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Die Rückkehr des Nationalismus in Saudi-Arabien

Die Rückkehr des Nationalismus in Saudi-Arabien„Eine Zeit lang bezeichnete man Gegner in der arabischen Welt grundsätzlich als ‚Verräter‘. In den Hochzeiten des arabischen Nationalismus in den 1950er und 1960er Jahren denunzierten Regierungsvertreter in Ägypten oder Syrien Dissidenten häufig als Verräter. Der Begriff wird bis heute verwandt, doch mit dem Anstieg des islamischen Eifers in den 1980er und 1990er Jahren, als Saudi-Arabien in der Region weitgehend den Ton angab, wurde der Begriff durch die lebensgefährliche Anklage ersetzt, man sei ein ‚kafir‘ – ein Abtrünniger oder Ketzer. Sie traf jeden, der von den religiösen Normen abwich, Säkulare, Intellektuelle und unangenehme Kritiker. Nun, da Kronprinz Mohammed bin Salman versucht, die Rolle der Religion in seinem Land zu reduzieren, steht Saudi-Arabien offenbar bereit, wieder mit der Denunziation von Verrätern zu beginnen.

Vor zwei Wochen nahmen die saudischen Behörden mindestens elf prominente Aktivistinnen und Aktivisten fest, darunter sieben wegweisende Frauen, jung und alt, die seit Jahrzehnten gegen das Fahrverbot für Frauen gekämpft haben. Die Festnahmen erfolgten nur Wochen vor dem 24. Juni, jenem Tag, an dem das Fahrverbot in Saudi-Arabien endlich aufgehoben wird. Die Behörden haben inzwischen vier der älteren weiblichen Gefangenen freigelassen, sich über diejenigen, die weiterhin verwahrt werden, jedoch nicht weiter geäußert. (…) Mohammed bin Salman verfolgt mit den Festnahmen andere Ziele. Er will seinem Volk offenbar einen neuen Antrieb einflößen, ein nationales Zugehörigkeitsgefühl, das nicht mehr von religiöser Ideologie, sondern vom Nationalismus angetrieben wird. Der Kriegseinsatz der Saudis im Jemen und die diplomatische Konfrontation mit Katar haben zum Anschwellen des patriotischen Stolzes beigetragen. (Das Eröffnen von Kinos und die Erlaubnis, Konzerte abzuhalten, kann das jedenfalls nicht leisten.) Derartiger Nationalismus gedeiht, wenn es einen – realen oder vermeintlichen – äußeren Feind gibt. (…)

Bald nach den Festnahmen tweetete eine regierungsnahe Nachrichtenwebseite das Bild eines Posters mit der Überschrift: ‚Unter uns gibt es keinen Platz für Verräter‘. Es folgte die Erklärung, dass die Festgenommenen sich mit ausländischen Institutionen verschworen hätten, um den Glauben und die Religion Saudi-Arabiens zu untergraben und öffentlichen Dissens zu schüren. Auf die Gesichter der Festgenommen war in Rot das Wort ‚Verräter‘ gestempelt worden. Mehrere Zeitungen wiederholten die Anschuldigungen und veröffentlichten ähnliche Abbildungen. Doch keine von ihnen bot Einzelheiten oder Beweise. Die Medien spielten sich zu Richtern auf. Selten hat das Wort ‚Verräter‘ in Saudi-Arabien, wo Menschen eher nach religiösen als nach nationalistischen Maßstäben beurteilt werden, in der Öffentlichkeit so weite Verbreitung gefunden. Innerhalb und außerhalb des Königreichs spekulierten Saudis daraufhin, dass die Verleumdungskampagne den Segen der Regierung erhalten haben müsse, was für die Festgenommenen kein gutes Zeichen ist. (…)

Unabhängig von den Beweisen und unabhängig davon, wer der angebliche Feind sein soll, haben die Festnahmen für Mohammed bin Salman ihren Zweck erfüllt. Die Kritiker und Aktivisten sind verstummt und die patriotischen Massen sind mobilisiert worden. Allerdings würde es dem Königreich gut anstehen, nicht zu vergessen, dass die Denunziation vermeintlicher Gegner als ‚kafir‘ oder als Verräter zur Schaffung einer nachhaltigen Zukunft in der Region noch nie viel beigetragen hat.“ (Kim Gahttas: „Saudi Arabia’s Dark Nationalism“)

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