Nach Entlassungen und Arbeitszeitverkürzungen infolge der Mittelkürzungen durch die USA blockieren seit Tagen palästinensische UNRWA-Angestellte die Büros des Hilfswerks in Gaza. Nun kamen auch noch massive Drohungen gegenüber dem Führungspersonal der Einrichtung hinzu, neun Mitarbeiter wurden deshalb aus dem Gazastreifen nach Israel evakuiert. Die Finanzlücke versuchen nicht zuletzt europäische Länder zu schließen. Doch das ist der falsche Weg.
Das Wort „Morddrohung“ möchte Matthias Schmale zwar nicht in den Mund nehmen. Aber das, was Mitglieder der Angestelltenvertretung der UNRWA gegenüber ihm und weiteren Mitarbeiterinnen des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen am vergangenen Montag geäußert haben, nennt der Direktor der UNRWA für den Gazastreifen zumindest „Kommentare, die eindeutig ernsthafte Drohungen in diese Richtung enthielten“. Er sei mit einigen seiner Managerinnen auf einem Treffen in einem Hotel in Gaza gewesen, als ihn sein Sicherheitspersonal davon in Kenntnis gesetzt habe, dass eine Gruppe von protestierenden Angestelltenvertretern vor dem Eingang zusammengekommen sei.
„Wir haben sofort unsere Siebensachen gepackt“, sagte Schmale der Times of Israel. „Alle unsere Autos haben es geschafft, die Hotelanlage zu verlassen – bis auf eines mit fünf Beschäftigten, das von den Demonstranten umringt wurde.“ Den „Behörden“, die im Gazastreifen von der terroristischen Hamas geführt werden, habe man daraufhin zu verstehen gegeben, dass sie „eine UN-Einrichtung schützen müssen“ und man nicht „quer durch Gaza gejagt“ werden wolle.
Was sich am Montag zutrug, war der Kulminationspunkt einer Entwicklung, die schon seit einer Weile vonstattengeht. „In den vergangenen zehn Tagen konnten wir unsere Büros nur an zwei Tagen betreten“, berichtet Schmale. „Die Angestelltenvertretung der UNRWA protestiert mit einer Blockade gegen die Entlassung von Mitarbeitern und gegen weitere Veränderungen, die im vergangenen Monat vorgenommen wurden.“ Rund 300 Mitarbeiter seien immer wieder daran gehindert worden, an ihre Arbeitsplätze zu gelangen.
Im Juli hatte das Hilfswerk bekannt gegeben, dass 113 Beschäftigte ihren Job verlieren und 584 weitere nur noch in Teilzeit arbeiten werden. Im Gazastreifen sind rund 13.000 Palästinenser für die UNRWA tätig, hinzu kommen 19 Mitarbeiter, die nicht palästinensisch sind. Die Entlassungen und Kürzungen sind erfolgt, nachdem die USA ihre Zuwendungen an die UNRWA deutlich gekürzt haben: In diesem Jahr hat die Regierung von US-Präsident Donald Trump nur 60 Millionen US-Dollar überweisen, 2017 waren es noch 364 Millionen. Andere Länder haben dafür ihre Zahlungen erhöht. Dennoch fehlen der Einrichtung nach eigenen Angaben derzeit 68 Millionen Dollar.
Neun internationale UNRWA-Mitarbeiter wurden am Montag nach den Drohungen aus dem Gazastreifen evakuiert – und zwar nach Israel. Dafür öffnete der jüdische Staat den Erez-Grenzübergang, der eigentlich an den Sukkot-Feiertagen geschlossen war. Wann die Mitarbeiter zurückkehren können, ist laut Matthias Schmale noch ungewiss. „Unsere Bedingung dafür ist, dass wir Zugang zu unseren Büros haben und arbeiten können, sagt er. Auch nach der Evakuierung sei die Blockade fortgesetzt worden. „Die lokalen Behörden haben immer noch nichts unternommen, damit wir unsere Arbeitsplätze wieder einnehmen können.“
Inzwischen sind palästinensische Mitarbeiter der UNRWA in einen Streik getreten. Die Angestelltenvertretungen des Hilfswerks sind von der Hamas dominiert; deren Liste erreichte bei den Wahlen im September 2012 einen überaus deutlichen Sieg: 11.500 der etwa 30.000 UNRWA-Mitarbeiter gaben damals ihre Stimme ab, die Hamas gewann alle elf Sitze im Lehrersektor, sechs von sieben im Arbeitersektor und acht von neun im Dienstleistungssektor. Eine konkurrierende Liste gab es – es war die des Islamischen Dschihad.
Der UNRWA fällt das Grundproblem ihrer Existenz auf die Füße
Bemerkenswert ist die Doppelmoral beim Führungspersonal der UNRWA. Während Direktor Schmale die derzeitigen Ereignisse um das Hilfswerk im Gazastreifen bedrohlich findet, beschönigte UNRWA-Sprecher Chris Gunness den von der Hamas befeuerten Aufmarsch von Palästinensern an der Grenze zu Israel im Frühjahr, der mit dem Einsatz von Waffen, Granaten, Molotow-Cocktails und Bolzenschneidern einherging, als „Ausübung des Rechts zu protestieren“.
Der UNRWA fallen nun das Grundproblem ihrer Existenz und ihre eigene Politik auf die Füße. Sie wurde gegründet, weil mehrere arabische Staaten der Ansicht waren, dass die Vereinten Nationen das Flüchtlingsproblem durch die Verabschiedung des UN-Teilungsbeschlusses für das seinerzeitige britische Mandatsgebiet Palästina im November 1947 und durch die daraus resultierende Proklamation des Staates Israel selbst verursacht haben – und dass deshalb nicht der UNHCR für die arabischen Palästinenser zuständig sein soll, sondern diese ein eigenes Flüchtlingshilfswerk benötigen. Eine Sichtweise, die außen vorlässt, dass der Teilungsplan auch die Schaffung eines arabisch-palästinensischen Staates vorsah, zu der es jedoch nicht kam, weil die arabischen Staaten es vorzogen, Israel einen Tag nach seiner Gründung militärisch anzugreifen, um es zu vernichten.
Seit die UNRWA besteht, nährt sie die Illusion der Palästinenser, es gebe für sie ein unveräußerliches „Recht auf Rückkehr“ nach Israel. Eine andere Lösung der Flüchtlingsproblematik – etwa durch die Einbürgerung der Palästinenser in die Länder, in denen sie leben – kommt für sie nicht infrage. Mehr noch: Dadurch, dass sich der Flüchtlingsstatus bei den Palästinensern vererbt, ist die Zahl der bei der UNRWA registrierten Menschen inzwischen auf rund fünfeinhalb Millionen angewachsen.
Fünfeinhalb Millionen Palästinenser werden dort also als „Flüchtlinge“ geführt – allein im Gazastreifen sind es 1,3 Millionen –, obwohl kaum jemand von ihnen tatsächlich geflohen ist. Sie haben bei der UNRWA ein Anrecht auf kostenlose Leistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Fürsorge. Das heißt auch: Sie hängen am Tropf des Hilfswerks und werden in ihrer Haltung bestärkt, dass ausschließlich der jüdische Staat an ihrer Misere schuld ist.
Während sich beim UNHCR etwa 7.000 Mitarbeiter darum kümmern, dass über 60 Millionen Flüchtlinge weltweit ein neues Zuhause finden und dort ein neues Leben beginnen können, perpetuiert und verstärkt die UNRWA mit mehr als viermal so vielen Mitarbeitern ein Problem von fünfeinhalb Millionen Menschen, das längst nicht mehr existieren müsste. Zumal keine israelische Regierung jemals die Einwanderung all dieser Palästinenser gestatten wird. In den mehr als 700 von der UNRWA betriebenen Schulen, davon entfallen über 280 auf den Gazastreifen, lernen rund 500.000 Kinder, dass sie Opfer israelischer Vertreibung sind und ein sakrosanktes „Rückkehrrecht“ haben, das notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden soll.
Das Lehr- und Lernmaterial strotzt nur so vor Antisemitismus. Auf Landkarten existiert der Staat Israel nicht, Juden haben laut den Schulbüchern keine heiligen Orte in Palästina, sondern bloß „gierige Ambitionen“. Wie der israelische Journalist David Bedein in seiner Schrift „UNRWA: A Roadblock to Peace“ nachweist, werden in UNRWA-Schulen sogar Gedenkzeremonien für Hamas-Führer abgehalten, UNRWA-Lehrer widmen sich nach Feierabend dem Raketenbau und werden im Falle ihrer Tötung in den Schulen als „Märtyrer“ gefeiert.
Die UNRWA ist alles andere als alternativlos
Vor diesem Hintergrund ist es eine Ironie der Geschichte, dass nun neun UNRWA-Mitarbeiter nach Israel geflohen sind – ausgerechnet in jenes Land, das doch alle Schuld an der Not der Palästinenser haben soll –, um sich vor ihren palästinensischen Kollegen zu schützen. Dass die Unruhen und Drohungen zu Konsequenzen führen werden, darf man gleichwohl bezweifeln – umso mehr, als nicht zuletzt die Europäer ein vernehmliches „Weiter so!“ von sich gegeben haben.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas bezeichnete die UNRWA unlängst sogar als „Schlüsselfaktor für die Stabilität“ im Nahen Osten und kündigte an, die finanziellen Zuwendungen an sie zu erhöhen. Und das, obwohl beispielsweise die Ausschreitungen an der Grenze, zu denen es im Zuge des „großen Rückkehrmarsches“ gekommen war, auch deshalb geschehen konnten, weil die UNRWA das vermeintliche „Rückkehrrecht“ – das nirgendwo verbrieft ist – ausdrücklich selbst propagiert, die Palästinenser also in ihrem diesbezüglichen Irrglauben bestärkt.
Damit aber ist sie ein wesentliches Friedenshindernis, ein Anachronismus, eine der Hamas nahestehende Flüchtlingsfabrik, ein Unsummen verschlingender Moloch, der sich selbst erhält. Diejenigen, die den Erhalt der UNRWA befürworten und dazu noch einmal Geld locker gemacht haben, argumentieren, dass eine Abschaffung des Hilfswerks Abertausende von Palästinensern in Not stürzen würde – vor allem finanziell und in puncto Bildung. Doch das ist keineswegs zwangsläufig.
Um die tatsächlichen palästinensischen Flüchtlinge – deren Zahl wahrscheinlich bloß im niedrigen fünfstelligen Bereich liegt – könnte sich der UNHCR kümmern, die frei werdenden Gelder könnten für ein internationales Aufbauprogramm für den Gazastreifen verwendet werden, bei dem die Hamas außen vor bleiben muss. Geeignetes Lehrpersonal für die UN-Schulen sollte sich ebenfalls finden lassen, vorausgesetzt, die Lehrinhalte werden grundlegend verändert.
Die abrupten Mittelkürzungen durch die USA sind vielfach auf Kritik gestoßen, doch es ist der ganz falsche Weg, sie aufzufangen, ohne das an Bedingungen zu knüpfen. Insbesondere sollte sowohl der UNRWA als auch den Palästinensern deutlich gemacht werden, dass es kein „Recht auf Rückkehr“ gibt und dass das Festhalten an diesem gefährlichen Irrsinn auf vielen Ebenen zu Konsequenzen führen wird, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht.
Im Zuge dessen müssten auch arabische Staaten wie Syrien und der Libanon unter Druck gesetzt werden, den Palästinensern – die dort inzwischen in der vierten und fünften Generation leben – nicht länger die Einbürgerung und Integration zu verweigern. Wenn stattdessen jedoch die UNRWA weiter unterstützt wird, führt das zu einer Verlängerung und Verschärfung des Problems und ist gerade kein Schritt auf dem Weg zu einer Lösung.