohungen erhalten – einige direkt, andere über Mittelsmänner. Aber ich glaube, dass Schweigen ein Verbrechen ist in einer Realität, in der die Wahrheit im Namen der Religion und des Widerstands mit Füßen getreten wird.
MW: Wie haben die Menschen in Ihrem Umfeld auf Ihre Ansichten reagiert?
MS: Viele hatten Angst um mich und einige haben mich anfangs angegriffen, aber mit der Zeit begannen die Menschen zu erkennen, dass das, was ich sagte, sie repräsentierte, insbesondere nachdem sie Hunger und Unterdrückung erlebt hatten.
MW: Wie würden Sie die aktuelle Lage beschreiben?
MS: Der Gazastreifen ist gekidnappt. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine Medikamente, keine Zukunft. Während sich die politischen Fraktionen zu einer geschlossenen Autorität entwickelt haben, leben die Menschen in einem Kreislauf aus Angst und Zusammenbruch.
MW: Welche sind die größten Fehler der Hamas gegenüber der Bevölkerung?
MS: Zu den größten gehören die Monopolisierung von Entscheidungen, die Militarisierung der Gesellschaft, die Unterdrückung abweichender Meinungen und die Vorenthaltung grundlegender Rechte unter dem Motto »Widerstand«, das in Wirklichkeit nur als Deckmantel für die Fortsetzung ihrer Herrschaft dient.
MW: Glauben Sie, dass die Hamas die Bevölkerung noch vertritt?
MS: Eine Gruppe, die ihre Bevölkerung verhaftet und ihr das Brot vorenthält, vertritt diese nicht. Die Hamas hat ihre Legitimität verloren, als sie zu einer Regierung wurde, die Kritik und Pluralismus nicht toleriert.
MW: Was antworten Sie denen, die sagen, die Hamas sei der »Widerstand«?
MS: Wahrer Widerstand schützt die Bevölkerung – er spielt nicht mit deren Leben. Wer seine Bevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt und friedliche Proteste verbietet, kann nicht als Widerstand bezeichnet werden. Tatsächlich hat die Hamas mehr als alle anderen dazu beigetragen, den Begriff des Widerstands zu verzerren und zu schädigen.
MW: Welche Alternative sehen Sie zur Hamas?
MS: Eine zivile, von jungen Menschen geführte Alternative, eine Übergangsregierung, die aus der Gesellschaft heraus entsteht und nicht von oben aufgezwungen wird. Sie sollte faire Wahlen unter internationaler Aufsicht vorbereiten und eine gute Regierungsführung aufbauen.
MW: Gibt es Unterstützung für diese Richtung?
MS: Ja, es gibt junge Menschen im Gazastreifen und in der Diaspora, die bereit sind, diese Rolle zu übernehmen, und es gibt einen kontinuierlichen Austausch mit regionalen Parteien, die verstehen, dass die derzeitige Situation nicht so weitergehen kann.
MW: Was ist Ihre Botschaft an die Menschen im Gazastreifen heute?
MS: Bleibt nicht still, eure Stimme ist stärker, als ihr denkt. Lasst euch euer Schicksal nicht von der Hamas monopolisieren. Protestiert, fordert eure Rechte ein und glaubt an euch selbst – an niemanden sonst.
In einem ähnlichen Zusammenhang sprach Mena-Watch auch mit dem jungen Aktivisten Karim Jouda, einer der mutigen Stimmen, die täglich ihr Leben riskieren, um sich der Unterdrückung zu widersetzen und Verstöße zu dokumentieren.
Mena-Watch (MW): Wie begann Ihr Widerstand gegen die Hamas?
Karim Jouda (KJ): Es begann mit einem tiefen Gefühl der Ungerechtigkeit und dem Anblick der Menschen, die täglich leiden: unter Armut, mangelnder Versorgung und der Angst, frei zu sprechen. Ich konnte es nicht länger ertragen, stiller Zeuge zu sein. Angst ist natürlich, aber Schweigen ist ein Verrat an unserem Gewissen.
MW: Welche sind die gravierendsten Verstöße der Hamas gegen die Bevölkerung?
KJ: Willkürliche Verhaftungen, Folter von Häftlingen, Verbot von Protesten, Vorenthaltung von Hilfsgütern, Verbreitung von Angst und Ausnutzung der Religion zur Rechtfertigung von Unterdrückung. Sogar Krankenhäuser und Schulen wurden zu Militärposten umfunktioniert.
MW: Bemerken Sie eine Veränderung im öffentlichen Bewusstsein?
KJ: Ja, die Menschen haben sich verändert. Sie glauben nicht mehr an die Parolen. Hunger, Unterdrückung und Zusammenbruch haben viele dazu gebracht, ihre Meinung offen zu sagen und es bilden sich erste friedliche Bewegungen, die jedoch aufgrund der Angst noch begrenzt sind.
MW: Haben Sie Unterstützung oder Hilfe von außen erhalten?
KJ: Leider ist die Unterstützung gering und internationale Institutionen ignorieren oft die Menschen vor Ort. Wir brauchen jemanden, der für uns spricht, und Partner, die unsere Opfer respektieren, anstatt uns wie Nummern zu behandeln.
In einer Zeit, in der die politischen Aussichten düster erscheinen, erheben sich Stimmen wie jene von Mohammed Sawalmeh und Karim Jouda, die nicht als einzelne Helden auftreten, sondern als Indikatoren für ein neues Bewusstsein, das sich im Gazastreifen bildet. Diese Stimmen erinnern uns daran, dass Veränderungen und die Befreiung von innen kommen müssen : wenn die Menschen sich weigern, im Namen des »Widerstands« regiert zu werden, während sie im Namen der Macht unterdrückt werden.