Hätte Israel auf die internationalen Warnungen vor einer Offensive in Rafah gehört, wären Dutzende Hamas-Nachschubtunnel unentdeckt geblieben. Einer von ihnen war so groß, dass er mit Lkw befahren werden konnte.
Bevor die israelische Armee begann, ihre Militäroperationen auf Rafah im Süden des Gazastreifens auszudehnen, ergingen aus aller Welt dramatische Warnungen. Unzählige Zivilisten würden getötet werden, essentielle Hilfslieferungen würden ausbleiben, eine Hungersnot würde ausbrechen, etliche Hunderttausend Palästinenser würden fliehen und dabei vielleicht sogar die Grenzanlangen nach Ägypten überrennen (was vielleicht sogar das Ende für den israelisch-ägyptischen Frieden zur Folge haben könnte), kurz: Ein israelisches Vorgehen gegen Rafah wäre eine einzige Katastrophe. Hunderttausende Palästinenser, so warnten die Vereinten Nationen in gewohnt schrillem Tonfall, seien »in unmittelbarer Lebensgefahr«. In Rafah vorzugehen, so Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock damals, »wäre einfach nicht zu rechtfertigen«.
Israel hielt stets dagegen, dass der Krieg gegen die Hamas nicht zu Ende gehen könne, solange die letzten übriggebliebenen Brigaden der islamistischen Terrorgruppe in Rafah unangetastet blieben. Außenminister Israel Katz brachte gegenüber dem Wall Street Journal sein Unverständnis über die Einwände gegen Israels Vorgehen zum Ausdruck: »Sie glauben, dass wir die Hamas in Rafah lassen können, damit sie dann fünf Minuten nach unserem Abzug wieder den gesamten Gazastreifen einnehmen wird?«
Und Israel führte stets einen weiteren Grund an, warum die Armee auch in Rafah operieren müsse: Dies sei einzige Weg, um der Hamas den Nachschub abzuschneiden, den sie über Tunnel nach Ägypten nach wie vor beziehe.
Tunnel unterm Kinderbett
Seit die israelische Armee schließlich am 6. Mai begann, auch in Rafah gegen die dort verbliebenen Hamas-Reste vorzugehen, ist es erstaunlich ruhig geworden. Das hat einen einfachen Grund: Wie sich gezeigt hat, waren die aufgeregten Warnungen von US-Präsident Joe Biden abwärts gleichermaßen maßlos wie unbegründet.
Selbst laut den Angaben der Hamas sind die täglichen Opferzahlen – bei denen nie zwischen zivilen Opfern und getöteten Terroristen unterschieden wird – seit Beginn der Rafah-Offensive nicht etwa sprunghaft in die Höhe geschossen, sondern im Vergleich zu den Zahlen aus den Wochen dafür sogar zurückgegangen. Und auch keine der sonstigen angekündigten Katastrophen beinahe apokalyptischen Ausmaßes ist eingetreten.
Darüber hinaus zeigt sich auch, wie richtig Israels Einschätzung war, dass eine Offensive in Rafah unerlässlich sei, um der Hamas den Nachschub abzuschneiden. Insbesondere die Übernahme der auf der Seite des Gazastreifens gelegenen Teils des Grenzüberganges nach Ägypten und die Kontrolle über den sogenannten Philadelphi-Korridor, einen rund 14 Kilometer langen Sicherheitsstreifen entlang der Grenze, dürften dem Nachschub der Hamas einen schweren Schlag versetzt haben.
Zwei Wochen nach Beginn der Offensive in Rafah gab die israelische Armee bekannt, im Bereich des Philadelphi-Korridors 20 Tunnel mit über 80 Tunneleingängen entdeckt zu haben. Wie üblich befand sich ein großer Teil dieser Zugänge in Privathäusern, in einem Fall sogar buchstäblich unter einem Kinderbett.
Einer der Tunnel sei rund eineinhalb Kilometer lang gewesen. Die Jerusalem Post berichtete: »Die Truppen fanden ein großes Waffenarsenal, darunter Kurzstreckenraketen und Panzerabwehrraketen, AK-47-Maschinengewehre, Sprengstoff und Granaten. Nach Angaben des Militärs umfasste der Tunnel ein Versteck, Toiletten und Aufenthaltsräume.«
Am vergangenen Wochenende gab die Armee bekannt, weitere Dutzende Tunnel ausfindig gemacht zu haben und diese nun zu zerstören. Einer der entdeckten Tunnel war drei Meter hoch und so groß, dass er von LKWs durchfahren werden konnte.
Ausgedehnte militärische Infrastruktur
Ägypten hat in den vergangenen Jahren stets beteuert, rigoros gegen Schmuggeltunnel unter der Grenze bei Rafah vorzugehen. Wie ernst auch immer diese Bemühungen gewesen sein mögen, die Entdeckungen der israelischen Armee zeigen, dass sie völlig unzureichend gewesen sind, um die Nachschubwege der Hamas ernsthaft zu behindern.
Die entdeckten Tunnel zeigten die »atemberaubende Infrastruktur, die die Hamas unter dem Gazastreifen errichtet hat«, so Joe Truzman von der Foundation for Defense of Democracies. Hamas-Führer Yahya Sinwar, der Hauptverantwortliche für das Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023, habe angesichts des wachsenden internationalen Drucks wohl nicht damit gerechnet, dass Israel den Krieg lange genug fortsetzen könnte, um diese Infrastruktur zu zerstören und die Hamas so von lebenswichtigem Nachschub abzuschneiden.
Hätte Israel die schrillen internationalen Warnungen von einem Vorgehen in Rafah beherzigt, wäre das Kalkül des Terror-Masterminds voll aufgegangen.