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Ein genialer Dirigent auf politischen Abwegen (Teil 1)

Von Thomas Eppinger

Daniel Barenboim schäme sich, ein Israeli zu sein, schrieb der weltberühmte Pianist und Dirigent in einem Artikel für die Haaretz, der am selben Tag erschien wie die Nachricht, dass Israel über 400 Syrer gerettet hat. Israel habe ein Gesetz verabschiedet, heißt es in seinem Text, welches das Prinzip der Gleichheit und universellen Werte durch Nationalismus und Rassismus ersetze. Eine „ganz klare Form von Apartheid“ sei das „rassistische“ Gesetz, das die arabische Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse zementiere.

„Ich glaube nicht, dass das jüdische Volk über 20 Jahrhunderte gelebt hat, meistens unter Verfolgung und ständiger Grausamkeit, um selbst zum Unterdrücker zu werden und anderen Grausamkeiten zuzufügen. Dieses neue Gesetz tut genau das. Deshalb schäme ich mich, heute ein Israeli zu sein.“

Nun wurde das Gesetz, das nur mit knapper Mehrheit im Parlament verabschiedet worden ist, auch in Israel heftig diskutiert – kein ungewöhnlicher Vorgang in einer Demokratie und schon gar nicht in Israel. Indes, Jahrhunderte an Pogromen, der Holocaust und die rassistische Apartheidpolitik in Südafrika auf der einen Seite, und auf der anderen ein Gesetz, das im Wesentlichen Israels Identität als jüdischer Staat bekräftigt? Barenboim stellt das alles auf dieselbe Stufe. Auch wenn man einem Künstler zubilligen mag, mit historischen Fakten nicht gerade kleinlich umzugehen: Was treibt den Maestro um, sich ausgerechnet dafür zu schämen, ein Israeli zu sein?

Barenboim hat nicht nur einen israelischen, sondern darüber hinaus einen argentinischen, einen spanischen und seit 2007 auch einen palästinensischen Pass. Er ist also gleichermaßen Palästinenser wie er Israeli ist, was er bei jeder Gelegenheit stolz betont. Öffentlich geschämt hat er sich für seine palästinensischen Landsleute noch nie.

Er schämt sich nicht, wenn Palästinenser jedes erfolgreiche Attentat auf einen Israeli mit Süßigkeiten feiern. Er schämt sich nicht für die tausenden Raketen, die aus Gaza auf Israel niedergehen, und nicht für die Attentate und Brandstiftungen; nicht für die ermordeten Homosexuellen und nicht für die getöteten Oppositionellen; nicht für die Korruption und nicht für den Judenhass, der in Schulen und Medien geschürt wird; nicht für die Entführung und Ermordung von Israelis und nicht für die Morde an Frauen und Kindern. Er schämt sich auch nicht dafür, dass der nicht existente Staat, der ihm einen Pass verliehen hat, in seinem Verfassungsentwurf Arabisch als offizielle Landessprache und den Islam als offizielle Religion benennt, Jerusalem als seine Hauptstadt festlegt und die Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung macht. Daniel Barenboim schämt sich nur dafür, Israeli zu sein.


Israel als sozialistische Idee

In Israel gelebt hat Barenboim nur kurz als Kind. Der Sohn russisch-stämmiger Juden, deren Eltern vor den Pogromen 1904 nach Argentinien geflüchtet waren, wurde in Buenos Aires geboren, wo das „Wunderkind“ als Siebenjähriger sein erstes Klavierkonzert gab. 1952, er war damals zehn Jahre alt, wanderten seine Eltern mit ihm nach Israel aus, seither ist er auch israelischer Staatsbürger. Schon zwei Jahre später ging er als jüngster Schüler der Dirigier-Meisterklasse von Igor Markevich nach Salzburg, es folgten Stationen in aller Welt. Während des Sechs-Tage-Krieges 1967 trat Barenboim fast täglich in Israel auf, im selben Jahr heiratete er an der Klagemauer Jacqueline du Pré, die zuvor zum Judentum übergetreten war.

Seit den sechziger Jahren fühle er sich nicht mehr wohl in Israel, schreibt Barenboim in einem biographischen Text zum sechzigsten Jahrestag der Gründung Israels, der auf seiner Website in Englisch und im Tagesspiegel auf Deutsch nachzulesen ist. Darin schwärmt er von den ursprünglichen sozialistischen Idealen des jüdischen Staates, die nach dem Sechstagekrieg 1967 immer mehr verschwunden seien. „Die Idee eines ‚Ur-Israel‘ verblasste. Plötzlich gab es billigere Arbeitskräfte aus den palästinensischen Gebieten, wenig später tauchten die ersten israelischen Millionäre auf. Das sozialistische Gleichgewicht geriet aus den Fugen, das Israelbild kippte.“

Für Barenboim, der es schon früh selbst zum Millionär gebracht hat, war Israel nie eine jüdische Idee, sondern eine sozialistische. Und mit dem Sozialismus schwand auch seine Zuneigung zu diesem Land, sofern sie überhaupt je existiert hat. Barenboims Text ist emblematisch für seine politischen Statements. Er kleidet seine Angriffe gegen Israels Existenz in wohlgesetzte Worte über Frieden und Versöhnung, immunisiert sie gegen Kritik, indem er die eigene jüdische Herkunft betont, und propagiert dann vorbehaltlos und ohne Einschränkungen das palästinensische Narrativ. Wo die Wirklichkeit nicht in diese Erzählung passt, wird sie absichtsvoll ausgeblendet.

So beruft er sich auf die Forderung Martin Bubers, „das Recht auf einen jüdischen Staat [müsse] für die bestehende Bevölkerung, die Nichtjuden, akzeptierbar gemacht werden“ (was der Tagesspiegel etwas anders übersetzt) und behauptet: „Der militante Zionismus hingegen hat sich gedanklich nicht weiterentwickelt. Er basiert bis heute auf einer Lüge: Das Land, das die Juden besiedelten, war eben nicht leer!“ Damit blendet er blendet aus, dass 20 Prozent der israelischen Staatsbürger arabischer Abstammung sind; die einzigen „Palästinenser“ im Nahen Osten, die volle Freiheits- und Bürgerrechte besitzen. Man findet sie im Parlament, unter Ärzten, Anwälten und Kaufleuten, niemand von ihnen würde freiwillig in einen „palästinensischen“ Staat ziehen. Dass der Zionismus darauf basiere, dass das besiedelte Land leer gewesen sei, ist eine unhaltbare Behauptung, deren Widerlegung diesen Rahmen sprengte. Die Gründungsgeschichte des Landes kann man unter anderem in dieser Serie nachlesen. Doch es sind beiläufig geäußerte Sätze wie dieser, mit denen der Meister der Assoziation Stimmung gegen Israel macht.

„Warum aber füttert man den Hass im Gazastreifen immer weiter?“, fragt er und meint damit nicht „man“ und schon gar nicht die Hamas, sondern Israel. „Man wollte Land haben, wo es nie Juden gegeben hat, und man baute Siedlungen dort. Alle Palästinenser halten das für eine imperialistische Provokation – zu Recht. Ihr Widerstand ist absolut nachvollziehbar und verständlich. Nicht die Gewalt. Aber ihr Nein.“ Abgesehen von der historischen Unwahrheit: Barenboim propagiert damit die Beseitigung des jüdischen Staates, wenn auch mit friedlichen Mitteln


Barenboim, der BDS-Unterstützer

Wie nennt man jemanden, der Halb- und Unwahrheiten verbreitet, die jenen in die Hände spielen, die den jüdischen Staat vernichten wollen? Wie alle modernen Antizionisten würde sich Daniel Barenboim vehement dagegen wehren, würde man ihn als Antisemiten bezeichnen. Dabei unterscheiden sich seine Aussagen nur marginal von jenen der klar antisemitischen BDS-Bewegung, die er konsequenterweise im Wesentlichen befürwortet: „Ich denke, die Boykottbewegung BDS ist absolut in Ordnung, sie ist absolut richtig und notwendig, mit einer Einschränkung, einer Kritik – dass sie jeglichen Kontakt mit allem, was mit Israel zu tun hat, ablehnt. … Ich denke, es gibt genug Leute in Israel, die sich sehr von der Regierung unterscheiden. Künstler und andere Leute. Schriftsteller, sicherlich. Musiker, sicherlich. Und indem man einen blinden Boykott macht, beraubt man sich selbst der Möglichkeit, mit Leuten in Kontakt zu treten, die mit einem – als Mitglied des Boykotts – ebenso wenig einverstanden sind wie mit der Politik der Regierung.“ Anders gesagt: JA zu „Kauft nicht bei Juden!“, aber sucht euch Verbündete in Israel.

Dass man Daniel Barenboim nicht längst in einem Atemzug mit Antisemiten wie Roger Waters nennt, verdankt er seinem musikalischen Genie, seiner Intelligenz und seiner rhetorischen Qualität. Im Gegensatz zum gemeinen Israel-Gegner gelingt es ihm, sich als unablässiger Mahner für Versöhnung darzustellen, sodass der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel anlässlich der Eröffnung der Barenboim-Saïd-Akademie in Berlin schrieb: „Gegen den Hass und die Unversöhnlichkeit einzutreten und Menschen über die Musik einander anzunähern, das hat sich Daniel Barenboim zu einer Lebensaufgabe gemacht.“

Was uns direkt ins Herz seiner politischen Aktivitäten führt: das West Eastern Divan Orchestra, die Barenboim-Saïd-Foundations samt den Musikschulen in Ramallah und die Barenboim-Saïd-Akademie in Berlin. Wie niemand anderer versteht es Daniel Barenboim, seine musikalischen mit seinen politischen Aktivitäten zu verknüpfen, um beiden Gewicht zu verleihen und größtmögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Zum zweiten Teil geht es hier.

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