Gibt es eine Verbindung zwischen der Diskussion um den deutschen Nuklearstatus und dem journalistischen Verständnis für iranische Atomwaffenambitionen?
Es kommt nur noch selten vor, dass Zeitungskommentare Adrenalinschübe bei mir auslösen. Doch am 5. Juni 2025 war es wieder einmal so weit. Auslöser war ein Kommentar des für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) verantwortlichen Außenpolitik-Redakteurs Nikolas Busse unter dem Titel Warum Atomwaffen?, der online unter dem Titel auf Irans Gründe für Atomwaffen firmiert.
Die Kehrtwende, die Busse mit seinem kurzen Text vornimmt, ist atemberaubend. Während das politische und publizistische Berlin bislang den Eindruck zu erwecken suchte, eine Atombewaffnung der Ayatollahs abzulehnen und gar verhindern zu wollen, heißt es in diesem Kommentar der FAZ: Das Regime in Teheran habe »drei gute Gründe, die Option auf Atomwaffen zu wahren«. Welche Gründe nun sollen das sein?
Erstens verweist Busse auf das regionale Umfeld: Pakistan und Israel seien bereits nuklear gerüstet. Als zweiten »guten« Grund bringt er die internationale Lage ins Spiel: Russlands Politik mache klar, dass Atomwaffen im neuen multipolaren Zeitalter eine größere Rolle spielen werden. Drittens lasse es auch die notorische Unzuverlässigkeit Donald Trumps für Teheran geraten erscheinen, an der Option auf Atomwaffen festzuhalten.
Was veranlasst Nikolas Busse, diese Argumente der Hardliner in Teheran nachzubeten? Geht es ihm vielleicht nur formal um den Iran, in Wirklichkeit aber um den deutschen Griff zur Bombe? Immerhin könnten die Protagonisten dieser Option die drei Antworten auf Busses Frage »Warum Atomwaffen?« auch als »gute Gründe« für deutsche Atomwaffen anführen.
Wiederholt hat sich die FAZ in den letzten Monaten als Sprachrohr derartiger Ambitionen profiliert. Besonders deutlich kam dies am 24. März in dem Leitkommentar Deutschland muss alte Fesseln lösen von Reinhard Müller zum Ausdruck. Mit »Fesseln« ist hier der Atomwaffenverzicht gemeint, den Deutschland im Rahmen des Zwei-plus-vier-Vertrags von 1990 unterzeichnet hat. Es handle sich hierbei um eine »Bindung …, die dem Land schadet« und deshalb »keinen Bestand haben« kann, argumentierte Müller. Dass Deutschland in diesem Fall auch den Atomwaffensperrvertrag verlassen müsste, wird bei ihm gar nicht erst erwähnt.
Gibt es also eine Verbindung zwischen der Diskussion um den deutschen Nuklearstatus und dem Verständnis für iranische Atomwaffenambitionen?
Apokalyptisches Regime
Sicher ist, dass Busses Kommentar in einer Situation erscheint, in der sich der Streit um die iranische Bombe wie selten zuvor zugespitzt hat. Die von Donald Trump verkündete Frist von sechzig Tagen für Atomgespräche mit dem Iran läuft am 11. Juni aus; was danach folgt, ist offen. Israel will mit gezielten Militärschlägen das iranische Atomprogramm zurückwerfen; die europäischen Mächte Frankreich, Großbritannien und Deutschland erwägen die Wiedereinführung aller Iran-Sanktionen durch einen sogenannten Snapback. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) veröffentlichte soeben einen neuen alarmierenden Bericht über Irans Fortschritte auf dem Weg zur Bombe, während der Gouverneursrat der IAEO ab 9. Juni über eine Resolution abstimmen wird, die das iranische Gebaren scharf verurteilt.
Es ist vor diesem Hintergrund keine Kleinigkeit, dass die »Zeitung für Deutschland« einen Kommentar verbreitet, der für Irans Atomwaffenambition Partei ergreift – ein Kommentar, der gewiss bereits in Farsi-Übersetzung in Teheran angekommen sein und die dortigen Machthaber gestärkt haben dürfte.
Hinzu kommt, dass Busse den besonderen Charakter des iranischen Regimes ignoriert, was unverantwortlich ist. Würde im Falle Irans die Logik der nuklearen Abschreckung funktionieren? Das ist keinesfalls gewiss. Das »Gleichgewicht des Schreckens«, das im Kalten Krieg noch funktionierte, basierte auf dem Überlebenswillen, also auf dem Vorrang der Diesseitigkeit. Demgegenüber ist Khomeinis Lehre auf das Jenseits konzentriert. Ihre Essenz steckt in der Parole »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«. Dieses Loblied unterscheidet den Iran von jeder anderen Atom- oder Schwellenmacht.
So machte der frühere Präsident Ali Rafsanjani ernsthaft den Vorschlag, über einen Atomschlag auf Israel nachzudenken. Da der Iran neunzig Millionen Einwohner habe, Israel aber nur zehn Millionen und die Fläche des Irans fast sechzigmal so groß sei wie jene Israels, würde »schon eine einzige Atombombe in Israel alles auslöschen«. Der zu erwartende nukleare Gegenschlag der Israelis würde hingegen »die islamische Welt lediglich beschädigen«. Einige hunderttausend neue »Märtyrer« – die könne die Islamische Republik, so Rafsandjani damals ungerührt, in Kauf nehmen.
Der derzeitige iranische Präsident Massud Peseschkian bestätigte diese Haltung, als er Mitte Mai im Staatsfernsehen erklärte: »Für uns ist der Märtyrertod weitaus süßer, als im Bett zu sterben.« Hier hat Peseschkian für sich und seine Spießgesellen gesprochen. Die Masse der iranischen Bevölkerung dürfte dies anders sehen.