Das Urteil erfolgt in einer Zeit, in der antisemitische Angriffe in der französischen Gesellschaft immer alltäglicher werden.
Ein junger Antisemit, der vor fünf Wochen in Orléans einen Rabbiner angegriffen und verletzt hatte, ist von einem Jugendgericht zu sechzehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Der Täter hatte mit seinem Smartphone ein Video gemacht und Rabbi Arié Engelberg und seinen Sohn gefilmt, als die beiden auf dem Weg aus der Synagoge waren. Der Angreifer sei auf den Rabbi zugekommen, »während er sich selbst filmte«, bevor er ihn »zu seiner Religion« befragte, während er »antisemitische Beleidigungen ausstieß und in seine Richtung spuckte«, so die Staatsanwältin von Orléans Emmanuelle Bochenek-Puren.
Der Rabbi näherte sich dem Täter und schob sein Telefon weg, um die Aufnahme zu stoppen. Daraufhin schlug der Täter ihm mehrmals ins Gesicht, umklammerte ihn und biss ihn ins Schulterblatt. Augenzeugen griffen sofort ein und riefen die Polizei. Nach der Tat hatte der Anwalt des Täters erklärt, sein Mandant sei als »unbegleiteter Minderjähriger vor weniger als einem Jahr ohne besondere Ausbildung nach Frankreich gekommen«. Während seiner Anhörungen bestritt der Teenager, »der Auslöser der Auseinandersetzung gewesen zu sein« und beharrte darauf, sich »verteidigt« zu haben – eine Position, die er während des gesamten Prozesses beibehielt.
Der Angreifer war den Gerichten bereits bekannt, da er »in drei Gerichtsverfahren verwickelt« gewesen war, in denen es um Drogenhandel, vorsätzliche Gewalt in Marseille und schweren Diebstahl in Orléans ging. Bei jeder Festnahme »gab er eine andere Identität an». Wegen der Gewalttaten gegen den Rabbiner sowie Diebstahls und Drogenkonsums wurde er nun zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt. Hinzu kommen weitere vier Monate Haft, da er sich während seines Polizeigewahrsams geweigert hatte, biologische Proben abzugeben, die seine Identifikation ermöglichen sollten.
Wie Orléans Tageszeitung La République du Centre berichtete, fand die Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und dauerte fast acht Stunden. Die Zweifel an der Identität und dem Alter des Angeklagten wurden nicht ausgeräumt. Im Polizeigewahrsam hatte der Jugendliche zunächst erklärt, sechzehn Jahre alt und marokkanischer Staatsbürger zu sein. »Wir haben keine Möglichkeit zur Identifizierung«, erklärte Isabelle Abreu, die Anwältin von Rabbi Engelberg. Nach Angaben seines Anwalts Nicolas Bouteillan ist der Täter siebzehn Jahre alt und im September 2024 in Frankreich angekommen.
Nachdem er nach der Tat in Untersuchungshaft genommen wurde, befand ihn das Gericht der vorsätzlichen Gewalt für schuldig, »die aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Opfers zu einer Religion begangen wurde». Zudem ist er der »psychischen Gewalt« gegen Arié Engelbergs neunjährigen Sohn für schuldig gesprochen worden.
Nicht aufgegeben
»Er wird die die heutige Nacht im Gefängnis verbringen und das ist, was wir wollten», sagte seine Anwältin Isabelle Abreu über den Angreifer. »Dieser Prozess hatte einen Zweck, denn es musste eine strafrechtliche Reaktion erfolgen und es gibt eine Strafe, die für einen jugendlichen Ersttäter nach wie vor erheblich ist«, so die Anwältin weiter. Die Staatsanwaltschaft hatte zwanzig Monate Haft gefordert. »Die geforderte Strafe war überhöht, sie wurde entsprechend der Schwere und der Persönlichkeit meines Mandanten reduziert», erklärte der Anwalt des Angeklagten.
Der Täter wurde außerdem zu einem fünfjährigen Aufenthaltsverbot im Département Loiret verurteilt, einem dreijährigen Verbot der Kontaktaufnahme zu den Opfern und einem Hausverbot an Orten, wo seine Opfer anwesend sind.
Vor der Verhandlung hatte Engelberg erklärt: »Meine Moral ist noch gut, aber wir werden nach dem Urteil weitersehen. Ich habe mich verteidigt, ich habe nicht aufgegeben, ich habe es für meinen Sohn getan, für mich selbst, für die jüdische Gemeinde. Es ist wichtig zu sagen, dass wir noch immer erhobenen Hauptes sind», betonte er gegenüber mehreren Journalisten. Nach dem Prozess wollte er sich nicht mehr äußern.
Drei Taten in vier Wochen
Das Urteil erfolgte in einer Zeit, in der antisemitische Angriffe in der Öffentlichkeit – oft von den Tätern selbst gefilmt – in Frankreich alltäglich sind. In Villeurbanne bei Lyon hat der Stadtrat eine Untersuchungskommission eingerichtet, nachdem es innerhalb von vier Wochen drei antisemitische Angriffe auf offener Straße gegeben hatte. Einer davon ähnelte jenem von Orléans. Auch hier filmten die Täter sich dabei, wie sie ein Opfer antisemitisch beleidigten und angriffen.
Es war am Freitag, den 11. April. Der angegriffene Mann berichtete, er habe keine Kippa getragen, sondern nur eine Halskette mit einem Davidstern. Einer der Täter schlug ihm ins Gesicht und beschimpfte ihn gleichzeitig als »dreckigen Juden». Währenddessen filmte der andere die Szene, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP von einer mit dem Fall vertrauten Quelle. Das Opfer sei jedoch nur leicht verletzt worden.
Die beiden Personen hätten zwar von ihm abgelassen, zugleich aber damit gedroht, »zurückzukommen und mich zu finden, um mich zu töten«, erzählte der Angegriffene. Die Tat wurde als Morddrohung eingestuft. »Ich kann kaum glauben, dass das ein Zufall war. Es ist ein Parkplatz, und freitags sind dort nur sehr wenige Leute. Ich habe dem Bürgermeister von Villeurbanne gesagt, dass ich um meine Sicherheit fürchte. Das habe ich auch in meiner Beschwerde zum Ausdruck gebracht.»
Nach Angaben des Opfers behaupteten die Angreifer vor ihrer Flucht, der Jungen Garde anzugehören, einer 2018 in Frankreich gegründeten linksextremen Gruppe: »Sie sagten mir: Das ist die Junge Garde, du dreckiger Bastard! Sie sagten es mit einer Art Stolz in der Stimme.»
Die Präfektur teilte mit, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Hinweise darauf gebe, dass die Tat mit der extremen Rechten oder der extremen Linken in Verbindung gebracht werden könne. Alle politischen Gruppen der Gemeindemehrheit von Villeurbanne, darunter die sozialistische, die kommunistische und die grüne Partei, verurteilten diesen »neuerlichen antisemitischen Angriff« aufs Schärfste und forderten »harte Sanktionen gegen die Täter». »Dieser Angriff stellt, wie auch die vorherigen, einen schweren Angriff auf unsere gemeinsamen Werte dar«, hieß es in einer Erklärung der Fraktionen. Derartige Taten seien »durch nichts zu rechtfertigen, unabhängig von den Konflikten und der internationalen Lage«.
Mitte März wurde in Villeurbanne eine Frau von einer anderen Frau geschlagen und mit antisemitischen Beleidigungen beflegelt. Am 8. März wurde ein Mann geschlagen, nachdem er zuvor als »dreckiger Jude« beschimpft worden war.