Erweiterte Suche

Die »jüdische Nakba« (Teil 3): Die Vertreibung aus Ägypten 

Ägypten: Das Innere der Ben-Ezra-Synagoge in Kairo
Ägypten: Das Innere der Ben-Ezra-Synagoge in Kairo (© Imago Images / Design Pics Editorial)

Während 1918 noch um die 80.000 Juden in Ägypten gelebt hatten, waren es nach einem Jahrhundert Diskriminierung und Vertreibung im Jahr 2016 noch 13.

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Koran und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

Ägypten während des Osmanischen Reichs

Die Juden in Ägypten konnten auf eine mehrere Jahrtausende andauernde Geschichte im Land zurückblicken. Schon beim Auszug der Juden unter Moses verblieb der jüdischen Tradition nach ein großer Teil der Israeliten in Ägypten.

Nach der islamischen Eroberung in der Mitte des 7. Jahrhunderts wurden die christianisierte ägyptische Bevölkerung, die Kopten, als auch die Juden zur Minderheit. Sie wurden als Dhimmis geduldet, die laut islamischen Recht Schutzbefohlene sind und eine besondere Steuer, die Dschizya, zu errichten haben.

1882 begann die Herrschaft Großbritanniens in Ägypten, ohne dass formell jedoch die Oberhoheit des Osmanischen Sultans über den Khediven, den Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, infrage gestellt wurde. 

Obwohl die Edikte der Tanzimat, einer Periode tiefgreifender Reformen, die 1839 begann und 1876 mit der Annahme der osmanischen Verfassung endete, eine Gleichstellung der osmanischen Untertanen vorsahen und die Institution der Dhimma, der Status von diskriminierten Schutzbefohlenen, durch den Druck europäischer Staaten, deren Militärbeistand das Osmanische Reich suchte, graduell abgeschafft wurde, blieb die Diskriminierung der Juden im Wesentlichen bestehen. Um dieser zu entgehen, versuchten vermögende Juden den Schutz durch die Erlangung ausländischer Staatsbürgerschaften über die europäischen Konsulate.

Unabhängigkeit Ägyptens

1922 wurde Ägypten nominell unabhängig, wobei gemäß dem ägyptischen Staatsbürgerschaftsrecht von 1929 lediglich 5.000 Juden die Staatsbürgerschaft erhalten. 

Die durch Hassan al-Banah 1928 als Reaktion auf den Zerfall des Osmanischen Reichs und den Untergang des Kalifats gegründete Muslimbrüderschaft strebte die Rückkehr zum ursprünglichen Islam und die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung an. Die Bruderschaft sah die Religion als bedroht an und wollte nur diejenigen als legitime Herrscher anerkennen, die in Übereinstimmung mit der Scharia regieren. 

Hassan al-Banna wandte sich 1936 in seinem Traktat Naḥwa n-Nūr (Aufbruch zum Licht) mit dieser Zielsetzung an den ägyptischen König und andere arabische Staatsoberhäupter. Darüber hinaus trat er auch für den bewaffneten, offensiven Dschihad gegen Nicht-Muslime und diejenigen ein, die er als deren Kollaborateure und Helfer ansah.

1938 führte die Muslimbruderschaft unter den antisemitischen Parolen »Nieder mit den Juden!« und »Juden raus aus Ägypten!« gewalttätige Proteste gegen Juden durch. Im selben Jahr trafen sich Angehörige der 1933 gegründeten Grünhemden der faschistischen Jugendorganisation »Junges Ägypten« mit Adolf Hitler und forderten die Ausweisung der Juden aus Ägypten.

In der Nacht vom 2. auf den 3. November 1945 kam es am Jahrestag der Balfour-Deklaration, in der Großbritannien den Zionisten die Gründung einer »jüdischen Heimstätte« in Palästina zugesagt hatte, zu Unruhen, bei denen die Hauptsynagoge in Kairo und andere jüdische Institutionen in Brand gesteckt und fünf Juden getötet wurden. Premierminister Mahmoud an-Nukrashi beschuldigte in Folge die »Zionisten«, eine derartige Reaktion provoziert zu haben.

Nach der Gründung Israels

1947 warnte der ägyptische UNO-Delegierte Heykal Pascha, dass bei Durchführung des am 29. November beschlossenen Teilungsplans der Vereinten Nationen eine Million Juden in den arabischen Ländern gefährdet wären. Nach der Staatsgründung Israels im Mai 1948 wurden 1.000 Juden festgenommen, im Juni schließlich das Kriegsrecht ausgerufen, Juden als »Fünfte Kolonne« betrachtet, vom Universitätsstudium ausgeschlossen, ihr privates wie auch das Eigentum jüdischer Institutionen beschlagnahmt. Den wenigen Juden, welche die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen, wurde diese entzogen. Daraufhin flohen 20.000 Juden aus Ägypten. Das war jedoch nicht das Ende der Übergriffe: Am 20. Juni starben 22 Juden bei einem Anschlag, im Juli gingen 500 jüdische Geschäfte in Flammen auf, und im September wurden weitere 19 Juden getötet.

1951 unternahm der ägyptische Journalist Muhammad Halifa at-Tunisi die erste vollständige arabische Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion, einer antisemitischen Fälschung des zaristischen Geheimdienstes (Auszüge daraus waren schon in den 1920er Jahren von arabischen Christen übersetzt worden). In einem Kommentar zu seiner Übersetzung schrieb at-Tunisi, er wolle damit »nicht nur wegen des Konflikts mit Israel vor den Juden warnen: Selbst, wenn sie aus unseren Ländern vertrieben und an irgendeinem Flecken der Welt leben würden, würden sie Unheil stiften, denn wo immer sie waren, waren sie Feinde der Menschheit.«

Auch im Lauf der folgenden Jahre kam es immer wieder zu Ausschreitungen und Verfolgung. So wurden etwa am 26. Januar 1952 Geschäfte von Juden und anderer Minderheiten angegriffen; im Zuge der Suezkrise 1956 25.000 Juden ausgewiesen.

Das ägyptische Ministerium für nationale Führung schrieb in der Einleitung der Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion, die es 1956 herausgab, siebezweifle, dass sie am Basler Zionistenkongress 1897 verfasst worden seien, die Übereinstimmung mit verschiedenen jüdischen Dokumenten wie dem Talmud und der Politik Israels beweise aber ihre grundsätzliche Echtheit. Für diese Behauptung stützte sich der anonyme Herausgeber auf Kommentierung des NS-Ideologen Alfred Rosenberg.

Im Jahr 1961 wurden die verbliebenen jüdischen Geschäfte und Unternehmen nationalisiert, und während des Sechstagekriegs von 1967 sämtliche noch in Ägypten verbliebenen männlichen Juden interniert. 1972 verließ der letzte Rabbiner Chain Moussa Douek Ägypten. 

Dies alles führte dazu, die jahrtausendealte jüdische Gemeinde Ägyptens binnen weniger Jahre zu vertreiben und bis zur nahezu vollständigen Auslöschung zu dezimieren, sodass im Jahr 2016 nur noch acht Juden in Kairo und fünf in Alexandria lebten. 1918 waren es noch mindestens 80.000 gewesen.

Empfohlene weitergehende Literatur:

In der Reihe erschienen:

Die »jüdische Nakba« wird verschwiegen
Die »jüdische Nakba« (Teil 2): Geschichte der muslimischen Judenfeindschaft
Die »jüdische Nakba« (Teil 3): Die Vertreibung aus Ägypten 
Die »jüdische Nakba« (Teil 4): Das Ende der jüdischen Gemeinde im Irak 
Die »jüdische Nakba« (Teil 5): Das Verschwinden der jüdischen Gemeinde in Marokko
Die »jüdische Nakba« (Teil 6): Der Libanon, Syrien und die Ritualmordlegende zwischen 1840 und heute
Die »jüdische Nakba« (Teil 7): Die Juden des Jemen
Die »jüdische Nakba« (Teil 8): Die Flucht der Juden aus Algerien, Tunesien und Libyen
Die »jüdische Nakba« (Teil 9): Die Verfolgung der Juden im Iran
Die »jüdische Nakba« (Teil 10): Abschließende Zusammenfassung

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!