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Von der Friedenssehnsucht der Emma zur Konfrontation mit Israel

Die Zeitschrift Emma will Israels Regierung unter Druck setzen. (© imago images/IPON)
Die Zeitschrift Emma will Israels Regierung unter Druck setzen. (© <a href="http://www.imago-images.de">imago images</a>/IPON)

Trotz jahrzehntelanger Debatten tun sich die immer gleichen Abgründe auf, wenn sich progressiv wähnende Menschen zu Israel äußern.

Auch wenn man sie nicht einmal sucht, sie drängen sich einem auf: Artikel zu und über Israel, deren Anlass neu sein mag, deren Inhalte aber nur seit Jahrzehnten allzu bekannte Ressentiments und Dummheiten wiedergeben. Und immer schon kommen sie vor allem von Leuten, die sich alle irgendwie als links, kritisch und progressiv einstufen würden.

Beispiel 1: Die Zeitschrift Emma

Nachdem die Redaktion der Emma dank ihres »offenen Briefs an den Kanzler« schon ganz viel für den Frieden mit Russland getan hat, wendet sie sich nun anderen Konfliktregionen zu, von denen die Redakteurinnen in Köln offenbar genauso viel verstehen:

»Raketen auf #Gaza, Raketen auf #Jerusalem. Wird die vereinbarte Waffenruhe zwischen #Israel und #Palästina halten? Die Frauen Israels und Palästinas ertragen all das schon lange nicht mehr. Sie wollen Frieden, für sich und ihre Kinder und alle Menschen in ihrem zerrissenen Land. Bei den ›#WomenWagePeace‹ verbünden sie sich. Und sie wollen die israelische Regierung zwingen, vor einer Eskalation endlich Alternativen auszuloten.«

Der Islamische Dschihad, die Organisation, die jüngst über tausend Raketen abgefeuert hat, gilt in Köln also als »#Palästina«, und natürlich ist es die israelische Regierung – und nur sie –, die gezwungen werden soll, »Alternativen auszuloten«, nicht aber jene islamistischen Milizen, die die Bevölkerung des Gazastreifens als Geisel halten. Welche Art Alternativen das wären, die da ausgelotet werden sollen, verrät Emma uns nicht.

Aber gerne möchte man natürlich jüdische Politiker zusammen mit den Frauen in Israel und Palästina zu etwas zwingen in einer Redaktion, deren Chefin, Alice Schwarzer, schon öfter mit solchen Äußerungen auffiel. Etwa gegenüber dem (nichtjüdischen) Publizisten Wolfgang Pohrt, dem sie einst vorwarf, »sich auf sein Judesein zu berufen«, als dieser anlässlich des Golfkriegs 1991 kundtat, was er von der deutschen Friedensbewegung und ihrer Unberührtheit von der Bedrohung Israels durch irakische Raketen hielt.

Zusätzlich reiht sich Frau Schwarzer noch in die Legion jener Verteidiger des Abendlandes ein, die, wenn es um muslimische Flüchtlinge in Deutschland geht, vor einer drohenden Islamisierung warnt und auch schon lobende Worte für Putin fand, der in Syrien und Tschetschenien angeblich ja einen Krieg gegen den Islam geführt hat. Geschenkt, dass der russisch-tschetschenische Islamist Ramsan Kadyrow engster Kumpel Putins ist und die russische Armee in Syrien zusammen mit dem Iran und der Hisbollah kämpft. Jedenfalls betrachtet sie vom Iran unterhaltene Milizen in Westjordanland und im Gazastreifen, und um nichts anderes handelt es sich beim Islamischen Dschihad, offenbar als Vertreter des Volkes, und seine Raketen sind die »#Palästinäs«.

Solche Widersprüche vergisst man in Köln aber rasch, wenn es um ein so hohes Gut wie den Frieden geht, den ja immer alle wollen, ganz besonders bei der Emma. Und den es nur nicht gibt, so das Credo auch des »offenen Briefs«, weil ein paar Bellizisten und uneinsichtige Politiker ihn sabotieren.

Beispiel 2: Der Herr Kunsthistoriker

Derweil interviewt die Hessische/Niedersächsische Allgemeine den Kunsthistoriker Andreas Mertin zur documenta, und der stellt klar, was fortan in Deutschland als Antisemitismus zu gelten habe und was nicht. Er habe die Kunstschau besucht und dort »nur antizionistische Werke« gesehen, keine antisemitischen. Über Mohammed Al Hawajris »Gaza-Guernica-Zyklus« sagt er: »Die Botschaft lautet: Alles, was für Humanität steht, wird durch Israel zerstört. Ich glaube nicht, dass das Werk deshalb schon antisemitisch ist. Aber Israel wird hier als das Böse dargestellt.« Darüber könne man reden, aber nein, das sei kein Antisemitismus. Und überhaupt:

»Seit Januar wurde mit sehr vergifteten Argumenten gegen die documenta gehetzt. Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank hat schon früh darauf hingewiesen, dass zwischen Antisemitismus, Antizionismus, also der Ablehnung des jüdischen Staates, und berechtigter Kritik an der israelischen Politik nicht mehr unterschieden wird. Ich habe viele jüdische Freunde, die die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus unterschrieben haben, laut der legitime Israelkritik nicht antisemitisch ist.«

Nun ließe sich einwenden, dass man entweder argumentiert oder hetzt, »vergiftete Argumente« dagegen eine genauso irre Begriffskonstruktion darstellen wie die dauernd angeführte »legitime Kritik«. Kritik, so sie denn eine ist und sich nicht bloß Ressentiments als solche ausgeben, ist immer berechtigt. Kritik versucht, dem Gegenstand, mit dem sie sich befasst, gerecht zu werden, nicht ihn zu denunzieren. Doch bekanntermaßen wurde im Rahmen des ganzen documenta-Skandals keinerlei ernsthafte Kritik an israelischer Politik geäußert, sondern jede Menge Dämonisierung betrieben.

Mertin ist ein weiterer der vielen ins Feld geführten »Experten«, die schlicht und einfach nicht verstanden haben, was Antisemitismus bzw. die »antisemitische Weltanschauung«, um einen Begriff aus der Giftküche des Dritten Reiches zu verwenden, der es besser trifft, eigentlich ist. Antisemitismus und Kritik schließen sich gegenseitig kategorisch aus. Es gibt Kritik an Antisemitismus – leider viel zu wenig –, aber es kann keine »antisemitische Kritik« geben.

Und selbstverständlich hat Herr Mertin die »jüdischen Freunde«, die sie alle immer haben, ohne die es offenbar nicht geht und die bevorzugt hervorgekramt werden, wenn Antisemitismus geleugnet oder verharmlost wird.

Beispiel 3: Die taz

Auch die taz hat »jüdische Freunde«, den israelischen Autor Hagai Dagan beispielsweise, den sie jüngst erklären ließ, wie die oft bemühten »Lehren aus der Vergangenheit« aussehen müssten:

»Die kollektive Psychologie der israelischen Rechten ist nichts anderes als komplette Paranoia: Jede Kritik am israelischen Staat wird umgehend als Antisemitismus ausgelegt, und jedes gewaltsame Vorgehen Israels ist legitim, weil es als Ausdruck des Rechts der Juden auf ihr Land und Verwirklichung des Ausrufs ›Nie wieder Auschwitz‹ interpretiert wird. Auf diese Art wird die israelische Gewalt durch ein verzerrtes Holocaustverständnis legitimiert.

Die einzige Lektion, die die Rechte aus dem Holocaust mitnimmt, ist Stärke und Nationalismus (nicht etwa Nächstenliebe oder etwas in der Art). Die verborgene Lehre ist das Narrativ des Opfers: Wir sind das ewige Opfer, und Opfer darf man nicht kritisieren. Wenn Deutschland mit dieser Haltung kooperiert, kommt das im Grunde einer Verleugnung des humanistischen und liberalen Erbes gleich, mit anderen Worten: Deutschland nimmt Abstand zu den eigenen Lehren, die es aus dem Holocaust ziehen müsste.«

Damit erklärt Dagan dankenswerterweise, was sie irgendwie alle meinen: Auschwitz war nicht etwa ein völlig sinnloses industrielles Morden von Millionen, ein Zivilisationsbruch, an dem sich, wie Maurice Blanchot einst schrieb, »die Welt entzündete«, nein, es war eigentlich eine Art Lehranstalt, in der Juden »Nächstenliebe oder so etwas in der Art« hätten lernen sollen. Stattdessen gründeten sie einen wehrhaften Staat, bauten die Atombombe und bekämpfen erklärte Feinde wie die Hamas oder den Islamischen Dschihad, deren Programm die Auslöschung Israels ist.

(Herr Mertin würde einwenden, diese Gruppen seien lediglich antizionistisch, da sie ja nur den Staat Israel ablehnen, das haben ihm seine vielen jüdischen Freunde erklärt, die die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus unterschrieben haben.)

Nun ausgerechnet der israelischen Rechten zu attestieren, sie würde Israel als »ewiges Opfer« sehen, ist reichlich bizarr: Unabhängig davon, wer gerade an der Regierung ist, besteht die israelische Staatsräson gerade nicht darin, sich als »Opfer« zu stilisieren, sondern in dem erklärten Willen, Juden nie wieder wehrlose Opfer werden zu lassen.

Aber eigentlich geht es Dagan um Deutschland. Das, so liest man aus der Feder des israelischen Autors, verleugne sein »humanistisches und liberales Erbe«, indem es das angebliche Opfer-Narrativ der israelischen Rechten unterstütze.

Wie bitte? Welches Erbe? Sollte es ein solches je gegeben haben, so wurde es zwischen 1933 und 1945 ein für alle Mal und restlos verspielt. Die Versuche, der Nazi-Barbarei ein irgendwie »anderes Deutschland« entgegenzusetzen, eines des Widerstands und der Humanität, waren zum Scheitern verurteilt. Es wurde Widerstand geleistet und es gab auch Humanität, aber jeweils individuell und auf eigene Rechnung, ganz sicher nicht mit dem Einverständnis Deutschlands, so sehr sich die wenigen Widerständigen sich das auch gewünscht haben mochten.

Die Lehre, die einmal mehr in der taz ausgebreitet wird, denn Ähnliches stand da schon viel zu oft, wird schon im Vorspann zu Dagans Text präsentiert: Wenn Deutschland nicht die »Konfrontation mit Israel« suche, »begehe es Verrat an den eigenen Werten«. Gerade Deutschland dürfe wegen Auschwitz Israel nicht solidarisch unterstützen, da die Israelis die falschen Lehren gezogen haben und nun den Palästinensern, den »Opfern der Opfer«, wie die Grünen sie in den 1980er Jahren nannten, Ähnliches antäten, wie ihnen selbst widerfahren sei. Oder, in den Worten des Autors: »Faschismus ist Faschismus, auch wenn es um die jüdische Rechte und jüdischen Faschismus geht.«

Ach, was für ein Aufatmen muss durch die taz-Leserschaft gegangen sein, als sie diesen letzten Satz las: Faschismus ist Faschismus, und jüdisch ist er obendrein!

Eike Geisel hat schon vor Jahren beschrieben, was die Quintessenz des ganzen Theaters ist, das da aufgeführt wird: Eigentlich waren die Deutschen gar nicht so schlimm, und hätten damals die Juden die Chance gehabt, wer weiß, ob sie nicht Ähnliches getan hätten, siehe Palästina.

Das öffnet eine viel verlockendere Perspektive der Wiedergutmachung als die, die von Deutschland praktiziert wurde: Die Deutschen müssen nur die richtigen Lehren ziehen und sich ihres ganz besonderen historischen Auftrags bewusst werden, der da lautet: im Namen eines liberalen und humanistischen Erbes den Kuschelkurs zu beenden und endlich Israel in den Arm zu fallen.

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