„Die Zionisten sind an allem schuld“

Linda Sardour und Louis Farrakhan
Linda Sardour und Louis Farrakhan (© Imago Images / Pacific Press Agency / ZUMA Press)

Linda Sarsour steht wieder einmal wegen einer antisemitischen Rede in der Kritik, und noch in ihrer Entschuldigung bestätigt sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Linda Sarsour, eine der ursprünglichen Anführerinnen des Women’s March on Washington, die im September von ihrem Amt zurücktrat und nun Wahlkampfrednerin von Bernie Sanders ist, steht wieder einmal wegen antisemitischer Äußerungen in der Kritik. Dabei hat sie nichts geäußert, was sie vorher noch nicht gesagt hätte. Diesmal geht es um eine Rede, die Sarsour auf der Konferenz der American Muslims for Palestine gehalten hat, die vom 28. bis 30. November in Chicago stattfand. Dort sagte Sarsour:

„Fragt die, die sich selbst progressive Zionisten nennen, fragt sie dies: Wie könnt ihr gegen weißen Suprematismus in den Vereinigten Staaten sein, gegen einen suprematistischen Staat, der auf Rasse und Klasse basiert, aber dann einen Staat wie Israel unterstützen, der auf Suprematismus aufgebaut ist, der auf der Vorstellung gründet, dass Juden über allen anderen stehen?“

Die Idee, dass Juden wie andere Völker auch das Recht auf einen eigenen Staat haben – das ist es, was man Zionismus nennt –, ist in Sarsours Augen also rassistisch. Sie gibt gar nicht vor, dass sie gegen angeblich von Israelis verübte Ungerechtigkeiten oder für einen arabisch-palästinensischen Staat zu Felde ziehe; nein, sie lehnt den Staat Israel in seiner Existenz und in jedweder Form ab und verbindet diese Ablehnung mit dem alten antisemitischen Topos, wonach Juden sich „über alle anderen“ stellten. Sarsour fuhr fort:

„Ich weiß alles, was ich wissen muss über den Einfluss und die Organisation und den Reichtum an Ressourcen, den die zionistische Bewegung in Amerika hat. Dieselben Leute, die die Ermordung von palästinensischen Zivilisten rechtfertigen, sind dieselben, die die Morde an unbewaffneten Schwarzen durch die Polizei in den Vereinigten Staaten von Amerika rechtfertigen. Dieselben Leute, die dagegen sind, Flüchtlinge in dieses Land zu bringen, sind dieselben Leute, die elf Millionen Immigranten ohne Papiere abschieben wollen. Die Leute, die in der Defensive sein müssen, sind die Zionisten.“

Antijüdische Klischees

Sarsour verbreitet das Klischee von den reichen Juden, die sich Einfluss erkauften, und ist dann im Handumdrehen bei der Vorstellung, dass die Juden eigentlich hinter jeder Missetat stünden, die irgendwo auf der Welt verübt wird: Wann immer ein „palästinensischer Zivilist“ oder ein „unbewaffneter Schwarzer“ getötet wird – die „Zionisten“ sind verantwortlich. Flüchtlinge dürfen nicht in die USA? Immigranten ohne Papiere sollen aus den USA abgeschoben werden? Es sind die „Zionisten“, die dafür auf die Anklagebank gehören. Sie sind entweder der Teufel oder seine Mitarbeiter.

Man sieht hier gut, wie der Antisemitismus wechselnde Formen annimmt, im Kern aber bei der immergleichen Botschaft bleibt: Die Juden sind das Gegenteil all dessen, was der Antisemit als gut und richtig empfindet und überall auf der Welt gleichzeitig am Werk, um Böses zu tun.

Scheinheilige Distanzierung

Inzwischen hat Sarsour ihre Rede „erklärt“. Sie habe sich auf das „das rassistische Argument im Zentrum des kürzlich von der israelischen Regierung verabschiedeten Nationalstaatsgesetzes“ bezogen, „nicht auf das jüdische Volk“. Sie entschuldigte sich „für die Verwirrung.“

Sanders’ Berater werden ihr wohl empfohlen haben, ihren Antisemitismus nicht so deutlich zu zeigen, sondern ihn lieber in linksliberale Floskeln und Argumente zu kleiden, wie man sie auch auf dem Demokratischen Nationalkonvent sagen oder in der New York Times schreiben könnte. Dabei hatte Sarsour das Nationalstaatsgesetz in dem bekannt gewordenen Teil ihrer Rede gar nicht erwähnt.

Sarsours nachträglicher Rechtfertigungsversuch ändert nichts an dem antisemitischen Gehalt ihrer Äußerungen und ist völlig unglaubwürdig. Sie hat ja ausdrücklich progressive Zionisten angegriffen. Diese können also so progressiv sein, wie sie wollen, solange sie Zionisten sind, sind sie in Sarsours Augen Rassisten. Und Sarsour sprach davon, dass Israel auf „Suprematismus“ aufgebaut sei. Ihre Äußerungen bezogen sich also auf den Staat Israel, wie er seit 1948 besteht.

Die Spur führt zu Farrakhan

Nein, Sarsours antisemitisches Weltbild, das sie in ihrer Rede ausgebreitet hat, hat absolut nichts mit diesem Gesetz zu tun hat. Das beweist auch die Tatsache, dass sie eine sehr ähnliche Rede schon 2015 hielt, lange bevor das Gesetz verabschiedet wurde, auf das sie sich nun angeblich bezogen haben will. Damals sagte sie:

„Wir sind Schwestern und Brüder, und unsere Befreiung ist mit der des anderen verknüpft. Dieselben Leute, die die Massaker am palästinensischen Volk rechtfertigen und als Kollateralschaden bezeichnen, sind dieselben Leute, die den Mord an jungen schwarzen Männern und Frauen rechtfertigen. Dieselben Menschen, die Millionen von Einwanderern ohne Papiere ausweisen wollen, sind dieselben Menschen, die Muslime hassen und unser Recht auf freie Religionsausübung in diesem Land nehmen wollen. Dieser gemeinsame Feind, Schwestern und Brüder, ist White Supremacy, nennen wir es so, wie es ist.“

Diese Rede hielt Sarsour am 10. Oktober 2015 und setzte sie auf ihre Facebookseite. Sie teilte sie am 10. Oktober 2017 noch einmal mit ihren Lesern und kommentierte: „Ich stehe zu jedem einzelnen Wort.“ Die Rede hielt sie auf dem Justice Or Else March, der aus Anlass des 20. Jahrestages des Million Man March in Washington D.C. stattfand.

Ein Hitlerverehrer

Zu dem Million Man March 1995 hatte Louis Farrakhan aufgerufen, der wohl einflussreichste zeitgenössische Antisemit in den Vereinigten Staaten. Farrakhan ist der Chef der Nation of Islam (NOI), einer straff hierarchisch organisierten extremistischen Organisation, bei der sich alles um Disziplin und den Kult um Farrakhan dreht, für den ihr Leben zu geben die Mitglieder geloben.

Während 1995 noch einige bekannte schwarze Bürgerrechtler wie Jesse Jackson und Rosa Parks teilnahmen, so dass man über den Charakter der Veranstaltung vielleicht noch streiten konnte, war das 20-Jahres-Jubiläum 2015, bei dem Sarsour sprach, ganz und gar eine Jubelfeier für Louis Farrakhan. Laut der Bürgerrechtsorganisation Anti-Defamation League (ADL) sagte Farrakhan in seiner Rede, die Juden seien „die Erwählten Satans“; sie würden die Regierung und den Kongress kontrollieren, hätten die gleichgeschlechtliche Ehe „im Alleingang durchgesetzt“, kontrollierten Hollywood und seien „verantwortlich für die Pornografieindustrie“.

Wenn Sarsour bei dieser Veranstaltung eine Rede gehalten hat – und das hat sie –, dann darf man sie getrost eine Mitstreiterin Farrakhans nennen. 2012 twitterte sie: „Wenn wir die Geschichte des Islam in Amerika schreiben, dann ist die Nation of Islam ein wesentlicher Bestandteil dieser Geschichte.“

Farrakhan ist bekannt für seine Aussage „Hitler war ein sehr großartiger Mann“ oder seine an die Juden gerichtete Drohung:

„Ihr alle werdet sofort getötet werden. … Ihr könnt zu Gott nicht ‚nie wieder’ sagen, denn wenn er euch in die Öfen steckt, bedeutet ‚nie wieder’ überhaupt nichts.“

Farrakhans Weltbild

Das Weltbild Farrakhans ist maßgeblich vom Glauben an eine Erbfeindschaft zwischen „unterdrückten Schwarzen“ und „unterdrückerischen Juden“ geprägt. Farrakhans Schöpfungslehre nach wurden die „Schwarzen“ von dem Gott geschaffen, der die Erde und das Universum schuf; die „Braunen“, „Gelben“ und „Weißen“ hingegen seien von der „niedrigeren Gottheit“ „Jakub“ geschaffen worden, die sich dann in „Israel“ umbenannt habe und niemand anderer als „Satan“ sei. Jakub habe in einem „Experiment“, das „600 Jahre“ dauerte, aus Schwarzen Weiße gemacht, um „zu sehen, ob das Böse dieselbe Macht hat wie das Gute“ (hier ist alles von Farrakhan selbst erklärt).

Während er also Weiße als Agenten des Bösen ansieht, sind Juden für Farrakhan die Schöpfer des Bösen. Dass die Juden die schlimmsten Unterdrücker der Schwarzen seien, ist sein Lebensthema.

Anfang der 1990er Jahre ließ er die „historische Forschungsabteilung“ der NOI ein zweiteiliges Werk erstellen, das das belegen soll und das er immer noch bei seinen Auftritten bewirbt: The Secret Relationship Between Blacks and Jews. Darin wird etwa behauptet, Juden hätten den transatlantischen Sklavenhandel dominiert, was falsch ist, aber dank Farrakhan von nicht wenigen geglaubt wird (u.a. auch von jemandem, der 2018 von der Linken in Berlin zu einer Podiumsveranstaltung eingeladen wurde).

Women’s March und Farrakhan

Zu Sarsours engsten Mitstreiterinnen bei der Führung des Women’s March zählten Tamika Mallory und Carmen Perez, die beide ebenfalls Louis Farrakhan nahestehen. (Auf diesem Foto hält Perez mit Farrakhan Händchen). Mallory machte im Februar 2018 Schlagzeilen, als CNN-Reporter Jack Tapper bekanntmachte, dass sie Farrakhans Predigt zum „Saviours’ Day“ (Tag der Erlöser, ein von Farrakhan angeordneter und jährlich mit einer dreitägigen Massenveranstaltung begangener Feiertag der NOI; S.F.) besucht hatte. Ihre Liebe zu ihrem Führer Farrakhan hatte Mallory nie geheim gehalten, wie ein von ihr über Instagram verbreitete Foto samt Geburtstagsgrüßen zeigt.

Doch viele Amerikaner erfuhren davon zum ersten Mal durch Tappers Bericht auf CNN, in dem er einige der schlimmsten Äußerungen aus Farrakhans Rede zitierte. So sagte Farrakhan im Beisein Mallorys wörtlich: „Die mächtigen Juden sind meine Feinde“. Die Juden seien verantwortlich „für all diesen Dreck und das degenerierte Verhalten, das Hollywood verbreitet: aus Männern Frauen machen und aus Frauen Männer.“ (Der Abschnitt der Rede, aus der wir zitieren, ist bei YouTube nicht mehr abrufbar).

Die Juden, so Farrakhan, „hassen mich, wie sie Jesus gehasst haben.“ Dazu zeichnete er das klassische antisemitische Bild der jüdischen Weltverschwörung: „Wohin auch immer sie [die Juden] gegangen sind, haben sie den Frieden der menschlichen Familie zerstört. … Sie sind der Boss, es ist ihre Welt.“

„Termiten“ und „Unterdrücker“

Dass „die die Ermordung von palästinensischen Zivilisten rechtfertigen“, „dieselben“ seien, „die die Morde an unbewaffneten Schwarzen durch die Polizei in den Vereinigten Staaten von Amerika rechtfertigen“ klingt ganz nach Farrakhan. Dass es in jedem Land der Welt Juden gebe, die nur zu dem Zweck dort seien, um Schwarze zu unterdrücken, ist eine seiner Theorien.

Der Gleichklang von Farrakhan und Sarsour ist hörbar. Für Farrakhan sind Juden „Termiten“, er bezeichnet sich als „Anti-Termite“. Als Linda Sarsour im September 2018 über Israelis sprach, nannte sie sie „Unterdrücker“, die man „nicht vermenschlichen“ dürfe:

„Wenn du auf der Seite des Unterdrückers stehst oder den Unterdrücker verteidigst oder sogar versuchst, den Unterdrücker zu vermenschlichen, dann ist das ein Problem, Schwestern und Brüder, und wir müssen dazu in der Lage sein zu sagen: Das ist nicht die Position der muslimischen amerikanischen Community.“

Tötet ein amerikanischer Polizist einen Unschuldigen, dann steckt für Sarsour der lange Arm der Juden dahinter. So sagte sie über ein von der Anti-Defamation League (ADL) gesponsertes Programm, das amerikanischen Polizisten einen Ausbildungsaufenthalt in Israel ermöglicht:

„Wenn man daran glaubt, die Polizeibrutalität und das Fehlverhalten von Polizeibeamten überall im Land beenden zu müssen, dann unterstützt man keine Organisation, die Polizeibeamte aus Amerika nimmt, ihnen ihre Reise bezahlt, sie nach Israel bringt, damit sie von der israelischen Polizei und dem Militär trainiert werden, und dann kommen sie zurück und machen was? Anhalten und durchsuchen, überall im Land unbewaffnete Schwarze töten.“

„Jüdische Medien“

Unbewaffnete Schwarze anhalten und töten – das ist es, was in Israel nach Sarsours Ansicht gelehrt und trainiert wird. Sarsour ist in ihrem Antisemitismus so extrem, dass neben ihr sogar ein Vertreter der linksradikalen BDS-Gruppe Jewish Voice for Peace gemäßigt wirkt. Mit einem solchen saß sie 2017 in New York auf einem Podium und diskutierte über das Thema „Antisemitismus und der Kampf für soziale Gerechtigkeit“, als es diesem einfiel, Louis Farrakhan einen „Antisemiten“ zu nennen. Sarsour widersprach, das seien nur die Lügen der jüdischen Medien:

„Wenn du den ganzen Tag, morgens und abends in den jüdischen Medien liest, dass Linda Sarsour und Minister Farrakhan die existenzielle Bedrohung für die jüdische Gemeinde darstellen, wird etwas wirklich Schlimmes passieren und wir werden das Ziel verfehlen.“

Juden müssen sich davor fürchten, dass Linda Sarsour ihr Ziel erreichen könnte.

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