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Frankreich: Siebzigjähriger Jude zusammengeschlagen

Judenfeindliche Gewalt: die kleine französiche Gemeinde Anduze
Judenfeindliche Gewalt: die kleine französiche Gemeinde Anduze (© Imago Images / Depositphotos)

Im Jahr 2024 wurde in Frankreich eine Rekordzahl an antisemitischen Übergriffen registriert. Jeder dritte französische Jude hat Angst vor körperlichen Angriffen, was ebenfalls einen (traurigen) Rekord darstellt.

Fünf Tage nach der Tat ist ein antisemitischer Gewalttäter am Montagnachmittag in Frankreich zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, davon ein Jahr auf Bewährung.

Die Tat ereignete sich vergangene Woche im südfranzösischen Anduze, einer Dreitausend-Einwohner-Gemeinde im Arrondissement Alès (Gard). Das Opfer, ein siebzigjähriger Mann mit weißem Vollbart, war aufgrund seiner Kippa und Zizit (Bezeichnung für die an den vier Ecken eines Schals oder rechteckigen Kleidungsstücks jüdischer Männer befestigten Fäden) als Jude zu erkennen.

Wie Staatsanwalt Abdelkrim Grini die Presse informierte, fütterte er auf der Straße in der Nähe seines Hauses herrenlose Katzen, als der Täter, Alessandro C., auf ihn zukam und in aggressiver Weise einen Euro von ihm verlangte. C. war stark betrunken und wollte sich ein weiteres Bier kaufen.

Als der alte Mann der Forderung nicht nachkam, sagte C. zu ihm: »Oh, du bist Jude!« Beschimpfungen wie »dreckiger Jude« und »Hurensohn« folgten. Anschließend schlug C. dem Mann heftig auf den Rücken und trat mehrmals auf ihn ein, nachdem er zu Boden gefallen war, während er ihn wiederholt einen »dreckigen Juden« nannte. Dann flüchtete der Täter, konnte aber am folgenden Tag ermittelt werden und wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Prozess

Über Alessandro C. ist bekannt, dass er 45 Jahre alt und ein in Paris geborener französischer Staatsbürger ist, der von der Presse als »sichtbar arbeitslos« beschrieben wird. Schuldig gesprochen wurde er wegen »Gewalt und Beleidigungen aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Opfers zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion«. 

Alessandro C., der zum Zeitpunkt des Vorfalls stark alkoholisiert war, ist außerdem kokainabhängig und leidet unter einer bipolaren Störung, deren Behandlung er abgebrochen hatte. Er bleibt in Haft und muss sich einer psychologischen und medikamentösen Behandlung unterziehen. Zudem wurde ihm untersagt, sich in Anduze aufzuhalten und Kontakt zum Opfer aufzunehmen.

Vor Gericht beteuerte der Mann, kein Judenhasser zu sein: »Vielleicht hätte ich dasselbe bei einer Frau getan, einem Moslem, einem Hindu. Ich habe nichts gegen die jüdische Gemeinschaft oder irgendeine Gemeinschaft.«

Richterin Cécile Baessa wertete die Alkoholisierung strafverschärfend. In der Öffentlichkeit sichtbar alkoholisiert zu sein, ist in Frankreich verboten und kann für sich genommen mit einer Geldstrafe von 150 Euro bestraft werden. Staatsanwalt Grini beschrieb den Angriff als »völlig grundlos, verabscheuungswürdig und feige.« Der Siebzigjährige sei »so beschämt und verängstigt« gewesen, dass er seine Kippa »versteckt« habe, woraufhin »eine Frau ihn dazu anhielt, sie wieder aufzusetzen«, sagte der Staatsanwalt. Er wurde zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Glücklicherweise geht es ihm gut, wie Grini mitteilte. 

Das Opfer berichtete:

»Es dauerte ein paar Minuten, aber die Schläge waren heftig. Er hat mich niedergeschlagen und war sehr aggressiv. Er sagte zu mir: ›Du Hurensohn, du bist ein dreckiger Jude, du bist ein Jude, was.‹ Aber er wurde von zwei Mädchen überwältigt.« Weiters berichtete er: »Dies ist nicht das erste Mal, dass ich als Gläubiger verfolgt werde. Ich bin nicht von hier, ich bin ein Ausländer. Hier werden Juden beleidigt. Ich habe ausgesagt, aber ich wollte nicht. Wozu? Es nützt nichts, es bringt nichts!«

Vor Gericht erschien der Mann mit seiner Kippa auf dem Kopf und in einer Militäruniform aus der Zeit seines Dienstes in der Fremdenlegion. Bei seiner Aussage begann er zu zittern, wurde aber bei den anschließenden Fragen von Richterin Cécile Baessa ruhiger und gewann seine Fassung zurück. Es sei ihm unangenehm gewesen, vor Gericht zu sprechen, sagte er beim Gehen.

Furcht vor körperlichen Angriffen

Im Jahr 2024 wurden in Frankreich nach Angaben des Innenministeriums 1.570 antisemitische Taten registriert, ein Rekord, so der Repräsentative Rat der jüdischen Institutionen Frankreichs (CRIF). Laut der 2024 von der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) unter jüdischen Bürgern von dreizehn EU-Staaten geführten Umfrage ist der Anteil der Juden, die sich Sorgen um ihre Sicherheit oder die von Familienangehörigen machen, in Frankreich, Belgien und Deutschland am höchsten. In Tschechien, Ungarn, Dänemark und Rumänien ist er am niedrigsten. Neunzig Prozent der befragten französischen Juden halten Antisemitismus für ein Problem. Nur »steigende Preise« (94 Prozent) wurde noch häufiger als Problem genannt.

Auch der Anteil der Befragten, die feindselige Äußerungen gegenüber Juden auf der Straße oder in anderen öffentlichen Bereichen als »sehr großes« oder »ziemlich großes« Problem ansehen, ist in Frankreich mit 88 Prozent am höchsten. In Belgien sind es 80, in Deutschland 77, in Österreich 65 Prozent. Deutlich niedriger sind die Anteile in Tschechien (dreizehn Prozent), Polen (35 Prozent), Dänemark (40 Prozent), Rumänien (40 Prozent) und Ungarn (46 Prozent). Der Anteil der Juden, die aus Angst vor Übergriffen bestimmte Teile ihres Viertels (43 Prozent) oder jüdische Veranstaltungen (39 Prozent) meiden, ist nur in Belgien (54 bzw. 40 Prozent) noch höher als in Frankreich.

In keinem anderen der dreizehn untersuchten Staaten gibt es so viele Juden, die Angst davor haben, körperlich angegriffen zu werden: 31 Prozent der französischen Juden fürchten, zum Opfer eines solchen Angriffs zu werden. In Deutschland sagten dies zwanzig Prozent, in Österreich zehn, in Italien sechs und in Tschechien drei Prozent. 62 Prozent der Befragten in allen dreizehn Ländern sagten, dass der arabisch-israelische Konflikt einen »großen« oder »gewissen« Einfluss auf ihr Sicherheitsgefühl habe. In Frankreich waren es 75 Prozent.

Staatsanwalt kritisiert Barbarei

Das Arrondissement Alès war nur Tage vor dem jüngsten Vorfall Ort eines Mordes. Der 22 Jahre alte Malier Aboubakar Cissé wurde in einer Moschee getötet. Der zwanzigjährige Verdächtige, ein aus Bosnien-Herzegowina stammender Franzose, habe offenbar ohne »ideologisches Bekenntnis oder Verbindung zu einer Organisation gehandelt, die ein solches Bekenntnis durch Einschüchterung oder Terror verbreitet«, erklärte Cécile Gensac, Staatsanwältin in der südfranzösischen Stadt Nîmes, und begründete damit, warum die Ermittler die Tat nicht als Terrorismus betrachten.

Gensac sagte, der Verdächtige habe ein Jahr zuvor online den Drang zu »Vergewaltigung« und »Mord« geäußert. Einem Zeugen zufolge habe Hadzovic gesagt, er wolle »jemanden körperlich verletzen, ohne zu sagen, wen oder wo und ohne sich auf eine ethnische Zugehörigkeit oder Religion zu beziehen, getrieben von dem brennenden Wunsch, jemanden zu töten und, falls dies nicht gelang, Selbstmord zu begehen«, so die Staatsanwältin.

Der in Marokko geborene Staatsanwalt Abdelkrim Grini, der sowohl mit dem Mord in der Moschee als auch mit der antisemitischen Tat von Anduze befasst ist, kommentierte gegenüber der Presse:

»Ich sagte es in meiner offiziellen Eröffnungsrede im vergangenen Januar, dass die Beobachtung, die ich gemacht habe, persönlich ist und ich erlaubte mir, einen Ausdruck zu verwenden, der auf höchster Ebene des Staates verwendet wurde: den der Barbarei unserer Gesellschaft. Leider wird unsere Gesellschaft immer intoleranter und immer gewalttätiger. Viele Menschen maßen sich das Recht an, nichts zu respektieren, das Gesetz zu missachten, andere Menschen zu missachten, Unterschiede zu missachten und sich Gewalt zu erlauben, die manchmal sogar bis zum Mord geht.«

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