Laut jüngsten Meldungen hat Deutschland die Genehmigung von Waffenexporten nach Israel gestoppt, um möglichen Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen das Völkerrecht zuvorzukommen.
Was die Nachrichtenagentur Reuters dieser Tage in einem englischsprachigen Beitrag meldete, ist höchst brisant: Deutschland habe die Genehmigung von Waffenexporten nach Israel gestoppt.
»Einer Reuters-Analyse von Daten und einer dem Wirtschaftsministerium nahestehenden Quelle zufolge hat Deutschland (…) einen Stopp neuer Kriegswaffenexporte nach Israel verhängt. Die Quelle zitierte einen hochrangigen Regierungsbeamten mit den Worten, man habe die Arbeiten an der Genehmigung von Waffenexportlizenzen für Israel eingestellt, weil rechtlicher und politischer Druck durch Gerichtsverfahren bestehe, in denen behauptet werde, derartige Exporte aus Deutschland verstießen gegen das humanitäre Völkerrecht.«
Die veröffentlichten Zahlen über das Volumen der Genehmigungen stammen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, Sahra Wagenknecht, Ali Al-Dailami, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BSW.
Nachdem Reuters den Ball ins Rollen gebracht hatte, berichteten weitere deutschsprachige Medien darüber. »Die Bundesregierung hat seit März keine Kriegswaffenexporte nach Israel mehr genehmigt«, meldete etwa der Berliner Tagesspiegel.
Kein Genehmigungsstopp, aber …
Mena-Watch fragte bei dem für die Genehmigung von Rüstungsexporten zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nach und erhielt jene Information, die zuvor auch schon anderen Journalisten gegeben wurde: Einen Exportstopp gebe es nicht. »Es gibt keinen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Israel und es wird auch keinen geben«, teilte eine Sprecherin mit, die dennoch durchblicken ließ, es gebe sehr wohl ein Ausbleiben von Genehmigungen, auch wenn die höchsten politischen Kreise in Berlin nicht von einem »Stopp« reden wollen:
»Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfall und im Licht der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen nach den rechtlichen und politischen Vorgaben. Dabei berücksichtigt die Bundesregierung die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Bei dieser Einzelfallbetrachtung wird immer die aktuelle Situation berücksichtigt, dazu gehören sowohl die Angriffe auf Israel durch Hamas und Hisbollah als auch der Verlauf des Einsatzes in Gaza.«
Die Sprecherin verweist auf die oben genannte Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des BSW; demnach seien im Jahr 2024 bis zum Stichtag 21. August 2024 Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel im Gesamtwert von »knapp EUR 14,5 Mio. erteilt« worden. 2023 belief sich das Volumen noch auf 326,5 Millionen Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (BSW) vom Dezember 2023 hervorgeht. Das ist ein Rückgang von mehr als 95 Prozent.
Ausdrücklich bestätigt die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, dass die Bundesregierung zwar seit März »weitere Rüstungsexporte nach Israel genehmigt« habe, darunter seien aber »keine Kriegswaffen« mehr gewesen. »Es gibt keinen Rüstungsexportboykott nach Israel, jeder Antrag wird geprüft und im Einzelfall bewertet.« Und bei dieser Bewertung gibt es seit März fast nur abschlägige Bescheide.
Der unerklärte Boykott
Die Taktik, einen Boykott zu verhängen, ohne ihn offiziell zu erklären, ist in der internationalen Diplomatie bekannt. Ein jüngerer, gut dokumentierter Fall ist etwa Pekings Boykott gegen Australien.
Aus Zorn über die Forderung des australischen Premierministers Scott Morrison im April 2020 nach einer Untersuchung der Ursprünge der Corona-Pandemie verhängte China einen Boykott gegen australische Waren. Betroffen waren unter anderem Fleisch, Gerste, Wein und Kohle. Dieser Boykott wurde allerdings nie offiziell erklärt, da er gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verstoßen hätte; Sanktionen wie etwa hohe Strafzahlungen oder sogar ein Ausschluss aus der WTO wären mögliche Folgen gewesen.
Darum gab es einen De-facto-Boykott unter fadenscheinigen Vorwänden: Australisches Rindfleisch wurde wegen angeblicher Hygienebedenken nicht mehr eingeführt, australische Kohle in den Häfen nicht mehr abgefertigt und andere Waren mit exorbitanten Zöllen belegt, die den Handel unmöglich machten.
Ähnlich verfährt offenbar die deutsche Bundesregierung: Zwar gibt es offiziell keinen Rüstungsexportboykott, aber Israel erhält seit März auch keine Waffen mehr aus Deutschland, an denen Israel aber sehr interessiert ist, hat doch ein Jahr intensiver Krieg an zwei Fronten die Munitionsarsenale geleert, während Hamas und Hisbollah weiterhin Krieg gegen Israel führen.
Nachdem die USA nicht alles bereitstellen, was die israelischen Streitkräfte für einen Sieg benötigen und Deutschland offenbar ein Totalausfall ist, muss sich Israels Regierung bei Waffenlieferanten umsehen, die sonst nicht zu den engsten Verbündeten zählen. So hat Serbien etwa allein im heurigen Jahr Waffen und Munition im Wert von 23 Mio. Dollar an Israel geliefert, auch wenn die Sicherheit Israels nicht zu Serbiens Staatsräson zählt. Doch dank einer unideologischen Marktwirtschaft erhält der jüdische Staat von Serbien das, was er zum Überleben benötigt, während Deutschland Israel in der Stunde seines Existenzkampfs im Stich lässt.
Die Hamas hat erklärt, das Massaker vom 7. Oktober 2023 sei erst der Anfang gewesen und würde solange wiederholt werden, bis Israel vernichtet sei. Und es sterben weitere israelische Zivilisten und Soldaten durch den Raketenbeschuss der Hisbollah. 60.000 Menschen im Norden Israels können in ihr Zuhause nicht zurückkehren.
Doch der deutschen Bundesregierung ist das Schicksal der Israelis offenbar egal, mehr noch: Deutschland stimmt bei den Vereinten Nationen so gut wie nie gegen Anti-Israel-Resolutionen ab, sondern meistens sogar für sie, mögen diese auch noch so absurd sein.
Peter Rutkowski, Politikredakteur der Frankfurter Rundschau, prangerte im Oktober 2023 in einem Kommentar Deutschlands »beschämende« Haltung in der UNO an: »Dass Deutschland seine Stimme für Israel nicht erhoben hat, straft all das Gerede von Staatsraison und historischem Bewusstsein Lügen. Deutschland hat geschwiegen. Das passt auf eine erschreckende Art in eine ungute Tradition: nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu sagen und von nichts zu wissen.«
Wer überrascht war, wie schnell sich die deutsche Bundesregierung nach dem 7. Oktober von Israel abgewandt hat, hätte vielleicht genauer hinhören sollen, als Außenministerin Annalena Baerbock sagte:
»In diesen schrecklichen Tagen stehen wir an Ihrer Seite und fühlen mit Ihnen. In diesen Tagen sind wir alle Israelis.«
Baerbock sprach von »Tagen«, was wohl bedeutete: In achtundvierzig Stunden kehren wir Deutschen zur Normalität zurück. Dann seid Ihr immer noch Israelis, wir aber nicht.
Germany Halts Weapons to Israel While Selling more to Qatar pic.twitter.com/nfg6PfNS9C
— Farnak (@Farnakyboy) September 17, 2024