documenta: Stellen wir uns einen Moment lang vor …

Ein Bild mit Symbolcharakter: der Müllhaufen, den das Künstlerkollektiv Taring Padi bei der documenta hinterließ, nachdem ihr antisemitsisches Machwerk abgebaut wurde. (© imago images/Hartenfelser)
Ein Bild mit Symbolcharakter: der Müllhaufen, den das Künstlerkollektiv Taring Padi bei der documenta hinterließ, nachdem ihr antisemitsisches Machwerk abgebaut wurde. (© imago images/Hartenfelser)

Praktisch täglich wird der Antisemitismus-Skandal rund um die documenta größer. Was wäre wohl geschehen, ginge es um Rassismusvorwürfe?

Kaum ein Tag vergeht, an dem der Antisemitismus-Skandal namens documenta nicht noch groteskere Ausmaße annehmen würde. Jüngstes Highlight: Kurdisch-iranische Mitglieder einer Death-Metal-Band präsentieren ein »multimediales Paket« über ihre Fluchtgeschichte und ihre Zeit in einem australischen Flüchtlingslager. Sie selbst bezeichnen sich als »antirassistisch-muslimische« Band – und sind, wer hätte es vermutet, lautstarke Befürworter der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS. Für das israelfeindliche Milieu der documenta-Macher reicht das völlig, um von der Kunstausstellung herzlich willkommen geheißen zu werden.

Woher soll man schon wissen …

Und jedes Mal, wenn sich die Verantwortlichen für den Skandal namens documenta zu Wort melden, plappern sie sich tiefer in die Jauchegrube hinein. Nehmen wir Alexander Farenholtz, der zum interimistischen Leiter der Ausstellung ernannt wurde, nachdem Sabine Schormann ihren Posten als documenta-Generaldirektorin räumen musste. Während gerade eben das nächste Machwerk öffentlich bekannt wurde, in dem Israelis mit Davidsternen, Hakennase und als Vergewaltiger verunglimpft werden, behauptet er gleichermaßen trotzig wie offenkundig wahrheitswidrig: »In Deutschland hat Antisemitismus keinen Platz.«

Und die neuen Vorwürfe? Die seien gar nicht neu, sondern der documenta schon seit drei Wochen bekannt – als ob das eine Entschuldigung wäre. Die »Beschwerde« sei schon behandelt worden, problematisch sei nur gewesen, dass man »seinerzeit versäumt hat, sich die Frage zu stellen, ob dieser Beitrag innerhalb der Ausstellung für die Besucherinnen und Besucher leichter verdaulich und leichter erklärbar ist«.

Dass man den antisemitischen Müll auch einfach rausschmeißen hätte können, anstatt ihn »leichter verdaulich und leichter erklärbar« zu machen, war für Farenholtz anscheinend keine Option, zumal er – nach all den Monaten, die sich der Skandal jetzt schon hinzieht – »nicht die nötige Expertise« habe, um sich zum Thema Antisemitismus zu äußern:

»Ich fühle mich nicht berufen und kompetent, zu sagen, was Antisemitismus genau ist und was nicht. Erst recht nicht, wenn es um ganz konkrete Vorgänge geht: zu entscheiden, ist das ein antisemitisches Artefakt oder nicht.«

Leider stellte der Journalist der Hessenschau die naheliegende Anschlussfrage nicht, ob er dann nicht schlicht der völlig falsche Mann für seinen Posten ist.

… dass antisemitischer Müll antisemitisch ist?

Im konkreten Fall fühlt sich Farenholtz sicherlich dadurch gestärkt, dass die documenta die neu aufgetauchten antisemitischen Bilder einer internen Prüfung unterzogen hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass es in ihnen zwar »eine klare Bezugnahme auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber keine Bebilderung von Juden ›als solchen‹« gebe – ergo handle es sich gar nicht um Antisemitismus.

Die gewählte Formulierung, mit der das Offensichtliche in Abrede gestellt wird, ist kein Zufall. Dass es bei Antisemitismus um die Darstellung von »Juden als solche« gehen müsse, folgt der »Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus« von 2021, die als expliziter Gegenentwurf zur international breit akzeptierten Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance verfasst wurde und deren Kern darin besteht, auf Israel bezogenen Antisemitismus weitestgehend aus der Kritik zu nehmen und der BDS-Bewegung einen Persilschein auszustellen.

Im aktuellen Fall argumentiert die documenta, dass der in den neu bekannt gewordenen Bildern mit dem Davidstern zwar ein »eindeutig jüdisches Symbol« Verwendung findet, hier aber »als Bestandteil der Staatsflagge des israelischen Militärs« gezeigt werde. Deshalb seien gar nicht »Juden ›als solche‹« gemeint – Antisemitismus wegerklärt, Operation gelungen. (Ob sie die Hakennase auch als ein Charakteristikum des israelischen Militärs sieht, verriet die documenta leider nicht.)

Ein Gedankenexperiment

Wie absurd das ist, zeigt sich an einem kleinen Gedankenexperiment: Nehmen wir an, unter den Ausstellungsobjekten würden Bilder gefunden werden, in denen Schwarze als Affen dargestellt sind. Was würde passieren?

Würden die documenta-Macher wochenlang nichts unternehmen, bevor sie erst einmal ein »Expertengremium« einsetzen würden, um die »Vorwürfe«, die Bilder seien rassistisch, zu untersuchen? Würden sie sich genötigt fühlen, öffentliche Diskussionsveranstaltungen über – möglicherweise gar falsche – Rassismusvorwürfe anzuberaumen?

Nehmen wir weiter an, wir hätten es mit einer Karikatur aus den 1970er Jahren zu tun, in der Idi Amin als Affe porträtiert wurde. Würde die documenta die Zeichnung einer internen Überprüfung unterziehen, um zu dem Schluss zu kommen, dass es in ihr nur um den blutrünstigen ehemaligen Diktator von Uganda gehe, nicht aber um »Schwarze ›als solche‹«, und die Zeichnung daher nicht rassistisch sei? Und würde sich nach wochenlangen Debatten voller ähnlicher Vorwürfe der interimistische Leiter der documenta hinstellen und sagen, dass die Ausstellung »auf einem hervorragenden Kurs ist«?

Keine Minute länger

Selbstverständlich würde nichts dergleichen geschehen: Sobald der erste Vorwurf rassistischer Bildsprache auftauchen würde, würden die inkriminierten Bilder keine Minute länger ausgestellt werden. Keine »Experten« würden berufen, nichts müsste »untersucht« oder für die Besucher »leichter verdaulich und leichter erklärbar« gemacht werden. Und sollte sich der Rassismus nicht als Einzelfall erweisen, sondern praktisch täglich neue Beispiele auftauchen, wäre die diesjährige documenta schneller Geschichte, als man »Claudia Roth« sagen kann.

Aber wenn es um Juden mit Davidsternen, Hakennasen, Vampirzähnen und als Vergewaltiger geht, ist plötzlich alles anders. Nach all den Jahren, die man in Postkolonialismus-Seminaren, im »künstlerischen Dialog mit dem Globalen Süden« oder wenigstens im Libanon als Journalistin für eine stramm israelfeindliche Zeitung verbracht hat, fühlt man sich bestens gewappnet, um das Offensichtliche in Abrede zu stellen und weiterzumachen wie bisher. Immerhin, das meint jedenfalls Interimsleiter Farenholtz, »die Zahlen sind sehr gut, die Stimmung auch«.

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