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Die „Feindesliste“ der Muslimbruderschaft

Im Zuge der "Operation Luxor" fiel Ermittlern eine Feindesliste der Muslimbruderschaft in die Hände
Im Zuge der "Operation Luxor" fiel den Ermittlern eine Feindesliste der Muslimbruderschaft in die Hände (© Imago Images / CHROMORANGE)

Die im Haus einer der Muslimbruderschaft in Österreich nahestehenden Person entdeckte „Feindesliste“ ist nicht isoliert zu betrachten, sondern spiegelt eine gefährliche Entwicklung wieder, die ein sicherheitspolitisches Eingreifen erfordert.

Die österreichische Polizei führte im vergangenen November im Zuge der „Operation Luxor“ Razzien und Durchsuchungen an mehr als 60 Adressen in vier verschiedenen Bundesländern durch, die mit angeblichen islamistischen Extremisten in Verbindung stehen. Die Ermittlungen bei den mutmaßlichen Muslimbrüdern und Hamas-Mitgliedern führten unter anderem zur Entdeckung einer „Feindesliste“, auf der Gegner des politischen Islam verzeichnet sind.

Kawther Salam, eine in Wien lebende palästinensische Journalistin sagte gegenüber dem Online-Medium eXXpress, die Polizei habe ihr eine Liste mit Namen, unter denen sich auch ihrer befindet, gezeigt, die in den Akten eines der Verdächtigen gefunden worden sei, der Ziel der Razzien gewesen sei.

Der Terrorismusexperte Amer Albayati gab an, sein Name stehe ebenfalls auf dieser Liste: „Viele namhafte Persönlichkeiten sind darunter, angesehene Personen, auch Journalisten und ein ehemaliger Nationalratsabgeordneter, aber auch ganz einfache Menschen“, sagte er dem Online-Magazin. Albayati bezeichnete die Liste als Beleg für die Existenz einer „Art Geheimdienst“ und sagte, er halte es für wahrscheinlich, dass auch Fotos der genannten Personen weitergegeben worden seien. In einem weiteren Interview mit dem Oberösterreichischen Volksblatt menite er, diese Feindesliste „gleicht einer Morddrohung“.

Mena-Watch sprach im Anschluss daran mit einem Experten für die Geschichte und Ideolgie der Muslimbruderschaft, um herauszufinden, warum die Gruppe solche Listen erstellt und was deren Folgen sind?

„Der Geheimdienst“ der Muslimbruderschaft

Der Geheim- oder Privatapparat ist eines der zwiespältigsten Momente in der Geschichte der Muslimbruderschaft; sei es in Bezug auf ihre Ursprünge und Ziele, sei es auf die Aktivitäten und Aktionen ihrer Mitglieder. Die Bruderschaft selbst gibt sich größte Mühe, alles, was diesen Geheimapparat betrifft im Dunkeln zu halten und noch weniger an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, als sie es im Allgemeinen ohnehin schon tut.

Ein 2017 in Kairo – bislang nur auf Arabsich – erschienenes Buch der Forscherin Suzan Harfy mit dem Titel „The Special Order and the State of the Muslim Brotherhood“ bringt jedoch etwas Licht ins Dunkel der Geheimorganisation der Muslimbruderschaft und ihrer Gefährlichkeit. Die Stärke des Buchs und der darin enthaltenen Informationen wird dadurch noch vergrößert, dass Kamal El Helbawi, der ein prominenter Führer und eine der wichtigsten Symbolfiguren der Bewegung in Europa war, bevor er sich von der Bruderschaft abgespalten hat, die Einleitung geschrieben hat.

Im Buch heißt es, dass der Geheimapparat selbst innerhalb der ohnehin schon konspirativ agierenden Muslimbruderschaft von großer Geheimniskrämerei und absolutem Schweigen umgeben war, und dass die meisten seiner Mitglieder unbekannt blieben, da sie sich mit ihrem Beitrittseid zu Schweigen und Geheimhaltung verpflichtet hatten.

Der Geheim- oder Privatapparat führte im Laufe der Geschichte viele Attentate auf Feinde der Muslimbruderschaft durch, darunter die Ermordung des Richters Ahmed Al-Khazindar und der beiden ägyptischen Premierminister Ahmed Maher und Mahmoud Fahmy Al-Nuqrashi sowie die anderer Funktionäre und Politiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Harfy erwähnt in ihrem Buch, dass der Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, versucht habe, eine „alternative Armee“ zur ägyptischen Armee zu schaffen, eine „Armee der Muslime“, wie es auch Mahmoud al-Sabbagh, einer der Anführer dieser „Armee“ in den 1940er Jahren, in seinen Schriften bestätigt hat. Der prominente Muslimbruder Ahmed Hassan Al-Baqouri sagt in seinem 1988 vom Al-Ahram Center for Translation and Publishing herausgegebenen Buch „Remains of Reminiscences“ über die Kämpfer dieser alternativen Armee: „Die Mitglieder der Geheimorganisation hatten einen höheren Status als andere Mitglieder der Bruderschaft.“

Susan Harfy enthüllt in ihrem Buch auch, dass die Mitglieder der geheimen Gruppe die Idee der Ermordung von Feinden oder Gegnern begrüßten und propagierten. Yusef al-Qaradawi, ein Mitglied der Bruderschaft und einer ihrer wichtigsten Theoretiker, schrieb in seiner 2002 erschienen Autobiographie „The Son of the Village and the Book“: „Wir, junge Männer und Studenten, haben die Ermordung von Mahmoud Fahmy Al-Nuqrashi, dem [ägyptischen] ‚Premierminister‘, mit Genugtuung und Glückwünschen aufgenommen.“

Harfy erklärt, das Ziel der Geheimorganisation sei es, „den Rücken der Bruderschaft von Feinden freizuhalten, d.h. Gegner zu identifizieren und zu ermorden.“ Basierend auf den Schriften, Dokumenten und Zeugenaussagen, die sie einsehen konnte, kommt Harfy zu dem Schluss, dass „Hassan Al-Banna nie etwas gegen die Geheimorganisation einzuwenden hatte“, und dass „Gewalt seit ihrer Gründung eine Waffe der Muslimbruderschaft geblieben ist, auch wenn sie öffentlich ihren Gewaltverzicht erklärt hat.“

Auch in jüngster Zeit

Ahmed Ban, ein Experte zum Thema Muslimbruderschaft, sagte gegenüber Mena-Watch, dass es eine Debatte zwischen Forschern und Historikern über die Frage der Geheimorganisation gebe und präzisierte dies wie folgt: „Einige behaupten, dass die Geheimorganisation mit dem Tod des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser ein Ende gefunden habe, während andere denken, dass die sie in einigen Ländern, deren Bedingungen dies zugelassen haben – wie dem Jemen und dem Irak – intakt geblieben ist.“

Dies wird durch Abu Musab Al-Suri bestätigt, der in seinem Buch „Der Aufruf zum internationalen islamischen Widerstand“ festhielt, dass die Geheimorganisation in den 1980er Jahren im Irak weiterbestand. Auch Ahmed Ban, der selbst viele Jahre Mitglied der Muslimbrüder war, bevor er ihr abschwor, weist gegenüber Mena-Watch auf die Ermordungen von Gegnern der Bruderschaft in Ägypten in den letzten Jahren hin.

Explizit nennt er dabei zwei Ermordungen in jüngster Zeit: „In der Geschichte der Bruderschaft hat der Geheimapparat immer wieder Attentate auf Gegner verübt, darunter die Ermordung des Richters Ahmed Al-Khazindar oder des Premierministers Al-Nokrashi“, erklärte er und fügte hinzu: „Und nach der Entmachtung der Muslimbruderschaft 2013 wurden wir Zeugen der Ermordung des Generalstaatsanwalts Hisham Barakat und des nationalen Sicherheitsbeauftragten Muhammad Mabrouk.“

Gefährliche Entwicklung

Im Zusammenhang mit der Entdeckung der „Feindesliste“ in Österreich meint Ahmed Ban: „Es gibt also Präzedenzfälle, in denen die Organisation ihre Gegner ermordet hat, aber dass die Bruderschaft solche Absichten in Europa hegt, ist eine neue und gefährliche Entwicklung. Der Fund der ‚Feindesliste‘ legt nahe, dass auch in Österreich ein Geheimapparat der Muslimbruderschaft existiert, dessen Ziel es ist, Gegner loszuwerden. Das spiegelt eine dramatische Verschiebung in der Ausrichtung der Organisation wider, die droht, die Unterschiede zwischen ihr und Al-Qaida oder dem Islamischen Staat hinfällig lassen zu werden.“

Der Experte fügt hinzu: „Diese Entwicklung stellt die alte Struktur der Muslimbruderschaft wieder her: nämlich die einer dualen Organisation, deren einer Zweig offen in Predigt und Politik tätig ist, während der zweite Zweig klandestin und militärisch agiert und einen Geheimdienstapparat besitzt, der Informationen über Gegner sammelt, sei es um diese zu neutralisieren oder zu eliminieren.“

Seine Ausführungen schloss Ban damit, dass „dies eine gefährliche Entwicklung im Verhalten der Organisation ist, die eine umfassende Überprüfung der Aktivitäten ihrer Zellen in Europa rechtfertigt und notwendig macht.“

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