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Elektronische Überwachung der Hidschab-Pflicht im Iran

Das iranische Regime verschärft Repression gegen Frauen, die sich nicht an die Kopftuchpflicht halten
Das iranische Regime verschärft Repression gegen Frauen, die sich nicht an die Kopftuchpflicht halten (Imago Images / NurPhoto)

Das Regime im Iran nutzt elektronische Mittel, um Frauen zu verfolgen, die gegen die Kopftuchpflicht verstoßen, wie ein Bericht des UN-Menschenrechtsbüros festhält.

Denunziation wird als Bürgerpflicht dargestellt, Verstöße gegen die Kopftuchpflicht werden mit einem angeblichen Mangel an »Bewusstsein« oder »Bildung« erklärt. Das geht aus einem Bericht des UN-Menschenrechtsbüros OCHR, der letzte Woche vorgestellt wurde, hervor.

Der von der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zum Iran erstellte Bericht belegt schwere Menschenrechtsverletzungen durch die iranischen Behörden im Zuge der landesweiten Proteste, die durch den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im September 2022 ausgelöst wurden. Dem Bericht gingen zweijährige Ermittlungen voraus, während der rund 285 Opfer und Zeugen befragt und über 38.000 Beweisstücke ausgewertet wurden. »Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Proteste im September 2022 sind Frauen und Mädchen im Iran weiterhin systematischer Diskriminierung in Gesetzen und in der Praxis ausgesetzt, die alle Aspekte ihres Lebens durchdringt, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung der Hidschab-Pflicht», heißt es.

Trotz der Zusicherungen des neuen Präsidenten Massud Peseschkian vor den Wahlen, die strikte Durchsetzung der Hidschab-Pflicht zu lockern, erließen die staatlichen Behörden weiterhin neue Maßnahmen zur Unterdrückung der Grundrechte von Frauen und Mädchen und setzen die Repressionen gegen jene fort, die sich mit der Bewegung »Frau, Leben, Freiheit« solidarisierten.

Am 13. April 2024 startete die Staatspolizei (FARAJA) auf Ersuchen des Justizchefs den sogenannten Noor-Plan: Polizisten halten überall im Land Frauen auf der Straße an, denen vorgeworfen wird, gegen die Hidschab-Pflicht zu verstoßen und so »soziale Anomalien« zu fördern. Zur Unterstützung kündigte Hassan Hassanzadeh, Kommandeur der Islamischen Revolutionsgarde für Teheran, am 21. April 2024 den Einsatz sogenannter »Botschafter der Güte« an, um die Einhaltung der Vorschriften im öffentlichen Raum, darunter auf Märkten, in Parks und im öffentlichen Nahverkehr, zu überwachen. Im vergangenen Jahr sollen mindestens 618 Frauen im Rahmen des Noor-Plans festgenommen worden sein.

Drohnen und App

In Teheran und im Süden des Landes hat das Regime laut der OCHR-Untersuchung Drohnentechnologie und Gesichtserkennungssoftware eingesetzt, um die Einhaltung der Hidschab-Vorschriften im öffentlichen Raum zu überwachen. So sei im April 2024 am Eingangstor der Amirkabir-Universität in Teheran eine neue Gesichtserkennungssoftware installiert worden, um die Einhaltung der Hijab-Pflicht durch Studentinnen zu überwachen.

Zu den Sanktionen bei Nichteinhaltung der Hidschab-Pflicht gehört auch die Beschlagnahmung des Fahrzeugs, in dem eine beschuldigte Frau (mit-)fährt. Der UN-Mission liegt eine Kopie der mobilen App Nazer vor, mittels der Verstöße von Frauen und Mädchen in Fahrzeugen gemeldet werden können. Im September 2024 sei Nazer aktualisiert worden, um eine solche Überwachung von Frauen auch in Krankenwagen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis zu ermöglichen, heißt es in der Stellungnahme:

»Nazer ist über die offizielle FARAJA-Website zugänglich. Nutzer können Ort, Datum, Uhrzeit und Kennzeichen des Fahrzeugs eingeben, in dem der mutmaßliche Verstoß gegen die Hidschab-Pflicht begangen wurde. Das Fahrzeug wird daraufhin online markiert und die Polizei alarmiert. Anschließend wird eine SMS (in Echtzeit) an den eingetragenen Fahrzeughalter gesendet, die ihn über den Verstoß gegen die Hijab-Pflicht und die Beschlagnahmung seines Fahrzeugs bei Missachtung der Warnungen informiert.«

In der zweiten Jahreshälfte 2024 seien laut der UN-Mission Frauen zunehmend vor Straf- oder Revolutionsgerichte, darunter auch der Ershad-Justizkomplex in Teheran, geladen worden. »In einigen Fällen wurden sie aufgrund von Beweisen, die als ›Berichte der Sicherheitskräfte‹ oder ›von der Polizei vorgelegte Bilder‹ bezeichnet wurden, verurteilt, unter anderem zu Auspeitschungen. Dies bestätigt erneut, dass Frauen weiterhin häufig vom Staatsapparat wegen Nichteinhaltung überwacht und angezeigt werden.« Die meisten Frauen seien zu einer Geldstrafe verurteilt worden, in mindestens einem Fall wurde das Bankkonto einer Betroffenen geschlossen.

Am 23. November 2024 wurde Roshnak Alishah von der Abteilung 1907 des Ershad-Justizkomplexes wegen »Störung der öffentlichen Keuschheit« mit vierzehn Peitschenhieben bestraft. Sie war am 3. November 2024 wegen eines von ihr im Internet veröffentlichten Videos verhaftet worden, das sie ohne den vorgeschriebenen Hidschab zeigt, wie sie einem Mann auf einem Motorrad gegenübertritt, der sie zuvor angegriffen hatte. Nach anderen Quellen handelte es sich bei dem Mann um einen Regierungsbeamten. Im heurigen März wurde der bekannte Sänger Mehdi Yarrahi mit vierundsiebzig Hieben ausgepeitscht. Der Grund dafür war ein Lied, das er während der Proteste gegen den obligatorischen Hidschab geschrieben hatte.

Der Bericht spricht im Hinblick auf die Auspeitschungen von »staatlich sanktionierter Folter« und legt nahe, dass die Lage für Irans Frauen noch schlimmer werden könnte, falls der derzeit auf Eis liegende Gesetzesentwurf »Hijab und Keuschheit« in Kraft tritt. Das Gesetz muss noch vom Präsidenten unterzeichnet oder offiziell verkündet werden.

»Der aktuelle Entwurf würde, sollte er angenommen werden, die staatliche Kontrolle über die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen verstärken und grundlegende Rechte und Freiheiten verletzen«, warnt der OCHR-Bericht. Frauen drohten bei Nichteinhaltung bis zu zehn Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu 12.000 Dollar. Wird ihr Verhalten als »Verderbnis auf Erden« gemäß Artikel 286 des Islamischen Strafgesetzbuchs eingestuft, droht ihnen sogar die Todesstrafe. Das Gesetz würde dem Sicherheitsapparat sowie Bürgern und Unternehmen erweiterte Durchsetzungsbefugnisse verleihen und gleichzeitig den Einsatz von Technologie und Überwachung verstärken.

Drakonische Strafen

Obwohl das Gesetz zu »Hidschab und Keuschheit« noch nicht offiziell verabschiedet wurde, seien bereits Maßnahmen zu seiner Umsetzung ergriffen worden, so die UN-Mission. Dazu gehöre die »Ausweitung bestehender Einschränkungen des Zugangs von Frauen und Mädchen zu sozialen und wirtschaftlichen Rechten sowie damit verbundenen Dienstleistungen, darunter Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Bankwesen und öffentlicher Nahverkehr«. Private Unternehmen wie Cafés, Restaurants und Büros können schon jetzt geschlossen werden, wenn ihnen vorgeworfen wird, gegen die Hidschab-Pflicht verstoßen zu haben.

Im vergangenen November kündigte die Leiterin der Abteilung für Frauen und Familie der Zentrale für Tugendförderung und Lasterprävention die Eröffnung einer »Klinik« an, in der sich Mädchen im Teenageralter, die den Hidschab abgelegt haben, einer »wissenschaftlichen und psychologischen Behandlung« unterziehen sollen.

»In der Islamischen Republik ist die Unterdrückung sowohl physisch als auch digital«, so Behnam Ben Taleblu, Senior Director und Senior Fellow des Iran-Programms des Washingtoner Thinktanks Foundation for Defense of Democracies. »Elektronische Überwachung, einschließlich Drohnen und Kameras, ist Alltag und erstreckt den langen Arm des Regimes bis in Bereiche wie Autos und Geschäfte. Die Folgen dieser Verstöße sind Geldbußen und Strafen, die selbst den kleinsten Widerstand gegen die drakonischen Gesetze des Regimes bestrafen sollen.«

Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi, die 2023 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde und viele Jahre im Gefängnis verbrachte – derzeit ist ihre Haft aus gesundheitlichen Gründen zeitweilig ausgesetzt –, sagte in einer auf ihren Social-Media-Kanälen veröffentlichten Videobotschaft, über welche die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete:

»Frauen haben sich so gegen die Islamische Republik erhoben, dass das Regime nicht länger die Macht hat, sie zu unterdrücken. Ich bin überzeugt, dass die Islamische Republik, selbst, wenn sie einen Krieg überlebt, den Widerstand von Frauen nicht überleben wird. Das Glasgefäß, welches das Leben der Islamischen Republik in sich trägt, wird von Frauen zerschlagen werden.« – Und »wie üblich«, betonte AFP, habe sie während des Videos »keinen Hijab getragen«.

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