Während die Hamas »gezielt Frauen angriff«, wird von der Untersuchungskommission des UNO-Menschrechtsrats eine Täter-Opfer-Umkehr angestrebt, indem man Israel einen »Krieg gegen Frauen« vorwirft.
Es ist eine mühsame, ja, schwindelerregende Lektüre. Durch die fast fünfzig Seiten schwirren, repetitiv und in dichter Folge wie ein Trommelfeuer, Ausdrücke wie »Kriegsverbrechen der vorsätzlichen Tötung«, »auf ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufende Ausrottung«, »genozidale Akte«. Der wolkige Juristensprech suggeriert Autorität, Seriosität und Gründlichkeit, wird aber auch kombiniert mit einer Art von literarischer Stimmungsmache. »Das ist ein Krieg gegen Frauen«, heißt es etwa apodiktisch in einem kursiv gedruckten Motto, das den dritten Abschnitt einleitet. Die Feststellung ist atemberaubend, aber bloß das Zitat einer anonymen »Geburtshelferin in Gaza« – und in einer versteckten Fußnote wird noch einbekannt, dass es sich nicht unbedingt um ein wörtliches Zitat handelt, sondern vielleicht um eine Paraphrase.
Die Rede ist vom jüngsten Bericht der Unabhängigen Internationalen Kommission zur Untersuchung des besetzten palästinensischen Gebiets, einschließlich Ost-Jerusalem, und Israels. Diese dreiköpfige Kommission, im Jahr 2021 eingesetzt durch den nachweislich israelfeindlichen UN-Menschenrechtsrat, ist an und für sich schon ein fragwürdiges Gebilde.
Sie wird geleitet von Navi Pillay, die gegenüber Israel voreingenommen ist. So hat sie in der Vergangenheit Israel nonchalant bezichtigt, »Apartheid« zu praktizieren, obwohl sie als südafrikanische Juristin wissen muss, dass das unsinnig ist. Die Kommission hat bisher sieben Berichte vorgelegt. Laut Mandat müsste sie »alle angeblichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts« in den genannten Gebieten untersuchen, de facto befasst sie sich aber fast nur mit Israel.
Eine Ausnahme ist der im Juni 2024 abgegebene Bericht. Weil das der erste Bericht nach dem 7. Oktober 2023 war und die von Hamas-Mitgliedern und anderen Palästinensern an diesem Tag verübten Verbrechen weithin bekannt sind, konnte die Kommission nicht umhin, sich hier auch mit den Palästinensern zu befassen. Aber es ist bezeichnend: Im Abschnitt »Factual Findings« findet man sogar in diesem Bericht sechseinhalb Seiten über Israel, aber nur viereinhalb Seiten über die Hamas, davon bloß eine einzige Seite über sexuelle Gewalt – wobei ungeheuerlicherweise noch betont wird, die Kommission habe Behauptungen, wonach israelische Frauen vergewaltigt wurden, nicht unabhängig bestätigen können.
Immer gegen Israel
Und nun bekommen wir aktuell also diesen Bericht vorgesetzt, der mehr als doppelt so lang ist wie jener über den 7. Oktober 2023 und der sich wieder ausschließlich mit Israel befasst. Auffällig ist dabei, dass er sich speziell auf sexuelle Gewalt konzentriert, was ja bisher in den unzähligen, von vielen Seiten gegen Israel gerichteten Anschuldigungen keine große Rolle gespielt hat. Also warum wohl jetzt? Im vorangegangenen Bericht musste die Kommission erwähnen, dass die Hamas »gezielt Frauen angriff«. Kann es sein, dass eine Art Relativierung, Ausgleich oder gar Täter-Opfer-Umkehr angestrebt wird, indem man Israel einen »Krieg gegen Frauen« vorwirft?
Auf die fragwürdige Methodik des Berichts, den unseriösen Umgang mit Zahlen und den Wust der schwer überprüfbaren Einzelvorwürfe kann hier nicht eingegangen werden. Zur Einordnung können allerdings die folgenden Bemerkungen dienen:
- Hamas-Kämpfer und ihre Mittäter haben am 7. Oktober 2023 (abgesehen von allen anderen Verbrechen, insbesondere gegen Kinder) in Südisrael unaussprechliche Sexualverbrechen begangen. Sie haben Frauen gefesselt, grausamst vergewaltigt, ihnen dabei Knochenbrüche zugefügt, sie während der Vergewaltigung erstochen, ihnen in die Brüste und die Vagina geschossen und gestochen, sie zerstückelt. Diese Taten wurden in großer Zahl an verschiedenen Orten nach einem ähnlichen Muster verübt. Die Hamas scheint Vergewaltigungen, oft auch mit Todesfolge, systematisch als Kriegswaffe eingesetzt zu haben.
- Alles, was israelischen Soldaten vorgeworfen wird oder von ihnen begangen wurde, kann nicht im Entferntesten mit solchen Taten verglichen werden. In dem Bericht wird es etwa als »sexuelle Gewalt« eingestuft, wenn Palästinenserinnen gezwungen wurden, ihren Schleier abzunehmen. Ein Vorwurf der Vergewaltigung einer palästinensischen Frau kommt in dem Bericht nicht vor. (Es gibt den Vorwurf der Vergewaltigung männlicher palästinensischer Sicherheitshäftlinge.)
- Als sexuelle Gewalt werden auch die Fälle gewertet, in denen Dutzende gefangengenommene palästinensische Männer nur mit Unterhose bekleidet im Freien stehen oder knien mussten (»erzwungene öffentliche Nacktheit«). Immerhin wird hier auch mitgeteilt, wie die Israelis das rechtfertigen: »Wegen der Taktik der Terroristen, Sprengstoff und andere Waffen unter zivilen Kleidern zu verbergen und der Notwendigkeit, zu gewährleisten, dass sie keine Bedrohung für die Soldaten darstellen, kann es notwendig sein, sie zu durchsuchen, auch durch Ablegen eines Teils der Kleidung.«
- Ohne Zweifel haben israelische Soldaten auch Übergriffe und Verbrechen verübt. Ein großer Teil von ihnen ist nicht zur Rechenschaft gezogen worden. In einem Krieg, der mehr als ein Jahr dauert, kommt es zu unzähligen Gewaltakten, Zusammenstößen, Feuergefechten, Gefangennahmen. An dem Krieg waren Hunderttausende israelische Soldaten beteiligt. Selbst wenn es dabei zu Hunderten von Übergriffen und Verbrechen gekommen ist, liegt der Anteil der daran beteiligten Soldaten im Promille- oder Prozentbereich. Daraus, das solche Übergriffe und Verbrechen vorgekommen sind, kann nicht geschlossen werden, dass Israel sie als »Kriegsmethode« einsetzt, wie in dem Bericht behauptet.
- Einzelne von israelischen Soldaten gepostete Videos und einzelne von israelischen Soldaten im Gazastreifen an Wände geschmierte Graffiti hatten aggressive sexuelle Inhalte. Daraus schließt der Bericht, dass die israelische Führung sexuelle Gewalt generell als Mittel der Kriegsführung und Unterdrückung einsetzt. Dieser Schluss ist natürlich völlig unzulässig. In Ihrem Eifer versteigen sich die Verfasser gar (§ 78) zu einer kollektiven Psychoanalyse, die nur noch lächerlich ist: Sexuelle Gewaltakte gegen palästinensische Frauen und Männer, heißt es da, seien »Versuche, Israels nationale Männlichkeit wiederherzustellen«.
- Kernthema des Berichts ist, dass Frauen und Kinder unter dem Krieg im Gazastreifen besonders leiden. Das ist ohnehin klar und gilt für jeden Krieg, heißt aber keineswegs, dass Israels Angriffe spezifisch gegen Frauen und Kinder gerichtet seien, wie im Bericht behauptet. Umgekehrt gilt: Die Hamas hat Wohngebäude, Krankenhäuser, Schulen, UN-Einrichtungen für militärische und terroristische Zwecke genutzt. Die Hamas hat somit bewusst und planmäßig eine Art der Kriegsführung erzwungen, die Frauen und Kinder besonders gefährdet. Das wird aber in dem Bericht mit keinem Wort erwähnt.
- Damit verknüpft und typisch ist, was der Bericht etwa über die Al-Basma-Klinik, Gazas größte Klinik für künstliche Befruchtung, zu sagen hat. Das Gebäude wurde im Dezember 2023 durch eine Explosion beschädigt. Dabei seien 4.000 Embryos sowie 1.000 Samenproben und unbefruchtete Eier zerstört worden. Es ist möglich, aber nicht sicher, dass das Gebäude von einer israelischen Panzergranate getroffen wurde. Auch wenn das so war, ist keineswegs klar, dass das Gebäude absichtlich und mit diesem Ziel anvisiert wurde. Umgekehrt kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Gebäude von der Hamas benutzt wurde. All das spielt für Pillays Kommission keine Rolle: Sie »kommt zu dem Schluss, dass die Zerstörung der Basma-IVF-Klinik eine Maßnahme zur Verhinderung von Geburten unter Palästinensern in Gaza war«.
- Damit ist wiederum ein besonders übler Trick verknüpft – eine Mischung aus Gemeinheit und Feigheit. Anschuldigungen dieser Art wird oft noch der seltsame Begriff »genozidaler Akt« nachgeworfen. Wohlgemerkt: Die Kommission getraut sich nicht, den Begriff Genozid (Völkermord) zu verwenden, dieser ist nämlich juristisch recht präzise definiert. Damit er verwendet werden kann, müsste die Absicht nachgewiesen werden, »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten«.
Einen Nachweis dafür, dass Israel die Palästinenser vernichten will, gibt es natürlich nicht. Bei der Pressekonferenz in Genf, bei welcher der Bericht am 13. März präsentiert wurde, fragte ein Journalist beim Kommissionsmitglied Chris Sidoti nach, ob denn bei Israel wirklich keine derartige Absicht wahrgenommen wurde. Antwort: »Ja, Sie haben recht, wir haben nichts von einem Genozid gefunden.« Aber »genozidaler Akt« klingt ja auch gut – und was macht es schon aus, dass es nach elementarer Logik einen genozidalen Akt ohne Genozid nicht geben kann …
Fassen wir den Inhalt des UNO-Berichts also zusammen: Durch vorsätzliche »genozidale Akte« will Israel die Palästinenser daran hindern, sich fortzupflanzen. Und »die Häufigkeit, Verbreitung und Schwere von sexuellen und geschlechtsbasierten Verbrechen, die im ganzen besetzten palästinensischen Gebiet verübt werden, führen die Kommission zu dem Schluss, dass sexuelle und geschlechtsbasierte Gewalt vermehrt von Israel als Kriegsmethode benutzt wird, um das palästinensische Volk zu destabilisieren, beherrschen, unterdrücken und zerstören«.
UN-Gremien haben Israel ja schon oft verleumdet, aber das hier ist eine neue Kategorie der Absurdität. Stellvertretend für viele Stimmen in Israel sei Oppositionschef Yair Lapid zitiert: »Ein krankes, antisemitisches Dokument, von der Realität losgelöst – die UN-Institutionen in Gaza sind die Terrorstützpunkte, aus denen die Hamas herauskam, um israelische Zivilisten in ihren Heimen zu massakrieren, Frauen zu vergewaltigen und Babys bei lebendigem Leib zu verbrennen.«