Im Iran wird im Schnitt jeden zweiten Tag eine Frau wegen angeblicher Vergehen gegen die »Ehre« von der eigenen Familie ermordet.
In den letzten Jahren hat das Phänomen der Frauenmorde im Iran in alarmierender Weise zugenommen. Inmitten des Schweigens der Behörden und der Gleichgültigkeit der offiziellen Institutionen werden unschuldige Frauen in beängstigendem Ausmaß getötet. So sind Nachrichten über Frauen, die von ihren eigenen Familienangehörigen ermordet werden, keine schockierenden Schlagzeilen mehr, sondern gehören mittlerweile zum Alltag in den Medien des Landes.
Die Gesellschaft war noch immer erschüttert vom Mord an Kani Abdollahi, einer Siebzehnjährigen aus dem Dorf Mashkan in Piranshahr, die von ihrem Vater getötet wurde, als schon die nächste schreckliche Meldung bekannt wurde: die Ermordung von Atefeh Zogheibi, einer weiteren Siebzehnjährigen aus Shushtar, welche die Öffentlichkeit in tiefe Schockstarre versetzte.
Untersuchungen zufolge wurden 2024/2025 mindestens 133 Frauen ermordet, was bedeutet, dass fast jeden zweiten Tag eine Frau ihr Leben verliert. Die überwiegende Mehrheit dieser Opfer wurde von Familienangehörigen unter dem Vorwand der »Ehre« getötet. In dieser offiziellen Zahl sind Morde aus früheren Jahren, über die erst kürzlich in den Medien berichtet wurden, nicht enthalten, was darauf hindeutet, dass das tatsächliche Ausmaß weitaus größer ist.
Ein neues Phänomen?
Frauenmorde sind im Iran kein neues Phämnomen, sondern hat historische Wurzeln und ist fest in den sozialen, kulturellen und rechtlichen Strukturen des Landes verankert, die seit Generationen die Frauen unter den Rahmenbedingungen von Unterdrückung und Kontrolle definieren.
Ein Blick in die Archive von Zeitschriften wie Zanan und Zanan-e Emrooz offenbart zahlreiche Berichte aus Jahrzehnten, die alle auf eine historische Stagnation bei der Bekämpfung von Frauenmorden hinweisen. Diese Berichte enthüllen eine schmerzhafte Realität: Femizide gab es schon immer, und politische und gesellschaftliche Veränderungen im Laufe der Zeit haben keine ernsthaften strukturellen Veränderungen zur Eindämmung dieser Gewalt bewirkt.
Immer wieder wurden Mädchen als Opfer familiärer Vorurteile und ungerechter Gesetze von ihren Familien umgebracht. Die historischen Dokumente belegen, wie die Tötung von Frauen mit fadenscheinigen Vorwänden gerechtfertigt wurde: durch Verdächtigungen, Gerüchte oder aufgrund der bloßen Tatsache, dass sie sich ihren Partner selbst ausgesucht hatten. Was wir heute erleben, ist eine Wiederholung der Tragödien von gestern und vorgestern.
Es gibt keine einzige Frau im Iran, die nicht weiß, dass sie sowohl in der Tradition als auch per lege als »Ehre« des Mannes betrachtet wird. Die Flucht von Mädchen und Frauen aus ihren Häusern, Zwangsheiraten und versteckte Formen der Gewalt sind Zeugnisse des anhaltenden Widerstands gegen diese patriarchalische Ordnung.
Doch diese Akte des Widerstands allein können die zutiefst misogyne und korrupte Struktur, die Frauen als Eigentum der Männer betrachtet, nicht zerstören – eine Struktur, die durch offizielle Gesetze, traditionelle Kultur und die ideologische Unterstützung des herrschenden Systems gestützt wird und mit unkontrollierter Macht und Aggression operiert.
Trotz der endlosen Gräueltaten wurde der 2013 erstmals vorgelegte Gesetzesentwurf zum »Schutz von Frauen vor Gewalt« noch immer nicht verabschiedet. Im Gegensatz dazu werden repressive Maßnahmen wie der »Hidschab- und Keuschheitsplan« mit beispielloser Geschwindigkeit verabschiedet und umgesetzt. Dieser krasse Gegensatz macht deutlich, dass die Prioritäten des Mullah-Regimes nicht auf der Sicherheit und Würde der Frauen liegen, sondern auf der Aufrechterhaltung seiner ideologischen Fassade.
Gesellschaftliches Problem
Ein Rückblick auf die Femizidfälle dieses Jahres offenbart ein schmerzhaftes und sich wiederholendes Muster. Die Opfer sind oft junge Frauen und Mädchen, die aus nichtigen Gründen wie Verliebtheit, Partnerwahl oder geringfügigen Streitigkeiten mit Familienmitgliedern ermordet werden. So wurde Atefeh Zogheibi nach ihrer Heirat mit dem Mann, den sie liebte – und sogar nachdem ihre Familie durch die Zahlung einer traditionellen Abfindung (fasl) widerwillig ihre Zustimmung gegeben hatte –, von ihrem Vater und ihrem Bruder mit sechzehn Schüssen hingerichtet, während sie ihr Kleinkind im Arm hielt. Im Fall von Kani Abdollahi reichte ihrem Vater deren bloße Zuneigung zu einem Jungen, den ihre Familie ablehnte, aus, um einen Mord zu begehen.
Diese Morde ereignen sich im ganzen Land und in allen sozialen Schichten, Ethnien und Religionen und betrifft somit die gesamte Gesellschaft.
Währenddessen schrecken die Gesetze der Islamischen Republik nicht nur nicht vor solchen Verbrechen ab, sondern sind sogar zu Instrumenten geworden, die sie erleichtern. Nach geltendem Recht wird ein Vater, der sein Kind tötet, lediglich zur Zahlung von Blutgeld (diya) und einer Freiheitsstrafe zwischen drei und zehn Jahren verurteilt – eine Strafe, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Tat steht. In vielen Fällen übernehmen Väter, die nicht einmal die tatsächlichen Täter sind, die Verantwortung für den Mord, um den wahren Mörder vor der Todesstrafe zu schützen. Dieses katastrophale rechtliche Umfeld hat erheblich zum Anstieg der Frauenmorde und der Tötungsdelikte in der Familie beigetragen.
Der prominente Menschenrechtsanwalt Saeed Dehghan erklärte, die iranischen Gesetze dienen nicht dem Schutz der Individuen, sondern vielmehr den klerikalen und ideologischen Zielen des Regimes. Dadurch erhalten Morde, die unter dem Vorwand der »Ehre« oder der »Verteidigung der Familienwürde« begangen werden, faktisch rechtliche Legitimität. Die Morde an Romina Ashrafi, die von ihrem Vater mit einer Sichel enthauptet wurde, und Mona Heydari, deren abgetrennter Kopf von ihrem Ehemann durch die Straßen von Ahvaz gezogen wurde, sind schockierende Beispiele für diese staatlich sanktionierten Gräueltaten.
Darüber hinaus versuchen offizielle Statistiken, die Natur dieser Morde zu verschleiern und herunterzuspielen. Ehrenmorde werden oft lediglich als »Familienstreitigkeiten« klassifiziert, ein Ansatz, der nicht nur das Ausmaß der Krise kaschiert, sondern auch staatliche Institutionen von ihrer Verantwortung für die Aufrechterhaltung einer Kultur der Gewalt entbindet.
Häusliche Gewalt
Neben familiären Morden ist auch häusliche Gewalt gegen Frauen weit verbreitet. Nach offiziellen Angaben der iranischen Rechtsmedizinischen Organisation suchen jährlich über 74.000 Frauen wegen Gewalt durch ihren Ehemann ärztliche Hilfe. Diese Zahl ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, da viele Fälle nicht angezeigt werden. Schätzungen zufolge ist die tatsächliche Rate häuslicher Gewalt gegen Frauen etwa hundertmal höher als die offiziellen Zahlen.
In einer solchen Situation fehlt es der Islamischen Republik nicht nur an einem wirksamen Plan zum Schutz von Frauen, sie verschärft die Krise sogar noch, indem sie die Verabschiedung von Schutzgesetzen verzögert und Projekte zur sozialen Kontrolle und Unterdrückung umsetzt. Diese Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber sozialen und kulturellen Missständen haben den Iran zu einem der gefährlichsten Länder der Welt für Frauen gemacht.
Letztlich muss gesagt werden, dass die Tötung von Frauen im Iran nicht nur das Ergebnis veralteter Familientraditionen ist, sondern ein direktes Produkt der Regierungspolitik, die Gewalt in verschiedenen Formen legitimiert. Ein Regime, das repressive Kräfte mobilisiert, um die Kleidung von Frauen zu kontrollieren, aber angesichts deren Ermordung und Misshandlung schweigt, zeigt deutlich, dass es sich weder um die Menschlichkeit noch um die Sicherheit und Würde seiner Bürger kümmert.
Unter der mangelnden Planungskompetenz des Mullah-Regimes und seinem Beharren auf der Erhaltung seiner verfallenden ideologischen Strukturen sind iranische Frauen täglich Opfer von Ungerechtigkeit und Gewalt, die von den höchsten Machthabern legitimiert werden. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird die Krise, die aus der epidemischen Zunahme von Frauenmorden resultiert, bald die gesamte Gesellschaft erfassen und das Land in eine humanitäre Katastrophe stürzen, aus der es möglicherweise kein Zurück mehr gibt.